News des Tages: Hitzesommer, Wolfgang Kubicki und die Klimakleber, Notstand in der Baubranche

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1. Grüne Skipisten, brennende Wälder – das extrem heiße Jahr 2022 zeigte den Klimawandel deutlich


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[M] DER SPIEGEL / Christopher Furlong / Getty Images


In unserem Land sei der Sommer ein »grün angestrichener Winter«, hat der oft zum Scherzen aufgelegte Schriftsteller Heinrich Heine behauptet, »sogar die Sonne muss bei uns eine Jacke von Flanell tragen, wenn sie sich nicht erkälten will«. Das ist fast zwei Jahrhunderte her. Heute nehmen die allermeisten Menschen – und sogar die Dichter – die Jahreszeiten gründlich anders wahr. Im Jahr 2022 hat Europa hat den heißesten Sommer und das zweitwärmste Jahr seit dem Beginn verlässlicher Wetteraufzeichnungen erlebt, so hat das Erdbeobachtungsprogramm der EU gerade festgestellt. Auch in anderen Monaten war es extrem warm, heißt es im neuen Bericht des Programms, das den schönen Namen Copernicus trägt.

Meine Kollegin Anika Freier und meine Kollegen Bastian Mühling und Ferdinand Kuchlmayr zeigen in einer Auswertung  der Copernicus-Daten das Ausmaß der klimabedingten Erwärmung. In Europa steigen die Temperaturen schneller als auf jedem anderen Kontinent – und doppelt so schnell wie im weltweiten Durchschnitt. Besonders spürbar wird die Hitze natürlich im Sommer, im August 2022 lag die Durchschnittstemperatur etwa in der Region um Toulouse in Südfrankreich um bis zu 4,1 Grad Celsius höher als im langjährigen Mittel. In Deutschland betrug die Abweichung zum Beispiel in der Region um Bonn bis zu 3,8 Grad Celsius.


Ich finde die Grafiken und Zahlen ebenso anschaulich wie beunruhigend. »In Europa war es nicht nur zu heiß«, heißt es in dem Text, »sondern auch zu trocken.« In weiten Teilen des Kontinents blieben die Regenmengen geringer als in den allermeisten Vorjahren. Insgesamt lag die Durchschnittstemperatur der vergangenen fünf Jahre etwa 2,2 Grad Celsius über jener des vorindustriellen Zeitalters.

»Zwar können einzelne Sommer kalt sein, einzelne Winterwochen viel Schnee bringen, doch der Trend ist eindeutig«, schreiben die Kollegin und die Kollegen. Die Erde erhitzt sich weiter. Wenn Sie wie ich in Norddeutschland leben und in Erinnerung an frühere Schmuddelzeiten manchmal in Versuchung geraten sich über Hitzetage zu freuen: Es gibt leider keinen vernünftigen Grund dazu.

2. FDP-Vize Wolfgang Kubicki fordert harte Strafen für Verkehrsblockaden von Klimaschützern

Viele Menschen in Deutschland streiten darum, wie sich die Klimakrise politisch wirksam bekämpfen lasst. Heute haben wieder Aktivistinnen und Aktivisten der »Letzten Generation« mit einer ihrer umstrittenen Aktionen gegen die ihrer Meinung nach zu lasche Klimapolitik protestiert. Am Morgen behinderten sie in Berlin durch Blockaden den Verkehr. In Charlottenburg kam es offenbar zu Auseinandersetzungen mit Autofahrern, bevor sich eine Gruppe vor der Oper auf die Straße setzte und festklebte.

Am Sonntag soll eine von der »Letzten Generation« angekündigte Versammlung am Brandenburger Tor stattfinden, ab Montag dann der »Stadtstillstand« beginnen. Hierfür hat die Gruppe dazu aufgerufen, Berlin mit so vielen Straßenblockaden und Protestaktionen lahmzulegen wie möglich. Die Aktivistinnen und Aktivisten fordern die Bundesregierung auf, einen Plan zum Erreichen des international angestrebten 1,5-Grad-Ziels vorzulegen, mit dem man die schlimmsten Folgen der Erderwärmung verhindern will. Viele Politikerinnen und Politiker, auch der Grünen, haben zuletzt die Form des Protests kritisiert.

