Tarifgesetz-Streit: Staatsaufträge nur für „ordentliche“ Löhne?

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Der Bund ist ein großer Auftraggeber. Ob Baufirmen, Reinigungsunternehmen, Caterer, Sicherheitskräfte, Handwerker oder der Fuhrpark. Fortlaufend vergeben Ministerien und ihre nachgelagerten Behörden Aufträge in der freien Wirtschaft. Geht es nach Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), bekommen ab Anfang 2024 nur Arbeitgeber den entsprechenden Zuschlag, die ihre Beschäftigten nach Tariflohn bezahlen. Das „Tariftreuegesetz“ soll für Aufträge ab 10.000 Euro gelten.

So stand es im ersten Entwurf von Anfang Mai. Seither blieb es still um das im Koalitionsvertrag vereinbarte Vorhaben. Heil argumentierte, wenn der Staat Steuergeld ausgebe, dann dürften davon nicht länger Unternehmer profitieren, die „ihre Leute nicht ordentlich bezahlen“.

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Aber zahlen Unternehmen, die nicht tarifgebunden sind, tatsächlich „nicht ordentlich“? Die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hat daran erhebliche Zweifel, ist sogar vom Gegenteil überzeugt. „Tarifanwendung durch Zwang hat nichts mit Tarifautonomie zu tun.

Tarifverträge schließt man – oder man nimmt sich sein Recht auf eine alternative Gestaltung der betrieblichen Realitäten. Das eine ist ebenso zu respektieren wie das andere“, sagt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. „Die Behauptung, Arbeitsplätze mit Tarifverträgen seien per se besser, ist falsch.“

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Um das Vorhaben zu stoppen, hat die BDA ein Gutachten in Auftrag gegeben. „Tariftreue-Regelungen ignorieren insbesondere die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Lohnfindung und Lohngestaltung“, heißt es in dem knapp 50-seitigen Dokument. Der Rechtswissenschaftler Felix Hartmann von der Freien Universität Berlin kommt zu dem Schluss, dass Tariftreue-Regelungen aus einer Vielzahl an Gründen gegen Europarecht verstoßen und verfassungswidrig sind.

Vollzeitbeschäftigte in tarifloslosen Betrieben arbeiten länger

Ein ähnliches Vorgehen wie das von Heil geplante wird beispielsweise im Saarland bereits erprobt. Dort gilt bei öffentlichen Aufträgen das „Verordnungs-Modell“. Gutachter Hartmann ist sich sicher: Die Praxis sei „wegen intensiver Grundrechtseingriffe nicht verfassungskonform“. Bestätigt hat diese Einschätzung indes noch keine juristische Instanz.

Welche Vorteile Beschäftigte durch einen Tarifvertrag haben, hatte im April die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung analysiert. Den Daten zufolge arbeiten Vollzeitbeschäftigte in tariflosen Betrieben im Mittel wöchentlich 54 Minuten länger und verdienen trotzdem elf Prozent weniger als Beschäftigte in tariftreuen Betrieben, wie WELT damals berichtete.

„In Zeiten stark steigender Lebenshaltungskosten verfügen Beschäftigte in tarifgebundenen Betrieben deswegen eher über ein kleines finanzielles Polster“, schrieben die Studienautoren Malte Lübker und Thorsten Schulten.

„Tarifzwang schafft Bürokratie“

Das Problem: Aktuell arbeiten laut Statistischem Bundesamt lediglich 43 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland nach Tarif. Der Wert ist seit Jahren rückläufig. Besonders in Ostdeutschland ist der Anteil oft deutlich geringer. Und gerade im Dienstleistungsbereich, so die Befürchtung der BDA, werde es aufgrund der niedrigen Tarifbindung schwer, in angemessener Zeit Firmen zu finden, die den neuen gesetzlichen Anforderungen entsprechen.

Arbeitgeberpräsident Dulger sieht ein weiteres Problem. „Tarifzwang schafft Bürokratie – im Unternehmen und bei den Kontrolleuren der öffentlichen Hände“, sagt er. „Das heißt für beide Seiten: Mehrkosten. Über die Qualität der Dienstleistung ist damit nichts gesagt. Als Unternehmer scheint mir das ziemlich sinnlos.“

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Dazu kommt: Die Gewerkschaften haben im Langzeitvergleich massiv an Mitgliedern verloren. Während die Zahl der Erwerbstätigen auf ein Rekordhoch von über 46 Millionen geklettert ist, sind nur noch 5,5 Millionen Beschäftigte organisiert – ein Rückgang von mehr als drei Millionen seit der Jahrtausendwende.

„Mir scheint, es geht um die Verstaatlichung von wirtschaftlicher Tätigkeit – wie wir es in manchen Kommunen Tag für Tag erleben“, kritisiert Dulger, der das Heidelberger Maschinenbau-Unternehmen „Prominent“ leitet. „Mit dem Leitbild einer eigenverantwortlichen sozialmarktwirtschaftlichen Tätigkeit sind solch umfassende Tarifzwangsregelungen nicht mehr zu vereinbaren.“

In der Vergangenheit war Dulger nicht verlegen, mit dem Gang nach Karlsruhe zu drohen. Gegen den als „Staatslohn“ bezeichneten Mindestlohn wollte die BDA im Frühjahr 2022 vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, das Vorhaben blieb aber ohne Erfolg.

Gewerkschaften begrüßen das Vorhaben

Nun ist die Situation eine andere. Die BDA ist juristisch nicht klagefähig, weil sie selbst nicht betroffen wäre. Vor Gericht müsste beispielsweise ein Unternehmen ziehen, das bei einer Auftragsvergabe nicht berücksichtigt wurde.

Rückenwind bekommt Heil beim Gesetzesvorhaben unter anderem von den Gewerkschaften. „Die Bundestariftreueregelung ist eine Maßnahme zur Stärkung der Tarifbindung, indem sie durch die Schaffung gleicher Wettbewerbschancen Sozial- und Lohndumping maßgeblich zu unterbinden hilft“, sagte beispielsweise Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

Wenn der Staat seiner Vorbildrolle gerecht werde und die Rolle von Tarifverträgen unterstreiche, werde dies auf die Privatwirtschaft ausstrahlen.

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