Ende des Müllsacks am Straßenrand: Ist New York ein Vorbild für Deutschland?

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Die 71th Street auf der Upper Westside ist auffällig anders als die meisten Straßen in New York. Die Vorgärten neben den steinernen Treppenaufgängen sind piekfein gepflegt, der Gehweg glänzt, als hätte eben erst jemand gekehrt. Es ist ein ungewohntes Bild in der Weltmetropole, ertrinkt New York doch vielerorts im Müll. Das Sauberkeitsgeheimnis auf der Upper Westside steckt in großen, schwarzen Containern, die hier und da am Straßenrand stehen. Statt wie üblich die Müllsäcke auf die Straße zu werfen, bringen Bewohner ihren Abfall zu den Sammelstellen.

Ein Erfolg, der sich jetzt möglichst stadtweit durchsetzen soll. New York könnte vor einer Revolution bei der Abfallentsorgung stehen. Müllsäcke sollen von den Straßen der Weltmetropole verschwinden, dafür sollen überall schmucke Sammelcontainer aufgebaut werden.

Wie das Mega-Projekt gelingen soll, hat Bürgermeister Eric Adams jetzt in einer viel beachteten Studie vorgestellt. Die Umrüstung würde nicht nur Hunderte Millionen Dollar kosten, auch die Bewohner müssten sich in ihrem Alltag massiv umstellen. Doch Adams ist von seinem Plan überzeugt. Und das nicht zuletzt deshalb, weil auch Dutzende andere Metropolen weltweit auf Nachbarschaftstonnen setzen. Nicht so in Deutschland – hier sieht man vor allem die Probleme.

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Für Bürgermeister Adams, den 62-jährigen Demokraten, gehört der Kampf gegen den Müllsack zu den wichtigsten Projekten seiner Amtszeit. „Wir müssen endlich aufhören, schwarzen Müllsäcken auszuweichen“, fordert er. Stattdessen sollen die Straßen sauberer und einladender für New Yorker sowie für Besucher werden. „Umweltgerechtigkeit beginnt auf der Straße, und sie beginnt jetzt.“

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Die jüngste Studie, geschrieben von der örtlichen Entsorgungsbehörde, bestätigt seinen Tatendrang. Ganze 89 Prozent der Straßen wären für die Umstellung auf Container geeignet. Das würde immerhin drei Viertel der städtischen Haushaltsabfälle betreffen.

So investiert New York jetzt eifrig in neue Pilotprojekte. Im Stadtteil Harlem sollen bis zum Herbst in zehn Wohnblöcken und an 14 Schulen wohl mehr als hundert neue Sammelcontainer aufgestellt werden. Um den Müll auch weiterhin zu trennen, sind die Einwurfschächte beschriftet – für Restmüll, Plastik und Glas, Pappe. Müllwagen, die mit mechanischen Kippern nachgerüstet sind, holen dann täglich den Müll aus den Gemeinschaftstonnen ab.

Rund 5,6 Millionen Dollar soll allein dieser Testlauf kosten. Jüngst startete ein solches Projekt auch am belebten Times Square, wo der Abfall fortan in zwei größeren Containeranlagen gesammelt wird. Sie sind mit braunen Bambusplatten verkleidet, jeweils eineinhalb Meter hoch – und fassen rund 200 der bisherigen Müllsäcke.

Quelle: Infografik WELT

Den New Yorker Behörden geht es bei ihrem Plan nicht nur um die Verschönerung der Straßen. Die Verbannung der Müllsäcke ist auch eine Kampfansage an den „Staatsfeind Nummer eins“, wie Adams sagt: die Ratten. Im vergangenen Jahr sollen die Behörden eine doppelt so hohe Aktivität der Tiere protokolliert haben wie im Jahr zuvor.

Zum 1. April bekamen Bewohner deshalb striktere Regeln auferlegt: Die Müllsäcke für den nächsten Tag dürfen nicht mehr vor 20 Uhr auf die Straße geworfen werden statt wie bisher 18 Uhr. Wer gegen diese Auflagen verstößt, riskiert hohe Bußgelder.

Mit Wildkatzen gegen die Rattenplage?

Wie ernst es den Behörden ist, zeigt auch eine neue Personalie im Rathaus. Kathleen Corradi ist seit wenigen Wochen die erste Rattenbeauftragte der Stadt. Ihr einziger Job: die kleinen Nager in der Millionenmetropole zurückzudrängen. „Die Ratten werden Kathy hassen, aber wir freuen uns, dass sie diese wichtige Arbeit macht“, sagte Adams bei der Vorstellung. Sie verfüge über das Wissen, den Tatendrang und die Erfahrung, um die Tiere in die Flucht zu schlagen.

Auch Adams exzentrischer Widersacher, der Republikaner Curtis Silwa, hatte sich für den Posten des obersten Rattenbekämpfers in Stellung gebracht. Am Ende scheiterte sein Vorstoß wohl nicht nur an der politischen Rivalität, sondern auch an seiner skurrilen Idee: Die Stadt solle doch einfach Wildkatzen aussetzen.

Adams setzt lieber auf eine bessere Abfallbeseitigung. Zwar werden die nötigen Ausgaben für die Müllrevolution in der Studie nicht beziffert, sie dürften jedoch im dreistelligen Millionenbereich liegen. Schließlich müssten nicht nur überall neue Container angeschafft werden. Die Stadt dürfte auch neue Müllwagen kaufen und die Frequenz der Abholungen erhöhen.