Ich verstehe die Kritik, muss aber trotzdem oft an einen Songtext der Band Die Ärzte denken: »Glaub keinem, der dir sagt, dass du nichts verändern kannst«, heißt es in diesem Aufruf zu energischem Widerstand. »Geh mal wieder auf die Straße, geh mal wieder demonstrieren / Denn wer nicht mehr versucht zu kämpfen, kann nur verlieren / Die dich verarschen, die hast du selbst gewählt / Darum lass sie deine Stimme hör’n, weil jede Stimme zählt.«

Der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki hat heute mal wieder seine besonders raue Stimme erhoben – und Klimaaktivisten dazu auf gefordert, Störaktionen im Rahmen des Bundesparteitags der Liberalen bleiben zu lassen. »Wer sich festklebt, um andere bei ihrer demokratischen Willensbildung zu behindern, versündigt sich an unserer Demokratie«, sagte Kubicki. Er forderte harte Strafen für die Aktivisten. »Auch andere Gruppen könnten sich anmaßen, das, was sie für richtig halten, selbst durchzusetzen.«

Mein Kollege Hannes Schrader lebt in Berlin und verfolgt die Aktionen der Aktivistinnen und Aktivisten seit Monaten. Er sagt: »Herr Kubicki täte gut daran, angesichts der angekündigten Proteste cool zu bleiben, sich mal aufs Fahrrad zu setzen und am Streiktag das größte Freiheitsgefühl überhaupt zu genießen: Ungestört an einem Autostau vorbeiradeln, wohlwissend, dass er der Umwelt, aber natürlich zuallererst sich selbst etwas Gutes tut.« Dann könnte er, hoffentlich erfrischt am Ziel angekommen, »seinen Parteifreund Volker Wissing an dessen Gesetzestreue erinnern, was die Durchsetzung der Klimaziele im Verkehrssektor angeht«.

3. Bauunternehmer und Mieterschützer schlagen Alarm, dass zu wenige Wohnungen gebaut werden – auch weil das Bauen aus politischen Gründen zu teuer ist

In Berlin fand heute ein Wohnungsbau-Tag statt, den die Immobilienbranche dazu nutzte, den Notstand auszurufen. Offenbar mit guten Gründen. Um den Bedarf an Wohnraum in Deutschland zu decken, wäre allein 2023 der Bau von 700.000 Wohnungen nötig. Doch der Anstieg der Kosten für Grund und Boden, Bau und Finanzierung werfen viele Kalkulationen über den Haufen. Bezahlbare Mieten sind so kaum noch zu erreichen.

Im Februar wurden laut Statistischem Bundesamt nur 22.300 neue Wohnungen genehmigt – 20,6 Prozent weniger als vor einem Jahr. Damit ging die Zahl der Baugenehmigungen seit Mai vergangenen Jahres jeden Monat stetig zurück, seit Oktober sogar jeweils um mehr als zehn Prozent. Trotzdem will Bundesbauministerin Klara Geywitz von der SPD die Neubauförderung kürzen.

Mein Kollege Michael Kröger berichtet , dass sich Baufirmenchefs, Entwickler, Gewerkschaften und Mieterschützer einig sind: Wenn der Staat nicht schnell und beherzt eingreift, wird dem Wohnungsbau eine lange Krise bevorstehen. Eine heute präsentierte Studie fasst die wohl einigermaßen dramatische Lage so zusammen: »Wenn jetzt nichts passiert, dann gibt es beim Wohnungsbau keine Talfahrt, dann erleben wir beim Neubau von Wohnungen einen regelrechten Absturz.«

Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:

  • Ukraine bereitet neue Truppen für Fronteinsatz vor: Laut Ukraines Präsident Selenskyj rüsten sich neue Einheiten des Grenzschutzes für den aktiven Einsatz. Washington wird Kiew weitere Ausrüstung im Wert von knapp 300 Millionen Euro schicken. Und: Für Alarm sorgte ein ungewöhnlicher Lichtschweif über Kiew.

  • Ukrainische Frontkämpfer erhalten rund 2500 Euro pro Monat: 100.000 Hrywnja, umgerechnet etwa 2500 Euro – das erhalten ukrainische Soldaten, die an vorderster Front gegen russische Truppen kämpfen. Soldaten, die nicht direkt an Kämpfen beteiligt sind, erhalten weniger bis keine Zulage.

  • Frachterstau am Bosporus: Noch gilt das Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland. Doch die Inspektionen stocken, Dutzende Schiffe stauen sich – und vor allem läuft die Vereinbarung demnächst aus. Wie geht es weiter? Hier das Video.

