Olaf Scholz: Von frühen Erinnerungen und späten Gedächtnislücken

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Fried – Die Politik-Kolumne
Späte Gedächtnislücken: Das Erinnerungsvermögen von Olaf Scholz gibt Nico Fried Rätsel auf

Illustration zur Politik Kolumne von Nico Fried. Thema: Erinnerungen des Olaf Scholz

In seiner Politik-Kolumne widmet sich stern-Kolumnist Nico Fried diesmal dem Erinnerungsvermögen von Olaf Scholz 

© Illustration: Sebastian König/Stern; Foto: Henning Kretschmer/Stern

Neulich wurde der Bundeskanzler in seiner Sommerpressekonferenz gefragt, wann er das letzte Mal ein Freibad besucht habe. Hintergrund waren die Schlägereien in Freibädern, die zum Beispiel in Berlin zu zeitweiligen Schließungen geführt hatten. “Im Freibad schwimmen war ich zuletzt in Rahlstedt-Großlohe”, berichtete Olaf Scholz. “Das ist also über 40 Jahre her.”

Mehr als 40 Jahre, und der Kanzler erinnert sich daran? Sie ahnen, worum es hier gleich geht.

Rahlstedt-Großlohe liegt im Nordosten Hamburgs, Scholz ist dort aufgewachsen. Das Freibad gibt es nicht mehr. Die Besucherzahlen waren rückläufig. Scholz war also nicht der Einzige, der “das Mallorca der kleinen Leute”, wie es im Volksmund genannt wurde, nicht mehr aufsuchte. Deshalb kann man gewiss nicht ihm allein die Schuld an der Schließung in die eingestaubten Badelatschen schieben.

Nur elf Prozent glauben dem Kanzler

Wir verlassen hier die Feinheiten der Hamburger Bäderlandschaft und wenden uns noch einmal dem Erinnerungsvermögen des Kanzlers zu. Das ist seit einiger Zeit ein Politikum. Und wenn es nach der Union im Bundestag geht, wird es demnächst Gegenstand eines Untersuchungsausschusses sein, den sie sich in Karlsruhe herbeiklagen will, nachdem die Ampel ihn mit ihrer Mehrheit abgelehnt hat.

Im Mittelpunkt stehen die Treffen des Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz mit dem Banker Christian Olearius vor nur sieben Jahren, an die sich der Kanzler heute nicht so gut erinnern kann wie an seinen Freibadbesuch in Rahlstedt-Großlohe vor mehr als 40 Jahren. Es sollte mich nicht wundern, wenn ein gewitzter Abgeordneter der Opposition irgendwann auf diesem Widerspruch herumreitet. Die Union muss ja alles versuchen, damit sich der Untersuchungsausschuss – um noch einmal auf das Freibad in Rahlstedt-Großlohe zurückzukommen – nicht als Schlag ins Wasser erweist.

Diese Kolumne kann nicht klären, ob Scholz die Wahrheit sagt oder nicht. In der Bevölkerung, die vor einiger Zeit mal befragt wurde, ist das Urteil eindeutig: Nur elf Prozent glauben dem Kanzler – eine Minderheit, die ich respektiere, der ich mich aber nicht anschließe.

Kopf über Wasser

Entlastend müssen wir für Scholz ins Feld führen, dass sich schon andere Kanzler auf Erinnerungslücken berufen haben – auf größere zum Beispiel Helmut Kohl im Flick-Parteispenden-Untersuchungsausschuss Mitte der 80er-Jahre, auf kleinere Angela Merkel im Gorleben-Untersuchungsausschuss 2012.

Einen besonders bemerkenswerten Blackout hatte die Kanzlerin fünf Jahre später, als sie sich im NSA-Untersuchungsausschuss bei den Angaben zur Person mit den Worten “Mein Name ist Angela Dorothea Kasner” vorstellte. Kasner war ihr Mädchenname, den sie schon 1977 abgelegt hatte, als Olaf Scholz, um ein allerletztes Mal darauf zurückzukommen, sich noch auf der Liegewiese im Freibad rekelte.

Vielleicht schwang er dort auch große Reden – immerhin war Scholz damals schon seit zwei Jahren bei den Jusos. Von diesen Anfängen war in der Pressekonferenz jüngst auch die Rede. Scholz wurde auf seinen temperamentvollen Auftritt im brandenburgischen Falkensee angesprochen, wo er einige Putin-Freunde beschimpft hatte. Der Kanzler antwortete, er habe seine politische Laufbahn “als Versammlungsredner begonnen”. Deshalb wisse er, “wie es geht”.

So ist das mit dem Gedächtnis eines Politikers: Er schwelgt in Erinnerungen, wenn es ihm nützt, und beruft sich auf Gedächtnislücken, wenn es ihm schaden könnte. Wie schon vor mehr als 40 Jahren im Freibad Rahlstedt-Großlohe geht es eben immer noch darum, stets den Kopf über Wasser zu halten.

Nico Fried freut sich, von Ihnen zu hören. Schicken Sie ihm eine E-Mail an nico.fried@stern.de

Erschienen in stern 33/2023



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