Die Partei, das ist vor allem er
Die Freien Wähler in Bayern gab es auch schon, bevor Hubert Aiwanger 2006 ihr Vorsitzender wurde. Aus einem Verband Freier Wählergruppen wurde Ende der Neunzigerjahre eine Wählervereinigung. Der Weg in Richtung Partei fand zunächst nur eine knappe Mehrheit, wurde dann aber vehement beschritten, als Aiwanger die Führung übernahm – dies im Wesentlichen aufgrund einer mitreißenden Rede. Die Gabe dazu kann bekanntlich Segen und Fluch zugleich sein.
Die Freien Wähler verstehen sich selbst als „Vor-Ort-Partei“, die ihre Kraft aus der kommunalen Verankerung bezieht. Großprojekten gegenüber sind sie skeptisch, und Probleme versuchen sie pragmatisch zu lösen, ohne Rücksicht auf „Parteiideologie“. Dies musste umso mehr zu einer gewissen Spannung führen, je mehr die Freien Wähler eben doch zu einer Partei mit einer bestimmten, überwiegend konservativen Programmatik wurden.
Aiwanger gelang mit dem „Kuhfladenstreit“ ein medialer Coup
Die Freien Wähler haben die Spannung zum Teil dadurch aufzulösen versucht, dass sie in München so, an Ort und Stelle aber ganz anders gesprochen haben – ein Vorgehen, das der CSU nicht gänzlich fremd ist. Aiwanger hat darüber hinaus immer wieder versucht, bestimmte Themen zu identifizieren, die er in ganz Bayern hochziehen konnte.
Darunter sind übergeordnete wie der angebliche Stadt-Land-Konflikt, den er zuletzt etwa am Beispiel Gefahr durch Bär und Wolf ausagierte. Ökologen sind für Aiwanger dann nicht Ökologen, sondern „Großstadtökologen“. Darin mag ein Jugendkomplex zum Ausdruck kommen, den Leute vom Dorf kennen – und der nun in den Aussagen von Aiwangers Bruder zum „Auschwitz-Pamphlet“ wieder aufscheint.
Aiwanger, der sich lange als eine Art Guerillero im Selbstbehauptungskampf gegen die übermächtige CSU sah, hat ein Gespür dafür, wie er mit vergleichsweise geringen Mitteln große Wirkung erzielen kann. Beispiele sind die Unterschriftensammlung gegen das achtjährige Gymnasium oder der Kampf gegen die Anwohnerbeiträge für den Straßenausbau. Beides hatte Erfolg – und beides brachte in der Umsetzung Probleme mit sich.
In der Staatsregierung, der die Freien Wähler seit 2018 angehören, geben sie auch nicht so viel Ruhe, wie es der Koalitionspartner gerne hätte. Mal schimpft die CSU darüber, Aiwanger sei unseriös, etwa bei seiner angeblich unfinanzierbaren Forderung, die Einkommensteuer solle erst bei 2000 Euro im Monat beginnen. Mal zieht man nach, etwa bei der Erbschaftsteuer, die Aiwanger komplett abschaffen will, die CSU nun immerhin für das Elternhaus.
Im vergangenen Sommer gelang Aiwanger ein medialer Coup. Im „Kuhfladenstreit“ warf er sich für einen Landwirt gegen angeblich „Zugezogene“ in die Bresche. Der Fall war bei genauerem Hinsehen nicht so klar gelagert, wie Aiwanger getan hatte. Die „Süddeutsche Zeitung“ nannte seinen Auftritt „einfach nur peinlich“. Die CSU war dennoch neidisch darauf – weil sie das Monopol auf Coups zu haben meint.