Amsterdam und Barcelona als Vorbilder

Und nicht zuletzt zahlen auch die Bürger einen Preis: Damit die Container auch Platz haben, müssten wohl insgesamt 150.000 Parkplätze verschwinden, heißt es in der Studie. In einigen Blöcken würden dann bis zu 25 Prozent der Bordsteinfläche durch die neuen Sammelbehälter belegt sein. Das könnte dann auch Außenbereichen von Restaurants oder Stationen von Fahrradverleihern zum Verhängnis werden.

In New York ist man dennoch überzeugt – nicht zuletzt wegen der guten Vorbilder. Metropolen in anderen Ländern haben ihre Abfallentsorgung längst neu erfunden. Amsterdam hat in den vergangenen Jahren in unterirdische Sammelcontainer investiert. Auf den Gehwegen finden sich fest installierte Tonnen, in die Bewohner ihre Müllsäcke werfen. Anschließend fallen diese dann in einen Container unter der Erde. Ratten und Waschbären kommen dort nicht heran.

Auch das katalanische Barcelona gilt als Vorbild bei der Entsorgung. Hier haben die Bürger innerhalb von 100 Metern zu ihren Wohnungen ebenfalls Container für Rest- und Biomüll, aber auch Dosen, Glas und Pappe. Das Besondere: Viele der Behälter sind über ein unterirdisches Rohrnetz miteinander verbunden. Die Müllabfuhr kann den Abfall dann an einer zentralen Stelle einsammeln.

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In Deutschland hingegen hängt man vielerorts an den Mülltonnen für jeden Haushalt. Zwar wurden in der Vergangenheit einzelne Erfahrungen mit Sammelcontainern gemacht – so etwa in Köln. Von den 1980er-Jahren bis ins neue Jahrtausend hinein gab es in der Domstadt Sammelstellen für Altpapier und Verpackungsabfälle für einzelne Straßenzüge. Doch 2004 wurde dieses Bringsystem in ein Holsystem umgewandelt und die Haushalte sukzessiv binnen drei Jahren im gesamten Stadtgebiet mit blauen und gelben Tonnen ausgestattet.

„Nachhaltigkeit ist kein Zustand, sondern ein permanenter Prozess“, heißt es dazu von den Abfallwirtschaftsbetrieben Köln (AWB), dem kommunalen Entsorgungsunternehmen der Stadt. „Um die Sammelmengen zu steigern und die Wertstofftrennung für die Bürger möglichst einfach zu gestalten, hat der Rat der Stadt Köln damals die Umstellung beschlossen.“

Der Nachteil der Sammelplätze

Tatsächlich ist die Anschlussquote hoch. Gut 90 Prozent der Haushalte in der Millionenstadt verfügen mittlerweile über eine blaue Tonne fürs Altpapier, gut 87 Prozent haben eine gelbe Tonne für die Verpackungsabfälle. Die Umstellung hat aber einen weiteren Grund. „Container verleiten stets dazu, auch wilden Müll dort abzulegen“, sagt eine AWB-Sprecherin.

„Durch das andere System bieten wir dafür nun weniger Stellfläche.“ Von diesem Phänomen berichtet auch der Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE). „Für das Stadtbild sind solche Sammelplätze kontraproduktiv“, sagt Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock. „Denn dadurch werden immer auch Dreck-Ecken geschaffen.“ Selbst wenn die Container unterirdisch verbaut sind, würden an den Einwurfschächten oftmals Säcke und Sperrmüll abgelegt.

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Der BVSE, bei dem vor allem die kleinen und mittelständischen Unternehmen der Abfallwirtschaft organisiert sind, sieht neben der Optik aber ein noch viel größeres Problem: „Die Qualität der Sammlung ist bei Containern deutlich schlechter“, sagt Rehbock. Die Bedeutung von Recycling und Kreislaufwirtschaft sei aber so groß wie noch nie.

„Papier und Verpackungen sind kein Müll, sondern Wertstoffe. Wir brauchen also möglichst viel davon zurück und das in einem möglichst guten Zustand, um daraus neues Papier und neue Verpackungen machen zu können.“

Je anonymer, desto schlechter die Mülltrennung

Geht es um die Verpackungen, verspricht laut BVSE der gelbe Sack die beste Qualität, auch weil er eine bessere soziale Kontrolle ermögliche. „Außerdem können die Müllwerker sofort erkennen, ob es Fehlwürfe gibt, weil sie zum einen durch die Sackwand durchgucken können und zum anderen anhand des Gewichts sofort merken, ob da Dinge drin sind, die nicht hineingehören“, erklärt Rehbock.

In dem Fall sind die Entsorger angewiesen, den Müll mit einem entsprechenden Hinweis stehenzulassen. Bei der gelben Tonne sei das schwieriger. „Weil man die aber einem Haushalt zuordnen kann, ist das immer noch besser als bei den anonymen Containern.“

Wie groß das Problem ist, zeigen Zahlen der „Initiative Mülltrennung wirkt“. Danach werden in Deutschland rund 2,6 Millionen Tonnen Abfall pro Jahr über gelbe Tonne und gelbe Säcke gesammelt. Nur etwa 70 Prozent davon sind auch wirklich gebrauchte Verpackungen. „Je weiter weg vom Privaten, desto schlechter ist die Mülltrennung“, lautet eine Faustregel in der Branche. Beim Containersystem dürfte es noch schlimmer sein.

Auch in der 71. Straße auf der Upper Westside in New York ist noch unklar, wie ernst es die Bewohner mit der Mülltrennung nehmen werden. Zu jung ist das Projekt, zu dunkel sind die Tiefen der Sammelcontainer. Und so bleibt abzuwarten, ob in der sauberen Straße nicht mehr Schein als Sein steckt.

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