TikTok-Chef stellt sich Anhörung im US-Kongress – und erlebt „kleines Desaster“
Bei einer Anhörung vor dem US-Kongress hat sich der Chef von TikTok am Donnerstag gegen den Vorwurf der Komplizenschaft mit der Kommunistischen Partei Chinas gewehrt. Die Parlamentarier warfen Shou Zi Chew vor, sein Unternehmen sei ein Werkzeug der Datenspionage und eine Gefahr für die geistige Gesundheit von Jugendlichen, bei denen die Kurzvideo-Plattform besonders beliebt ist.
„TikTok könnte so konzipiert werden, dass Schaden für Kinder minimiert wird“, kritisierte Kathy Castor, eine demokratische Abgeordnete im Energie- und Handelsausschuss des Repräsentantenhauses, der Chew vorgeladen hatte. „Stattdessen wurde beschlossen, Kinder im Namen des Profits abhängig zu machen.“
Ihre ebenfalls demokratische Kollegin Diana DeGette kritisierte den unzureichenden Schutz vor Manipulation von Nutzern. Chews Hinweis auf entsprechende Bemühungen der Plattform ließ sie nicht gelten. „Sie haben mir nur ganz allgemein gesagt, dass Sie investieren, sich Sorgen machen, daran arbeiten.“ Das reiche nicht aus.
Chew bekräftige, dass sein Unternehmen in Bezug auf Inhalte keine Weisungen der chinesischen Regierung entgegennehme. „Wir verpflichten uns gegenüber diesem Ausschuss und allen unseren Nutzern, dass wir TikTok frei von jeglicher Manipulation durch eine Regierung halten.“ Unter anderem in den USA, Deutschland und Großbritannien ist die App auf Dienst-Handys von Regierungsmitarbeitern verboten, auch bei der EU-Kommission.
Chew verwies zudem auf milliardenschwere Investitionen zum Schutz der Daten der 150 Millionen US-Nutzer. Diese würden im Land gespeichert und vor externem Zugriff geschützt. Die aktuelle App sammele keine GPS-Ortungsdaten oder biometrische Informationen. Die bisher in Singapur gespeicherten US-Daten würden derzeit gelöscht. Die republikanische Ausschuss-Vorsitzende Cathy McMorris Rodgers hatte sich dazu vor der Sitzung in einem TV-Interview skeptisch geäußert: „Es ist klar, dass TikTok alles sagen wird, um sicherzustellen, dass es in den USA nicht verboten wird.“
Analyst Dan Ives vom Vermögensverwalter Wedbush wertet die Anhörung Chews als „kleines Desaster“. „TikTok ist jetzt das Aushängeschild für die Spannungen zwischen den USA und China. Die Parlamentarier haben viele Fragen, auf die es nicht genügend konkrete Antworten gibt.“
Im Kongress unterstützen 20 Abgeordnete und Senatoren eine parteiübergreifende Initiative, die der Regierung die Möglichkeit geben soll, ausländische Technologie zu verbieten, wenn diese die nationale Sicherheit gefährdet. Damit könnte eine hohe Hürde für das TikTok-Verbot aus dem Weg geräumt werden, an der der ehemalige Präsident Donald Trump 2020 gescheitert war: Gerichte hatten den per Dekret verordneten Bann gekippt, weil er das Recht auf freie Meinungsäußerung beschneide.
Mehr als eine Milliarde Nutzer weltweit
Experten zufolge muss allerdings auch bei einem neuen Gesetz mit Klagen gerechnet werden. „Die Beschränkung des Zugangs zu einer Plattform, die täglich von Millionen von Amerikanern genutzt wird, wäre ein gefährlicher Präzedenzfall für die Regulierung unserer digitalen Öffentlichkeit im Allgemeinen“, warnte Jameel Jaffer, Chef des Knight First Amendment Institute der Columbia Universität, das sich dem Schutz der Meinungsfreiheit verschrieben hat.
Tiktok steht zunehmend unter politischem Druck, weil die Plattform zu dem aus China stammenden Bytedance-Konzern gehört. Der Dienst ist mit mehr als einer Milliarde Nutzer weltweit die einzige auch im Westen erfolgreiche Online-Plattform, die nicht aus den USA stammt. Vergangene Woche war bekannt geworden, dass die US-Regierung Bytedance aufgefordert hatte, seine Anteile an TikTok zu verkaufen oder mit einem möglichen Verbot der App in den USA zu rechnen.
Vor der Anhörung am Donnerstag erklärte die chinesische Regierung, sie werde sich einem Verkauf der App „entschieden widersetzen“. Die Erzwingung einer solchen Transaktion würde „das Vertrauen von Investoren aus verschiedenen Ländern, einschließlich China, in die Vereinigten Staaten ernsthaft untergraben“, zitierte die „New York Times“ eine Sprecherin des Handelsministeriums in Peking.
Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz in Deutschland sieht erhebliche Risiken bei der Verwendung von TikTok. „Wenn Sie sich Umfang der Daten, der Metadaten, der Inhalte bei TikTok anschauen auf der einen Seite, und wenn Sie sich dann auch anschauen, welche Einflussmöglichkeiten staatliche Stellen auf solche Unternehmen haben, dann kann das nur Bauchschmerzen auslösen. Und die habe ich“, sagte der Vizepräsident des Inlandsgeheimdienstes, Sinan Selen, in Berlin. „Wir sind im Ausmaß dessen, worauf staatliche Stellen, gerade in China Zugriff nehmen können, nicht klar genug – ich glaube, das ist das Kernproblem bei der ganzen Sache.“
Innenministerin Faeser (SPD) sagte bei einem Besuch in Washington, sie sehe zwar kein generelles Verbot der App in Deutschland. Man müsse jedoch verstärkt darüber aufklären, dass es sich bei TikTok um eine Firma handele, bei der „die Daten natürlich abfließen können“.
Source: welt.de