Karlsruher Stadtbahn: Wie U-Bahnstationen zum Ruhepol werden
Die Rolltreppe führt hinunter in einen weitläufigen, hellgrau gestalteten Raum. Die Wandoberflächen bestehen aus rauem, gestockten Beton. Bis auf wenige Wegweiser und Fahrkartenautomaten ist der Raum leer, ungleichmäßige Beleuchtung sorgt für etwas Abwechslung. Die Stimmen von aufgeregten Grundschulkindern sind im Vorbeilaufen nur gedämpft zu hören. Auf einer zweiten, tieferen Ebene sind Decken, Wände und Boden glatt und weiß, der ganze Raum ist hell beleuchtet. Auch hier gibt es nur Notwendiges, Werbeplakate oder Kioske wie an großen Stationen anderer Städte sind hier nicht zu finden. Nur die Fahrpläne etwa und das Namensschild der Haltestelle. „Marktplatz“ steht groß auf beiden Seiten der Bahnsteige. Es ist eine von sieben im vergangenen Jahr in Betrieb gegangenen unterirdischen Stationen der Karlsruher Stadtbahn.
Diese Stationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Passagieren einen Raum der Kontemplation inmitten des Trubels bieten, der selbst an einem Werktagmittag in der Karlsruher Innenstadt herrscht. Auf der Kaiserstraße, der zentralen Einkaufsmeile, eilen Passanten über die alten Tramschienen, die seit der Eröffnung unterirdischer Stationen nicht mehr genutzt werden. Andere hetzen untermalt vom Lärm mehrerer Baustellen aus Ladenfilialen. Die Rolltreppenfahrt hinunter in eine der neuen Untergrundstationen wirkt da wie der Übergang in eine wohltuende Ruhezone.
Kein Schnickschnack
Die Gestaltung stammt von Architekt Ludwig Wappner und seinem Büro allmannwappner mit Sitz in München. Er berichtet, dass die Freiheiten beim Entwurf durch Statik, Technik und ein Planfeststellungsverfahren begrenzt waren – wie in einem „Korsett“. Das Team von allmannwappner entschied sich, den Fokus ganz auf die Akzentuierung des Vorgegebenen zu legen, also die Arbeit der Ingenieure und die Werkstoffe „nur zu veredeln“. So kommen die Zwischenebenen mit Abgängen zu den Gleisen nicht nur ohne Verschalung der Wände aus, auch auf sonstige Verzierungen wurde verzichtet.
Diese Haltung bedeutete auch, dass die sieben Stationen weitgehend einheitlich gestaltet wurden; auf starke optische Erkennungsmerkmale, wie sie andernorts für eine erleichterte Orientierung für die Fahrgäste sorgen, wurde verzichtet. Diese Gestaltung „aus einem Guss“ funktioniert in Karlsruhe mit seiner geringen Anzahl an unterirdischen Stationen. Die Untertunnelung der Innenstadt war stark umstritten; erst im Jahr 2002 akzeptierten die Karlsruher eine Kombilösung aus unter- und überirdischen Stationen sowie einem Autotunnel, um die Innenstadt von Verkehr zu entlasten. Eine Erweiterung der Untergrundstrecke ist nicht vorgesehen.
Man wartet gerne
Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass hinter der vermeintlichen Schlichtheit im Erscheinungsbild eine raffinierte künstlerische Idee steckt. Alle Stationen sind von den Lichtinstallationen Ingo Maurers geprägt. In planvollen Abständen erhellen neonröhrenähnliche Leuchtstäbe die ganze Station. Wie Wappner berichtet, sollen sie an musikalische Notierungen erinnern. Ihre Verkabelung ist mit den Oberleitungen der Straßenbahn verwebt, greift sie optisch auf und betont damit eine Besonderheit der Karlsruher Stadtbahn: Die unterirdischen Haltestellen sind nur ein kurzer Abschnitt im Streckenverlauf, die Stromversorgung erfolgt deshalb nicht, wie sonst häufig bei U-Bahnen, über die Schienen. Die helle Ausleuchtung führt zu einem guten Überblick über die ganze Station und damit zu einem Gefühl von Sicherheit. Obwohl Haltestellen transitorische Orte sind, wartet man in Karlsruhe gern, bis die nächste Bahn kommt. In die funktional-künstlerische Ausleuchtung hat Maurer kleine Spielereien eingefügt: Drei Leuchten werfen rotes, grünes und blaues Licht auf den Boden, wo sich die Farben zu einem weißen Lichtkegel vereinen. Wenn sich jemand durch den Strahl hindurchbewegt, entstehen auf der Kleidung bunte Spektralfarben. Immer wieder sind Kinder zu beobachten, die sich damit die Wartezeit auf die Bahn vertreiben.
Die Lichtinstallationen wie die gesamte Gleisebene können durch großflächige Fensterscheiben auch von der Zwischenebene aus beobachtet werden. Aus dieser Perspektive ist die Assoziation zu einem im Museum ausgestellten Gemälde nicht weit. Die umschließenden Wände wirken wie ein Bilderrahmen, der die Ausstellung von nachhaltigem, öffentlichem und gemeinschaftlichem Verkehr inszeniert. Mensch und Mobilität stehen so im Mittelpunkt der Gestaltung.
Allmannwappner ist etwas Außergewöhnliches gelungen, das zugleich ungemein zeitgemäß ist. Sie haben für die nachhaltige Mobilität des öffentlichen Nahverkehrs eine Gestaltung gefunden, die das Gefühl von Sicherheit und Ruhe erzeugt und so für Freude am Unterwegssein sorgt. Das ist nicht ganz ohne Risiko: Die Jahre werden zeigen, ob die Nutzer sorgsam mit den hellen Materialien umgehen und deren Wirkung erhalten bleibt. Im besten Fall wird sich die einladende, aufgeräumte und konsumfreie Atmosphäre als nachhaltig im umfassenden Sinne erweisen. Das könnte und sollte in anderen Städten Schule machen.
Source: faz.net