Versuchter Mord an Polizisten: Einer der Angeklagten trägt stolz ein „Fuck Cops“-Tattoo
Schon seit er ein kleiner Junge ist, will Raphael (Name v. d. Red. geändert) Polizist werden. Damals fasziniert von Blaulicht und Sirenen, später überzeugt, für Sicherheit und Ordnung im Rechtsstaat einzustehen. Mittlerweile lebt er seinen Traum. Erzählt er von seinem Alltag im Streifendienst, ist seine Begeisterung deutlich spürbar. Kein Tag gleiche dem anderen.
Dass er als Polizist auch sein Leben für das anderer Menschen riskieren muss, ist ihm nach den Angriffen gegen ihn im Februar dieses Jahres noch bewusster geworden. Die Metallplatten, die seinen Schädelknochen zusammenhalten, erinnern ihn täglich daran, was die drei Männer, die ihm nun auf der Anklagebank gegenübersitzen, angetan haben sollen. Laut Staatsanwaltschaft haben die drei Angeklagten zusammen mit einem damals 13-Jährigen in der Tatnacht beschlossen, einen Fremden „aufzumischen“ und zusammenzuschlagen. So sollen sie ihre perfiden Gewaltfantasien letztlich an dem 25-jährigen Polizisten ausgelebt haben. Dieser entkam nur knapp dem Tod.
Batuhan B. (24), sein Bruder Emirkan B. (18) und Nikola L. (25) haben sich bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert: Die Anklage lautet auf gemeinschaftlich versuchten Mordes und gefährliche Körperverletzung. Ihr Verhalten spricht indes für sich. Leise klirren die Fußfesseln, als die Angeklagten von den Justizvollzugsbeamten in den Saal 126 des Landgerichts Ulm geführt werden. Sie zwinkern ein paar Teenie-Mädchen im Zuschauerraum zu. Die kichern, wie so oft während der Verhandlung, freuen sich über Blickkontakt, als seien sie Groupies.
Einer der Angeklagten wird in Handschellen von einem Justizwachtmeister in den Sitzungssaal im Landgericht Ulm geführt
Quelle: pa/dpa/Stefan Puchner
Die türkischstämmigen Brüder tragen körperbetonte weiße T-Shirts, Jogginghose, Sneaker. Sie scheinen viel Zeit im Fitnessstudio zu verbringen, klassische „Pumper“. Die Haare haben sie akkurat nach hinten gegelt, den Bart in Form gestutzt. Nikola L., Serbe, passt auf den ersten Blick nicht zu ihnen. Er zeigt sich zurückhaltender, ist gut 2 Meter groß, schlaksig. Sein weißes zerknittertes Hemd hängt viel zu groß an ihm. Der Eindruck täuscht, wie sich später im Verfahren zeigt. Er soll es gewesen sein, der R. den ersten „Kick“ gegen den Kopf versetzt und den Polizisten zu Boden gerissen haben soll.
E. und B. genießen ihren Auftritt. Sie zeigen sich unbeeindruckt von den Tatvorwürfen, kein Anschein von Reue. Bevor die Verhandlung losgeht, dehnt sich E. noch einmal, sein Bruder lehnt lässig, Kaugummi kauend über dem Stuhl neben seinem Anwalt, bis ihm seine Handschellen abgenommen werden. Bs T-Shirt trägt die Aufschrift „Thug Life“, was übersetzt etwa „Gangsta Leben“ bedeutet. Ähnlich „Gangsta“ sieht die Strafakte der Angeklagten aus: Das Trio ist der Polizei hinlänglich bekannt. Es ist nicht der erste Vorwurf der Körperverletzung.
Im Februar letzten Jahres sollen die Brüder B., N. sowie ihr damals 13-jähriger Kumpel Mustafa M. den Geschädigten fast totgeprügelt haben. Sie sollen ihm in der Ulmer Innenstadt aufgelauert und den Fluchtweg abgeschnitten haben. Auf der Anklagebank müssen sich aber lediglich drei von ihnen verantworten. M. muss hier nicht Platz nehmen– sein Alter lässt ihn straffrei davonkommen. Das Verfahren gegen den syrischen Jungen wurde eingestellt, weil er zum Tatzeitpunkt strafunmündig war. Mittlerweile ist M. 14 Jahre alt. An diesem sechsten Verhandlungstag wird ihn die letzte Zeugin, eine Kriminaloberkommissarin, noch schwer belasten.
Bereits am ersten Prozesstag hatte R. detailliert ausgesagt, wie er die Nacht des 8. Februars erlebte – und noch heute durchlebt. Bis zu der Stelle, an der seine Erinnerungen aussetzen. Es sei etwa 1.19 Uhr gewesen, als R. auf die Gruppe in der Ulmer Innenstadt traf. Der Polizist war in zivil auf dem Heimweg vom Polizeipräsidium. Kurz zuvor war er mit der Bahn aus Mannheim angereist, in Uniform, weil Polizisten damit kostenlos Bahn fahren dürfen. Zu ebendieser Zeit arbeitete der 25-Jährige noch in Ulm, heute in Mannheim. Dort war er auch während seiner Ausbildung stationiert. Im Ulmer Polizeipräsidium legte er an diesem Abend nur schnell seine Uniform ab, bevor er sich auf den Weg zu seiner damaligen Unterkunft machte.
