Wohnungsmarkt in Deutschland: Eine gesellschaftliche Spaltung droht

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Es war einmal ein Land, in dem die Menschen gerne zur Miete wohnten. Sogar solche, die genug Geld gehabt hätten, um sich ein eigenes Zuhause zu kaufen. In diesem Land war es kein Ding der Unmöglichkeit, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Und es war unvorstellbar, dass jemand, der umzog, für die gleiche Miete nur noch 40 Quadratmeter statt wie bisher 100 bekam. All jene aber, die nicht genug verdienten, hatten die Chance auf eine Bleibe in einem der Abertausend Sozialbauten.


Birgit Ochs

Verantwortliche Redakteurin für „Wohnen“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Doch das Mieterparadies Deutschland ist längst Legende. Es hat sich etwas zusammengebraut, das den Verteilungskampf um Wohnungen weit über die Großstädte hinausträgt. Und nicht nur Kirchen und Parteien warnen vor gesellschaftlicher Spaltung, sondern auch liberale Ökonomen wie Steffen Sebastian. „Das hat Radikalisierungspotenzial“, sagt der Professor von der Universität Regensburg – vor allem mit Blick auf die sozial Schwächsten.

Immer mehr Menschen konkurrieren um Wohnungen. Das ist schon lange so, aber es hat sich verschärft, auch weil mehr als eine Million Ukrainer seit Kriegsausbruch in Deutschland Zuflucht gefunden haben. 2022 war die Nachfrage nach Mietwohnungen doppelt so hoch wie im Vorjahr. Und nichts deutet darauf hin, dass der Druck so bald nachlässt. Im Gegenteil.

Sozialwohnungen gehen verloren, Wartelisten wachsen

In den ohnehin teuren Großstädten sind die Angebotsmie­ten wieder gestiegen. Und selbst in vielen kleinen und mittelgroßen Städten sind erschwingliche Angebote inzwischen Mangelware. „Der Anstieg ist in der Breite angekommen“, sagt die Bundesdirektorin des Deutschen Mieterbunds (DMB), Melanie Weber-Moritz. Auch in Städten wie Fulda oder Dormagen verlangten Vermieter im Mittel zuletzt eine Quadratmetermiete von neun Euro und mehr. Im Vergleich zu Frankfurt oder München klingt das wenig. Es ist aber ein Sprung von fast 18 Prozent in fünf Jahren.

Um zu verstehen, wann und warum die Dinge aus den Fugen geraten sind, muss man zurück in die Zeit um die Jahrtausendwende springen. Im wiedervereinigten Deutschland gab es damals zumindest rechnerisch mehr als genug freie Wohnungen, vor allem in den ostdeutschen Plattenbauten. Für die betroffenen Städte wie für die Wohnungsunternehmen waren die verwaisten Altbauten aber ein Problem. Die große Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg, als Millionen Flüchtlinge und Ausgebombte kein eigenes Dach über dem Kopf hatten, lag lange zurück. Damals schien unvorstellbar, dass es dreißig Jahre später zwar keine vergleichbare Not wie nach dem Krieg, aber doch einen gewaltigen Mangel an Wohnraum geben könnte. Nicht Neubau, sondern Abriss war die Devise.

Viele Kommunen verkauften damals ihre meist heruntergekommenen Bestände. Rund 600.000 Wohnungen wurden allein bis 2006 privatisiert. Die Gemeindekassen füllten sich. Doch bald bereuten die ersten den Schritt, weil ihnen aufging, dass sie dadurch wesentlichen Ein­fluss auf die Entwicklung der Mietpreise verloren hatten. Hinzu kommt, dass bis heute jährlich Tausende Sozialwohnungen verloren gehen, weil die Förderung nach einer gewissen Zeit ausläuft. Dadurch werden Wartelisten für geförderte Wohnungen in den kommunalen Wohnungsämtern immer länger.

In den Neunzigerjahren setzte man auf ein höheres Wohngeld, damit Menschen mit niedrigen Einkommen eine Bleibe finden. In einem entspannten Wohnungsmarkt funktioniert das auch. Aber da, wo das Angebot knapp ist, wird es schwierig. Denn anders als um die Jahrtausendwende prognostiziert, wächst die Bevölkerung, gerade in den Großstädten. Darauf hatten Investoren gewettet. Sie erkannten, dass in Deutschland im internationalen Vergleich bei den Mieten noch Luft nach oben war. Als 2008 die Finanzkrise ausbrach und danach alle Welt in Immobilien investierte, ging die Einkaufstour am deutschen Wohnungsmarkt so richtig los. Seitdem gehören Klagen über steigende Mieten und Kaufpreise zum Alltag wie der Daueralarm wegen fehlenden Wohnraums und Mieterverdrängung.



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