„Mit dem Vorschlag spielt Lisa Paus Eltern gegeneinander aus“

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Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) ist nicht unbedingt ein PR-Talent. Bei öffentlichen Auftritten wirkt sie oft hölzern, ihre Stimmlage ist immer etwas monoton. Doch ihre mangelnde Strahlkraft versucht Paus mit Beharrlichkeit auszugleichen. Wenn sie ein Projekt für prioritär erklärt, dann will sie es auch unbedingt durchsetzen.

Aktuell ist das die Kindergrundsicherung: Einen Basisbetrag für alle Kinder soll es künftig geben, dazu ein einkommensabhängiger Zusatzbetrag für Geringverdiener, automatisch ausgezahlt über ein Kindergrundsicherungsportal.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne)
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne)
Quelle: dpa/Kay Nietfeld

Einen Bedarf von zwölf Milliarden Euro hat Paus dafür bei Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) angemeldet. Doch weil der wenig Neigung zeigt, über die jüngsten Erhöhungen von Kindergeld und Kinderzuschlag hinaus weitere Milliarden in den Familienlastenausgleich zu pumpen, muss Paus sich etwas einfallen lassen.

Ihre jüngste Idee: eine Kürzung des steuerlichen Kinderfreibetrags. Damit werden das Existenzminimum des Kindes und ein Betrag für Bildung, Erziehung und Ausbildung (BEA) steuerfrei gestellt.

Für 2024 betragen diese Summen 6384 Euro für das Existenzminimum und 2928 Euro für den BEA, zusammen also 9312 Euro im Jahr, die der Fiskus nicht antasten darf. Dies dient der sogenannten horizontalen Steuergerechtigkeit: Eltern sollen gegenüber Kinderlosen mit gleichem Einkommen nicht schlechter gestellt werden. Bei der Einkommensteuer-Veranlagung wird dann das Kindergeld von derzeit 250 Euro monatlich mit der Steuerersparnis verrechnet – die sogenannte Günstigerprüfung.

Die Krux dabei: Die Systematik des Steuersystems sorgt dafür, dass Eltern mit steigendem Einkommen auch eine höhere Entlastungswirkung aus dem Kinderfreibetrag haben. „Es liegt in der Natur der Sache, dass über den progressiven Einkommensteuertarif die Entlastung mit dem Einkommen steigt, denn auch die Steuerlast steigt überproportional mit dem Einkommen“, erklärt dazu Martin Beznoska, Steuerexperte vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft. Besserverdiener profitieren vom Kinderfreibetrag also mehr als vom Kindergeld.

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Und genau das ist Paus ein Dorn im Auge. „Spitzenverdiener erhalten durch den Kinderfreibetrag umgerechnet 373 Euro im Monat, Gering- und Normalverdiener über das Kindergeld nur 250 Euro“, rechnete sie diese Woche bei der Vorstellung des Familienbarometers vor. Sie findet das ungerecht – und wittert darüber hinaus eine zusätzliche Einnahmequelle für die Kindergrundsicherung.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Kinderfreibetrag zwar mehrfach für unantastbar erklärt, auch den darin enthaltenen BEA. Das jüngste Urteil sei allerdings bereits zehn Jahre alt hat, so Paus. Mittlerweile gebe es eine viel bessere Betreuungsinfrastruktur für Kinder sowie die zusätzliche steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten.

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Hier sieht sie einen Hebel, den Freibetrag deutlich zu senken. Ein Rechtsgutachten dazu hat sie bereits in Auftrag gegeben. Unterstützung kommt vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Auch dort hält man den monatlichen Anteil von 244 Euro für Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf für überhöht, wie der Volkswirt Stefan Bach meint. „Ganz streichen kann man ihn nicht, auf ein angemessenes Maß senken aber schon.“

Widerstand gegen den Paus-Plan – auch von der FDP

Doch gegen den Plan hat sich auch heftiger Widerstand formiert. „Der Kinderfreibetrag ist keine Sozialleistung, die man nach Belieben einschränken kann. Er dient einzig und allein der verfassungsrechtlich zwingenden Freistellung des Existenzminimums der Kinder von der Einkommensteuer der Eltern“, urteilt etwa Wolfgang Scherf, emeritierter Volkswirtschaftsprofessor der Universität Gießen.

Auch Familienverbände laufen Sturm dagegen. Er halte den Vorschlag, den Freibetrag für den Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf des Kindes zu kürzen, für verfassungswidrig, sagte der Präsident des Familienbundes der Katholiken, Ulrich Hoffmann. „Der Freibetrag ist durch das Bundesverfassungsgericht anerkannt. Ihn ausgerechnet in der aktuellen Inflation zu kürzen, nachdem er seit 2010 nur einmal moderat angehoben wurde, ist nicht zu rechtfertigen.“ Auf die Ungerechtigkeit zu niedriger Familienförderung mit der Abschaffung gerechter Besteuerung zu reagieren, sei „keine Gerechtigkeit, sondern eine neuerliche Ungerechtigkeit“, so Hoffmann.

In diese Richtung argumentiert auch die FDP. „Dass Paus die Kinderfreibeträge kürzen will, ist ein Schlag ins Gesicht von Millionen von Familien. Mehrbelastungen gibt es mit der FDP-Fraktion nicht“, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionschef Christoph Meyer. Die Ampel-Koalition erhöhe die Familienleistungen bereits um sieben Milliarden Euro pro Jahr. „Familienministerin Lisa Paus soll sich jetzt um die Digitalisierung und Verwaltungsvereinfachung kümmern.“

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Meyer ist damit ganz auf der Linie von Finanzminister Christian Lindner (FDP), der per Twitter verkündete, die Bundesregierung tue mit den jüngsten Erhöhungen von Kindergeld, Kinderzuschlag und Sofortzuschlag schon viel gegen Kinderarmut. „Viele Leistungen werden nicht abgerufen, weil sie unbekannt oder kompliziert sind. Das zu ändern sollte die Priorität sein.“

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Einer Absenkung des Freibetrags lehnt das Finanzministerium ab. So teilte Lindners Ressort auf Anfrage der CDU-Finanzpolitikerin Antje Tillmann am 28. Februar im Finanzausschuss mit: „Die durch den BEA bewirkte Steuerfreistellung ist verfassungsrechtlich geboten, denn die Leistungsfähigkeit von Eltern wird, über den existenziellen Sachbedarf und den erwerbsbedingten Betreuungsbedarf des Kindes hinaus, generell durch den Betreuungsbedarf, durch den Erziehungsbedarf sowie durch den Versorgungsbedarf im Krankheits- und Pflegefall gemindert.“

Natürlich müssten Kinder aus finanziell schlechter gestellten Familien mehr von der Gesellschaft unterstützt werden als andere Kinder, sagt Tillmann. Das sei über diverse Sozialleistungen aber bereits heute schon so. Ihr Fazit: „Mit dem Vorschlag, die steuerlichen Kinderfreibeträge zu senken, um die Kindergrundsicherung zu finanzieren, spielt Bundesfamilienministerin Lisa Paus Eltern gegeneinander aus.“

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Source: welt.de