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update


Podcast Cover


Was heute sonst noch wichtig ist

  • »Starship«-Rakete explodiert kurz nach dem Start: Die größte Rakete der Welt ist erstmals abgehoben. Das »Starship«-Raumschiff von Elon Musks Firma SpaceX startete in Texas zum Testflug – und explodierte Minuten später. Das Unternehmen wertet den Versuch trotzdem als Erfolg.

  • Haftbefehl wegen anderer Sexualstraftaten aufgehoben: Christian B. war wegen Vergewaltigung und Kindesmissbrauch angeklagt, jetzt erklärt sich das Gericht für »nicht zuständig« – und hebt den Haftbefehl auf. Frei ist der Verdächtige im Fall Maddie allerdings noch nicht.

  • Staatsanwaltschaft Halle will Anklage gegen Björn Höcke erheben: Wegen eines Nazispruchs hatte ein Grünenpolitiker den Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke angezeigt. Nach SPIEGEL-Informationen soll nun eine Anklage folgen.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Wird es jetzt eng für Oliver Kahn? Trainerwechsel ohne Wirkung, die Debatte über den Sturm lauter denn je: Die Vereinsspitze des FC Bayern gerät nach dem erneut frühen Scheitern in der Champions League unter Druck – vor allem Vorstandschef Kahn .

  • »1,49 Euro für ein halbes Kilo Erdbeeren, das ist zu billig«: Dürre in Andalusien: Dennoch soll der wasserintensive Erdbeeranbau ausgeweitet werden, auch für Exporte nach Deutschland. Spaniens Vizepremierministerin Teresa Ribera sagt, wie sie das Vorhaben stoppen will .

  • »Wenn jemand klingelt, gerate ich in Panik – es könnten ja maskierte Schergen sein«: Kaum Wasser, dunkle Zellen – und immer wieder die Angst: Unser Autor war einer von Tausenden politischen Gefangenen in Iran. Hier beschreibt er anonym, was er in den Kerkern des Regimes erlebt hat .

  • Mein Geheimtipp gegen Heuschnupfen: Fast alle haben einen vermeintlich besonderen Ratschlag für von Heuschnupfen geplagte Menschen parat. Dabei ist der beste einer, der ganz unglamourös daherkommt .


Was heute weniger wichtig ist: Der Royale Briefmarkenschatz

König, reich: Charles III., 74, besitzt offenbar eine Sammlung von Hunderttausenden Briefmarken, die auf einen Wert von 100 Millionen Pfund geschätzt wird. Das hat das Reporterteam einer britischen Zeitung herausgefunden, die das gesamte Vermögen des Monarchen ermitteln wollte und unter anderem das royale Inventar an Schlössern, Ländereien, Autos, Pferden und Gemälden taxiert hat. Charles III. besitzt offenbar Reichtümer im Wert von knapp zwei Milliarden Pfund. Eine Sprecherin des Buckingham Palace wies die Reporter-Einschätzungen zurück: Die Zahlen seien »eine höchst kreative Mischung aus Spekulationen, Annahmen und Ungenauigkeiten«.

Mini-Hohlspiegel

Von einem Aufsteller in einem Pflanzencenter in Bochum

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Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.

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Illustration: Thomas Plaßmann


Und heute Abend?

Könnten Sie anfangen, den neuen Roman von Salman Rushdie zu lesen. Mein Kollege Arno Frank ist allerdings nicht wirklich begeistert  von »Victory City«, der bereits fertig war, als der tapfere Rushdie im August 2022 ein Attentat nur knapp knapp überlebte. Trotzdem macht Arnos fröhlich ablehnende Besprechung des in einer längst vergangenen Zeit spielenden Buchs Lust auf die Lektüre.

Es handele sich um »eine Rückkehr zu den Quellen des Erzählens« und einen Galopp des Schriftsteller durch ein »Game of Thrones«-Szenario, in dem die Könige schneller wechseln als sie inthronisiert sind. Seine Stammkundschaft werde Rushdie mit »Victory City« keineswegs enttäuschen. »Wie nebenbei werden Feminismus, Identitätspolitik, Kunstfreiheit oder Laizismus abgehandelt – fehlt nur noch ein Absatz zur Mülltrennung im Indien des 15. Jahrhunderts.«  

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend, herzlich

Ihr Wolfgang Höbel, Autor im Kulturressort