In einer Gasse fiel dem Polizisten eine Gruppe junger Männer auf, die teils Sturmmasken trugen. Zunächst habe er die Männer angesprochen, weil sie ihm verdächtig vorgekommen seien. Danach habe er seine Kollegen alarmiert. Um diesen mitteilen zu können, wo sich die Gruppe aufhalte, sei er ihr gefolgt. Dabei habe er bewusst etwa 70 Meter Abstand gehalten. „Einfach damit ich in nichts reinkomme“, wie R. erklärt.
Während des Angriffs habe er innerlich nach seiner Mutter gerufen
Sein alarmierender Anruf wurde am vergangenen Verhandlungstag, dem fünften, abgespielt. Zu hören waren die ersten Sekunden des Angriffs, dann bricht die Verbindung ab. Deutlich war zu vernehmen, wie er den Angreifern panisch entgegenruft, er sei Polizist, sie sollten sofort aufhören. Die Beamtin, die ihn wenig später mit seinem Gesicht in einer Blutlache liegend auffand, kämpfte mit den Tränen, als sie berichtete, wie sie den Angriff am Telefon miterleben musste.
Die Angeklagten und ihr jüngerer Kumpel hätten sich laut Staatsanwaltschaft in zwei Gruppen aufgeteilt, um Rs. Fluchtweg abzuschneiden. „In dem Moment war mir klar, dass ich den Kampf aufnehmen muss und gar keine Wahl habe, mich körperlich zu entziehen“, sagt R. Nach einem Schlag oder Tritt gegen seinen Kopf sei er zu Boden gegangen, einen weiteren habe er gespürt, doch dann würden die Einzelheiten verschwimmen. „Während des Angriffs habe er innerlich nach seiner Mutter gerufen und sich gewünscht, dass die Tat vorbei sei. „Unabhängig davon, in welche Richtung. Ob in Richtung Himmel oder ob die Täter von mir ablassen und ich überlebe“, sagt R.
Jeder dieser Tritte und Schläge zeichnete sein Gesicht. Sein Kiefer war ausgehangen, sein Gesicht übersät mit Hämatomen. Die Tritte so intensiv, dass sein Schädel brach. Noch immer halten ihn Metallplatten zusammen – Mittelgesichtsfraktur, Schädel-Hirn-Trauma, Hämatome. Der ärztliche Befund war lang. Im Krankenhaus wurde er bereits operiert, weitere Behandlungen stehen noch an. Sein bester Freund habe ihn nach der Tat dort besucht, sei an ihm vorbeigelaufen, weil er ihn nicht erkannt habe. Seine Schwester sei bei dem Anblick zusammengebrochen.
Nikola L. soll dem Polizisten den ersten „Kick“ gegen den Kopf gegeben haben. Auf seinem Bauch trägt er tätowiert den Schriftzug: „Fuck Cops“
Quelle: pa/dpa/Stefan Puchner
Selbst als M. in seinem Blut am Boden gelegen habe, sollen die Angeklagten nicht von ihm abgelassen haben. Dem ist sich die Staatsanwaltschaft sicher. Dass R. infolge seiner Verletzungen hätte sterben könnte, sollen die Angeklagten billigend in Kauf genommen haben. Eine Rechtsmedizinerin erklärte vor Gericht, dass, je nachdem wie lange der Polizist bewusstlos in seinem Blut gelegen habe, er dies aspirieren und daran hätte ersticken können. Derzeit rekonstruiert das Gericht noch, wie lange R. tatsächlich sein Bewusstsein verloren hatte.
Äußerlich sind die Verletzungen nicht mehr sichtbar. In ihm sehe es noch anders aus. Der letzte Verhandlungstag habe ihn noch einmal ziemlich aufgewühlt. Beim Abspielen des Notrufs seien die Bilder wieder in den Kopf gekommen. Nach der Tat habe er sich Sorgen gemacht, ob er überhaupt noch in der Lage sei, weiter als Polizist zu arbeiten. Dabei sei er noch in der Probezeit, die Verbeamtung auf Lebenszeit wurde nun durch seine krankheitsbedingten Ausfälle zunächst um ein paar Monate nach hinten verschoben. Mittlerweile arbeitet er wieder, Nachtdienste dürfe er noch nicht machen.
