Rücktritt von Bischof Bode: “Wir brauchen ein Zeichen, das wirkt”
Am vergangenen Wochenende ist erstmals ein katholischer Bischof in Deutschland zumindest auch aufgrund eigener Versäumnisse im Missbrauchsskandal zurückgetreten. Genauer: Das Rücktrittsgesuch von Bischof Bode aus Osnabrück ist, anders als das von Kardinal Marx aus München oder Erzbischof Heße aus Hamburg, vom Papst angenommen worden. Ich bin als Kirchenpolitiker von den Medien gefragt worden, was ich dazu zu sagen habe. Ich hatte dazu nichts zu sagen. Ich bin etwas müde, ständig hinterherzurufen, wenn etwas passiert. Der Schritt des Bischofs ist einerseits respektabel, andererseits begründet er ihn auch mit seiner Gesundheit und seinem Alter von 72 Jahren. Hätte der Papst einen Jüngeren gehen lassen? Wie viel hat das überhaupt mit dem Missbrauchsskandal zu tun? Und grundsätzlicher: Was bringt so ein Rücktritt?
Man kann auf zweierlei Art Verantwortung übernehmen. Indem man im Amt versucht, etwas zu korrigieren, Fehler wiedergutzumachen, die wiedergutzumachen sind, und andere wenigstens anzuerkennen und zu lindern. Oder indem man zurücktritt. Der Rücktritt macht sicher gegenüber der Öffentlichkeit und vor allem den Betroffenen deutlicher, dass hier ein Verantwortlicher Schuld eingesteht. Vor allem richtet Bodes Schritt den Scheinwerfer auf andere deutsche Bischöfe, die nicht zurücktreten (und nichts korrigieren).
In Chile hatten die Bischöfe im Jahr 2018 kollektiv, jedenfalls wohl bis auf zwei, ihren Rücktritt infolge des Missbrauchsskandals eingereicht. In Deutschland, finde ich, ist der Zeitpunkt für eine solche Aktion verstrichen. Und der Rücktritt eines einzelnen Bischofs ist eben auch nicht mehr sonderlich bemerkenswert.
Spätestens an dieser Stelle wäre eigentlich der guten Ordnung halber anzumerken, dass der Missbrauchsskandal ja keinesfalls nur die katholische Kirche betrifft, dass außerdem der Sport betroffen ist, Bildungseinrichtungen, Heime und sowieso das familiäre Umfeld den größten Tatort darstellt. So weit, so richtig und schlecht. Nur ist dreizehn Jahre nach dem Aufkommen des Skandals durch mutige ehemalige Schüler des Berliner Canisius-Kollegs, unter ihnen Matthias Katsch, der bis heute für die Rechte der Betroffenen streitet und dafür mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde, auch nicht mehr die Zeit, Dinge ins Verhältnis zu setzen, genauso wenig wie für kollektive Rücktritte. Es ist Zeit, ein deutliches Zeichen der Anerkennung zu setzen. Ein Zeichen, das mehr ist als ein Symbol. Wir brauchen ein Zeichen, das wirkt. Die Errichtung einer Bundesstiftung für die Opfer sexualisierter Gewalt wäre ein solches Zeichen.
In die Politik ist seit der letzten Bundestagswahl Bewegung gekommen. Das Thema Kinderschutz hat endlich einen angemessenen Stellenwert im Koalitionsvertrag gefunden. Viele, insbesondere der neuen, jüngeren Kolleginnen und Kollegen gehen die Themen unverstellt und engagiert an. Klar, könnte man sagen, da spricht der Sozialdemokrat, der stolz darauf ist, die neue Regierung anzuführen. Doch Sozialdemokraten haben auch in den acht Jahren davor mitregiert. Das Thema wurde, wenn überhaupt, mit spitzen Fingern angefasst. Ja, es gab Gesetzesverschärfungen, ja, die Stelle des Unabhängigen Beauftragten für die Opfer sexualisierter Gewalt wurde entfristet. Doch insbesondere die Aufarbeitung wird weitgehend den betroffenen Institutionen selbst überlassen, als könne man Staatsanwalt, Richter und Täter in einer Person sein. Ohne Aufarbeitung aber kein Lernen und ohne Lernen keine wirksame Prävention. Entschädigungen sind in keinem gesellschaftlichen Bereich zufriedenstellend zu regeln. Doch das Nebeneinander von oft willkürlichen Anerkennungsleistungen der betroffenen Institutionen, vor Gerichten einzuklagenden Entschädigungsleistungen und den eher kümmerlichen Beiträgen aus dem Fonds Sexueller Missbrauch kann auch niemanden zufriedenstellen.
