Reich wie nie? So gravierend sind die Folgen der Geld-Illusion

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Reichtum ist relativ. Hunderttausend Euro können für eine Arbeiterfamilie viel Geld sein, in einem Villenort dagegen als Kleckerbetrag anmuten. Doch Vermögen ist auch auf andere Weise relativ: 100.000 Euro von heute haben längst nicht mehr den gleichen Wert wie vor 25 Jahren, als die Währung eingeführt wurde.

In guten Zeiten können sich Menschen der Illusion hingeben, dass ein Geldschein immer so viel wert ist, wie der Betrag, der darauf abgedruckt ist. In Inflationszeiten wie den jetzigen wird die Geldillusion jedoch zwangsläufig auffliegen.

Auf dem Papier ist Deutschland so reich wie nie zuvor. Gerade auch das Geldvermögen (ohne Immobilien, Autos oder Kunst) erscheint mit 7254 Milliarden Euro riesig. Doch in den vergangenen Jahren schreitet der Kaufkraftverlust unseres Geldes schneller voran, als die Bundesbürger durch Sparen und Investieren neues Vermögen aufbauen.

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Bereinigt man das Vermögen der Deutschen um diese Geldillusion, mutet der Reichtum weniger imposant an. In der Kaufkraft des Jahres 1999 haben die Bundesbürger lediglich 4742 Milliarden Euro auf der hohen Kante, wie aus WELT-Berechnungen hervorgeht. Die Diskrepanz von 2,5 Billionen (also rund 2500 Milliarden) Euro ist praktisch die Geldillusion.

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Das Jahr 1999 bietet sich deshalb als Bezugspunkt an, weil die Deutsche Bundesbank hier die Vermögensstatistik beginnen lässt. Außerdem ist 1999 die Geburtsstunde des Euro als Buchgeld, die Banknoten und Münzen wurden erst 2002 eingeführt.

Durch Sparen und Investieren haben die Deutschen ihr Geldvermögen zwischen Anfang 1999 und Ende 2022 um 131 Prozent steigern können, wie aus der Vermögensstatistik der Bundesbank hervorgeht. Unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Geldentwertung mutet der Wohlstandszuwachs ungleich bescheidener an, das reale Plus, also das Plus nach Abzug der Inflation, beträgt nur 51 Prozent.

Quelle: Infografik WELT

Die ganze Wahrheit ist sogar noch ernüchternder: Der Wohlstand hat sich nicht die ganze Zeit über so schwach entwickelt. Das Gros der Kaufkraftverluste ist in den zurückliegenden zwei Jahren entstanden.

Besonders deutlich wird das bei der beliebtesten Anlageform der Deutschen, dem Bankkonto. Das sollte besser als Nicht-Anlageform bezeichnet werden.

Denn schon der aktuellen Multikrise brachte Geld auf Sparbuch und Girokonto keine Zinsen ein. Mit dem Hochschnellen der Inflation wurden Bargeld und Guthaben in Windeseile entwertet.

Quelle: Infografik WELT

Seit Mitte 2020 (dem ersten Pandemie-Sommer) haben die Bundesbürger wie in den Jahren und Jahrzehnten zuvor weiter eifrig Geld aufs Konto gepackt oder in Form von Scheinen gehortet: Insgesamt war ihr Vermögen in Form von Bankeinlagen und Bargeld bis Ende 2022 um 370 Milliarden Euro angeschwollen, rechnerisch also um 4400 Euro je Einwohner.

In der realen Betrachtung – nach Abzug der Inflation –, war der imposante Betrag von zuletzt 3114 Milliarden auf Konten und Schubladen kaum mehr wert als die 2744 Euro vom Sommer 2020.

Überhaupt erweisen sich Spar-Traditionen der Bundesbürger in der Hochinflations-Ära als großes Problem. Obwohl die Deutschen im letzten Jahrhundert gleich zweimal Opfer einer nahezu absoluten Geldentwertung wurden, 1923 und dann noch mal nach dem Zweiten Weltkrieg, verlassen sich viele Familie bei der Bildung von Ersparnisse auf Bankguthaben und Zinsprodukte.

Deutsche bevorzugen Tagesgeld und Lebensversicherungen

Ende 2022 entfielen ganze 43 Prozent des Geldvermögens auf Bargeld und Einlagen. Private Renten- und Lebensversicherungen standen für rund ein Drittel des Geldvermögens (31 Prozent). Auch diese Anlageklasse warf in der langen Zeit der Niedrigzinsen deutlich weniger ab, als die Geldentwertung an Kaufkraft auffraß, was viele Versicherungskunden auf ihren Standmitteilungen schwarz auf weiß nachlesen können.