An diesem sechsten Verhandlungstag sagen mehrere Polizeibeamte aus, die sich mit der Auswertung von Handydaten und Videoaufnahmen, etwa aus Bussen, beschäftigt hatten. So konnte rekonstruiert werden, wo sich die Angeklagten in der Nacht zum 8. Februar überall aufhielten. Die Auswertung der Standortdaten und das zeitliche Einloggen in etwaige Funkzellen der Handys habe ergeben, dass sich die Männer zum Tatzeitpunkt in der Nähe des Tatortes, dem Kornhausplatz, aufgehalten hatten. Dort, wo R. laut Auswertung seiner Handydaten, um etwa 1.19 Uhr auf die Männer traf. Um 1.21 Uhr habe der Notruf geendet, genau wie seine Bewegung, die über die Health App seines iPhones rekonstruiert wurde. Was technisch klingt, heißt übersetzt: Zu diesem Zeitpunkt wurde R. brutal zu Boden geschlagen.
Danach seien schnelle Bewegungen aufgrund der Ortungsdaten der Angeklagten zu beobachten – ihre Flucht. Bis etwa 4.23 Uhr konnten sie sich verstecken, kommunizierten derweil über Messenger-Dienste, wo sie sich jeweils aufhielten. Bis sie schließlich ein Taxi zu ihren Wohnungen nahe Ulm nahmen. Google-Suchverläufe zeigten weiter, dass sich die Angeklagten zum Teil über Schädelbrüche und deren Folgen informierten. Und ob die Presse schon über den Vorfall geschrieben hatte. Die Auswertung der Fotos auf ihre Handys offenbarte vor allem bei dem Angeklagten L. eine klare Haltung gegenüber Polizisten – als tätowierten Schriftzug auf seinem Bauch: „Fuck Cops“.
Mustafa M. ist polizeilich bekannt – Doch sein Alter schützt ihn vor einer Strafe
Am Ende des sechsten Verhandlungstages sagt die Kriminaloberkommissarin aus, die zusammen mit einem Kollegen den vierten mutmaßlichen Täter, M., vernommen hatte. Ihr Kollege habe schon mehrere Ermittlungsverfahren gegen ihn bearbeitet. Der syrische Junge sei ein sogenannter „Schwellentäter“. Seine kriminelle Karriere erstreckt sich bislang über drei Diebstähle, ein Körperverletzungsdelikt sowie der Beteiligung an einem Raub und einem schweren Raub.
M. hatte sich zunächst geweigert, als Zeuge auszusagen. Als der Richter ihm mit Beugehaft drohte, entschied er sich am zweiten Prozesstag doch dazu. Seine Aussage gilt als entscheidend im Sinne einer Be- oder Entlastung der Angeklagten. Immer wieder soll laut Prozessbeteiligten eine Pause für ihn gemacht worden sein. Dann habe er nur wortkarg geantwortet. Weil M. minderjährig ist, fand seine Aussage unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. M. beteuerte während seiner Aussage, er habe nur zugeschaut, sei nicht beteiligt gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft hingegen geht davon aus, dass er zusammen mit den Angeklagten in der Tatnacht beschlossen hatte, einen Fremden „aufzumischen“ und gemeinsam zusammenzuschlagen.
Zudem fanden Ermittler offenbar den Profilabdruck von seinem Schuh an Rs Kopf – zumindest konnte dieser keinem der drei anderen Angeklagten zugeordnet werden. Sollte sich seine Beteiligung im weiteren Verfahren bestätigen, könnte der mittlerweile 14-Jährige zumindest wegen Falschaussage belangt werden.
M. habe die polizeiliche Vernehmung nicht ernst genommen, immer wieder gelacht. Habe sich beeindruckt von dem ersten „Kick“ des „Großen“, wie er N. nennt, gezeigt. Dieser habe R. direkt auf den Boden gerissen.
Gegenüber den Beamten hatte er detailliert von dem Abend erzählt und sich immer wieder in seinen Aussagen in Widersprüche verstrickt: Angeblich habe er nicht mitgemacht, als er gemerkt habe, dass R. Polizist sei, das hätte keine guten Folgen für ihn gehabt. Womit er wohl auf seine bisherigen Straftaten anspielte. Dann habe er immer wieder von „wir“ im Kontext der brutalen Tat gesprochen. So habe die Gruppe bereits am früheren Abend geplant, jemanden zu provozieren, um ihn zu schlagen.
In der Nähe einer Eisdiele hätten sie zum ersten Mal R. getroffen. Er habe sie angesprochen und gefragt, was sie machen würden. Daraufhin hätten sie ihn angeschrien, seien gegangen. Als sie bemerkt hätten, dass er ihnen gefolgt sei und Fotos gemacht habe, hätte sich die Gruppe aufgeteilt – fest entschlossen, R. zu verprügeln. Erst als die Angeklagten die Polizeisirenen gehört hätte, seien sie weggerannt – sonst hätten sie sicherlich weitergemacht. Zunächst hätten sie sich in der Stadt versteckt. Ein paar Stunden später seien sie schließlich in einem Taxi in die WG der angeklagten Brüder gefahren.
Die weiteren angesetzten Verhandlungstage werden zeigen, welche Rolle der damals 13-Jährige tatsächlich hatte.