Der Maßstab ist wahrscheinlich auch zu hoch gegriffen. Wie soll man angesichts des entstandenen Leids Zufriedenheit erreichen? Sexualisierte Gewalt gehört zum Schlimmsten, was Menschen, insbesondere Kindern, angetan werden kann. Viele lassen die Erfahrungen ein ganzes Leben lang nicht los. Doch steckt in dem Wort “Zufriedenheit” ein anderes Wort: Frieden. Individuell muss jede und jeder seinen eigenen Weg finden, aber gesellschaftlich sollte es uns doch gelingen, unseren Frieden zu machen mit dem, was in der Vergangenheit passiert ist. Einfach, weil dann die Kräfte frei sind, nach vorne, für die Zukunft alles Menschenmögliche zu tun, um neues Leid zu vermeiden. Es ist Zeit für einen befriedenden Akt. Wir brauchen ein starkes gemeinschaftliches Symbol der Anerkennung dessen, was von vielen Seiten in der Vergangenheit verbrochen und in der Abhilfe und Aufarbeitung versäumt wurde. Und das gleichzeitig in die Zukunft wirkt. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt.
Eine Bundesstiftung für die Opfer sexualisierter Gewalt wäre ein kraftvolles Zeichen. Ihre Mittel sollten von betroffenen Organisationen und dem Staat kommen. Die Kirchen täten gut daran, sich in einer solchen Stiftung finanziell zu engagieren. Private Zustiftungen müssen möglich sein. So könnte und sollte auch Kardinal Marx seine private Stiftung für Missbrauchsopfer in die gemeinschaftliche Stiftung überführen. Denn auch bei den Entschädigungen wollen Betroffene endlich aus dem Kontrollbereich der Institutionen heraus, in deren Rahmen sie das Leid erfahren haben.
Der Stiftungsgedanke und auch alternative Vorschläge wie ein Opfergenesungswerk sind nicht neu. Vielleicht ist die Zwangsarbeiterstiftung ein Modell, das Pate stehen kann. Die Tätigkeitsfelder der Stiftung wären auszuarbeiten. Sie könnte so etwas wie eine Clearingstelle sein, wenn Betroffene bei den Entschädigungen nicht weiterkommen. Vor allem sollte sie konkrete Hilfen anbieten. Kürzlich hatte ich Besuch von der Charité in Berlin, die ein großartiges Projekt zu anonymen Therapien für Opfer sexualisierter Gewalt entwickelt hat. Anonym bedeutet, dass die Krankenkassen nicht zahlen. Anonym bedeutet aber auch, dass die Hilfen angenommen werden. Es wurden Bettelbriefe an die Kirchen zu Finanzierung des Projektes geschrieben. Wirksame Hilfen dürfen aber nicht im Ermessen der Institutionen liegen, die für die Taten verantwortlich sind, sie gehören bereitgestellt von uns, als Gesellschaft. Denn (fast) alle haben weggeschaut. Und alle werden gebraucht, eine Kultur des Hinsehens zu entwickeln. Die Bundesstiftung könnte dafür der Motor werden.
Derzeit arbeitet die Bundesregierung daran, die Staatsleistungen an die Kirchen mit einer Ablösesumme zu beenden. Mittlerweile hört man aus kirchlichen Kreisen Besorgnis, was das wieder für einen Shitstorm geben könnte, wenn von so vielen Milliarden die Rede ist, die nochmals an die Kirchen gezahlt werden müssen. Ich wünsche den Kirchen viel Erfolg bei den Verhandlungen. Und rate ihnen: Nehmt einen ansehnlichen Betrag der Ablösesumme und baut die Bundesstiftung mit auf. Am besten, die Kirchen sagen das frühzeitig schon zu. Es könnte ein Wendepunkt werden, in der Debatte, vor allem aber für die Betroffenen.