Auf Aktien und Investmentfonds, die die Chance bergen, höhere Erträge zu erwirtschaften, entfielen 24 Prozent. Hier liegt die Chance für die Zukunft. Der Kaufkraftverlust lässt sich zwar nicht rückgängig machen, doch durch eine bessere Diversifizierung ihrer Anlagen besteht die Chance, dass der Vermögensschwund gestoppt wird.

Laut einer Erhebung des Leipziger Finanzportals Tagesgeldvergleich.net liegen 30,9 Prozent als Bargeld und Sichteinlagen auf dem Girokonto unverzinst herum. Weitere zwölf Prozent sind als Spareinlagen bei Banken deponiert, deren Ziel primär nominaler Vermögenserhalt bei höchster Sicherheit sowie bei Tagesgeld die tägliche Verfügbarkeit ist.

Quelle: Infografik WELT

„Dem realen Wertverlust können Verbraucher nur entkommen, wenn sie bei der Geldanlage umdenken“, sagt Daniel Franke, Geschäftsführer von Tagesgeldvergleich.net. Nichts spreche gegen ein finanzielles Sicherheitspolster bei der Bank oder im Safe: „Diese Sparformen dienen als untere Stufe der Vermögenspyramide der Sicherung der Liquidität.“

Realer Werterhalt jedoch sei vor allem mit Immobilien möglich. Aber auch Edelmetalle, Aktien und Investmentfonds könnten langfristig zum Vermögensaufbau beitragen.

Zwar haben 2022 die meisten Aktien und Investmentfonds an Wert verloren, langfristig haben Börsenpapiere (gerade wenn sie zu einem gemischten „Korb“ zusammengestellt wurden) deutlich besser entwickelt als die Inflation.

2023 bisher überraschend gutes Börsenjahr

Das Börsenjahr 2023 hat trotz aller Gefahren deutlich besser begonnen als das Vorjahr, erst im Mai hat der Deutsche Aktienindex ein Rekordhoch markiert.

„Nachdem das private Geldvermögen 2022 durch Aktienkursverluste nach dem Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine noch geschrumpft war, kann für 2023 mit einem dynamischen Zuwachs des Geldvermögens gerechnet werden“, sagt Michael Stappel, Ökonom bei der DZ Bank in Frankfurt/Main.

Er selbst rechnet für dieses Jahr mit einem dynamischen Plus um fast sechs Prozent auf 7,9 Billionen Euro. Kommt es so, würde das reale Geldvermögen 2023 praktisch stagnieren, aber auch nicht weiter erodieren. Denn in der Größenordnung von sechs Prozent wird auch die Geldentwertung verortet.

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9 Prozent seit Jahresbeginn

Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa zeigt, dass die meisten Bundesbürger das Potenzial höher rentierlicher Anlageformen zunehmend erkennen. Danach befragt, von welchem Investment sie nach mindestens drei Jahren den meisten Gewinn erwarten, antworteten 29 Prozent Aktien und 28 Prozent Gold.

Im Jahr 2011 hatten Aktien in der gleichen Umfrage erst elf Prozent Zustimmung erhalten, damals hatten 22 Prozent der Befragten Festgeld für die aussichtsreichste Form der Geldanlage erklärt. Die Forsa-Umfrage wurde vom Edelmetall-Handelshaus Proaurum in Auftrag gegeben, das unverdächtig ist, für Börsenpapiere Werbung zu machen.

„Kaufen Sie mehr Aktien und vor allem weltweit anlegende Indexfonds“, rät Finanzexperte Franke. Mit einem Vanguard All World ETF (WKN: A2PKXG) lassen sich die 3500 besten börsennotierten Unternehmen der entwickelten Welt abdecken.

Aber auch Gold kann einen Beitrag zum realen Vermögenserhalt leisten. Das gelbe Metall hat sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als neun Prozent pro Jahr verteuert, weit oberhalb der Inflation. „Mit einem Euwax Gold II (WKN: EWG2LD) oder einem Xetra Gold (WKN: A0S9GB) können Anleger Edelmetall billiger erwerben, als dies beim Kauf von physischem Gold möglich ist“, gibt Franke zu bedenken.

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In einem richtigen Vermögensmix spricht nichts gegen Tagesgeld als eine Komponente von mehreren. „Das ist schon allein deshalb sinnvoll, weil bei unvorhergesehenem Bedarf keine höher rentierlichen, aber volatileren Anlageformen wie Aktien, ETFs oder Fonds verkauft werden müssen“, sagt Franke.

Und auch bei den Zinsen gibt es Bewegung. Zum ersten Mal seit vielen Jahren werfen Tagesgeldkonten im Schnitt wieder mehr als ein Prozent Jahresrendite ab.

Das ist ohne Zweifel eine gute Nachricht für Millionen Sparer, mit einer Einschränkung: Um die Geldillusion zu überwinden, werden Bankguthaben und Sparbriefe allein auch in Zukunft nicht ausreichen.

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