Nachruf auf den Musikplakatkünstler Günther Kieser
Günther Kieser war ein Gestalter von Plakaten, Programmheften und Kunstkatalogen, ein Bildner von frei entworfenen Charakterköpfen (aus bemaltem Styropor), ein Zeichner sämtlicher Figuren von Mozarts „Don Giovanni“ (aber nur aus Zeichen der Notenschrift) – was immer er schuf, es war Ausdruck einer tiefverwurzelten Menschlichkeit.
Die Mittel dazu bestanden im zeichnerischen Vermögen, insbesondere zur Darstellung der menschlichen Figur, sowie in einer Erfindungskraft, die Kieser für jedweden Anlass zu einer frappierenden Bildidee befähigte. Collage, Montage, handwerkliches Erspüren einer lyrischen Form – das zeichnet Kiesers umfassende Arbeitsweise aus. Was am Ende Plakat war, wurde aus einer Geisteseingebung und einer experimentierfreudigen Formung von Materialien minutiös erarbeitet. Kreativität, lange vor der Zeit des Computers.
Jimi Hendrix bannte er 1969 in eine Komposition, die die Gesichtszüge einem kleinformatigen Pressefoto überlässt, über dem sich der mächtige Haarpilz als vehementes Gewirr aus knallbunten Kabelschläuchen abhebt: visuelles Pendant jener spektakulären Klänge, die dem wahnsinnig zauberhaften Duett zwischen E-Gitarre und Lautsprecherbox entsprangen, mit denen Hendrix gegen die Politik seiner Zeit anspielte. Kiesers Plakat zum Konzert des amerikanischen Musikers in der Jahrhunderthalle von Hoechst gehört zu den wenigen Belegstücken, die die Kraft hatten, aus ihrer Gattung auf das Gesamtbild der Zeitumstände überzuspringen und den Status einer Ikone zu etablieren.
American Folk Blues, Frankfurter Jazzfestival, Berliner Jazzfest, Berliner Jazztage – für jedes der führenden Foren des Jazz in Deutschland war Kieser der unentbehrliche Arrangeur des Vorspiels auf der Bühne des Plakats. Jeder dieser Konzertreihen schuf er ihr unverwechselbares Signum: die Gitarre (American Folk), die Instrumenten-Collage (Frankfurt) oder das körpersprachliche, durchaus politisch zu lesende Sujet (Berlin Jazztage).
Kein Plakat entstand ohne den minutiös modellierten oder gemalten plastischen Entwurf: jeweils perfekt ausgeleuchtet dann zur Fotografie umgesetzt. Die Typographie konnte – am Rand des Lesbaren – klein ausfallen; es war ja das Plakat-Ganze, das sich als Leitmotiv einer Konzertreihe untrüglich ins Auge des Betrachters brannte. Günth er Kiesers Auszeichnungen – auch international – sind ungezählt. Seine Ausstellungen gipfelten 1995 in einer Gesamtschau im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst. Seinen Reichtum an Schöpferischem hatte Kieser als Professor an der Bergischen Universität von Wuppertal (in der Nachfolge von Willi Fleckhaus) weitergegeben.
Im seiner Heimat, dem Rhein-Main-Gebiet, trat der in Kronberg geborene Kieser zum letzten Mal vor zwei Jahren öffentlich in Erscheinung: anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung seines Freundes Uwe Loesch im Offenbacher Klingspor-Museum, das zu einem besonders wichtigen Ort der Pflege seines Werks geworden war. Als der immerjunge Alte – Kieser war damals neunzig – den Saal betrat, erhob sich das Publikum zu einer spontanen stehenden Ovation auf – aus Hochachtung für einen Künstler, der an geistvoller Bescheidenheit nicht zu überbieten war. Am 22. März, zwei Tage vor seinem dreiundneunzigsten Geburtstag, ist Günter Kieser, wie seine Familie erst jetzt bekanntgab, in Offenbach gestorben.