Richard Rortys Vorlesungen von 1998

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Kaum war die Trauer über seinen Tod 2007 verkraftet und verklungen, wurde es ruhig um Richard Rorty. Galt er um die Jahrtausendwende noch als einflussreichster amerikanischer Philosoph neben John Rawls, hat die Debatte um sein Werk inzwischen an Schwung eingebüßt. Vielleicht liegt dies daran, dass man inzwischen weiß, woran man bei ihm ist: Rorty schreibt so lakonisch und elegant, dass sich der Bedarf an Auslegeware irgendwann erschöpft. Oder vielleicht hat die Borniertheit der akademischen Philosophen, die Rorty jahrzehntelang beklagt und bekämpft hat, inzwischen weiter zugenommen, sodass für jemanden wie ihn kein Forum mehr offensteht.

An den Themen jedenfalls, die Rorty in seinen Schriften verhandelt hat, kann das Nachlassen des Interesses kaum liegen. Der Liberalismus, zu dessen Verteidigung er pünktlich zum Mauerfall sein Buch „Kontingenz, Ironie, Solidarität“ vorgelegt hat, steht im Wind – und zwar heftig. Den aktuellen Streit um die Lifestyle-Linke hat er in seinem Buch „Stolz auf unser Land“ von 1998 vorweggenommen. Von seinem ersten Buch „Der Spiegel der Natur“ von 1979 bis zu seinen spätesten Schriften hat er seiner Skepsis gegenüber letzten Wahrheiten Ausdruck verliehen und damit die Diskussion um das postfaktische Zeitalter vorweggenommen.

In seinen letzten Lebensjahren wurde Rorty derart mit Ehrungen und Einladungen überschüttet, dass er einer Neigung frönte, die er in früheren Jahren tapfer bekämpft hatte: die Neigung zur kleinen Form, zu einem Essay hier und einem Aufsatz dort, mit denen er Freunde und Interessierte zufriedenstellte. Da er dem großen System sowieso misstrauisch gegenüberstand, störte es ihn nicht, einen dicken Stapel Papier, der das Zeug zum Hauptwerk hatte, in der Schublade verstauben zu lassen und für kürzere Veröffentlichungen auszuschlachten. Bei diesem Stapel handelt es sich um Vorlesungen, die Rorty 1996 in Girona hielt und die seinerzeit in katalanischer und spanischer Übersetzung erschienen, aber erst 2021 auf Englisch – und jetzt eben auf Deutsch unter dem Titel „Pragmatismus als Antiautoritarismus“. Das originale Manuskript wirkt, wie der Herausgeber und Rorty-Kenner Eduardo Mendieta schreibt, „erstaunlich vollendet, so als könne es sofort in die Setzerei gehen. Es liest sich wie am Schnürchen.“ Das stimmt.

Keine Angst vor dem Spiel

Als Vertreter des Pragmatismus hat sich Rorty einen Namen gemacht – also als Denker, der die Theorie der Praxis nachordnet und für den die Stunde der Wahrheit dann schlägt, wenn etwas sich bewährt, gut läuft, dem guten Leben dient. Was dies mit Antiautoritarismus zu tun hat, erfährt man nun in einem Abschnitt, der den Titel „Pragmatismus als Befreiung vom Urvater“ trägt und sich auf Sigmund Freuds Ödipus-Theorie stützt.

Richard Rorty: „Pragmatismus als Antiautoritarismus“. Hrsg. v. Eduardo Mendieta.


Richard Rorty: „Pragmatismus als Antiautoritarismus“. Hrsg. v. Eduardo Mendieta.
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Bild: Suhrkamp Verlag


Rorty teilt die Menschen – und die Denker – in zwei Gruppen ein. Die einen seien darauf aus, „sich mit einer Autoritätsfigur zu verbünden“, „sich an etwas ankuscheln, was zu rein und gut ist, um wirklich menschlich zu sein“. Sie sehnten sich „nach einem Ruhepol in der sich drehenden Welt, nach etwas, worauf man sich stets verlassen kann“. Zu denken sei an Platon, Descartes, Kant oder – aktuell – an Thomas Nagel. Die anderen jagten diese Autoritäts- oder Vaterfigur vom Hof und hofften auf eine „bessere Zukunft, die durch ein höheres Maß an brüderlicher Zusammenarbeit zwischen den Menschen erreicht werden soll“. „Ausschließlich der Pragmatismus“ – vertreten durch John Dewey und seinen Schüler Richard Rorty – „erntet die Gesamtheit der Vorteile des Vatermords.“



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