Author and photographer Maria Lamas is honored in Portugal | EUROtoday

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Mit all ihrer Kraft stemmen sich die beiden Frauen hinter die mit Kohle beladene Lore, um sie in Gang zu setzen. Sie tragen Kopftuch, ihre nackten Füße stecken in hölzernem Schuhwerk. Ein Mann schaut zu. „Diese Anstrengung müssen sie mehrere Dutzend Mal am Tag wiederholen, immer auf diese ermüdende Weise“, steht unter dem Foto in Schwarz-Weiß. Maria Lamas hat es im Bergwerk von São Pedro da Cova aufgenommen, nicht weit von Porto entfernt. 1948 war die Journalistin und Schriftstellerin in Lissabon zu ihrer Expedition zu den fernen Frauen aufgebrochen – in eine andere Welt an den Rändern des kleinen Land.

Lamas schuf das erste Gesamtporträt des weiblichen Teils einer Nation überhaupt

Die Bilder, die sie zurückbrachte, erinnern an Aufnahmen aus den irakischen Sümpfen oder dem brasilianischen Urwald. „As Mulheres do Meu Pais“, „Die Frauen meines Landes“, nannte Maria Lamas ihr einzigartiges Buchprojekt. „Nach meiner Kenntnis ist es das erste umfassende Porträt der weiblichen Bevölkerung einer Nation, das jemals irgendwo auf der Welt gezeichnet wurde“, meint Jorge Calado. Das Gulbenkian-Museum in Lissabon entreißt mit seiner Schau diese außergewöhnliche, vielseitige und kämpferische Portugiesin dem Vergessen, zum ersten Mal wird sie als Fotografin gewürdigt. Leider nur im niedrigen Souterrain zwischen Cafeteria, Garderobe und Bibliothek: Maria Lamas (1893 bis 1983) hätte einen großen Saal verdient, denn sie lebte wie wenige andere den langen Weg Portugals von der Diktatur in die Demokratie. Der Termin könnte nicht passender sein. Am 25. April jährt sich die Nelkenrevolution zum fünfzigsten Mal.

Madonna der Anmut in Armut: Maria Lamas’ „Jovem mãe da Castanheira, serra da Estrela“, 1948-1950
Madonna der Anmut in Armut: Maria Lamas' „Young mom of Castanheira, Serra da Estrela“, 1948-1950Calouste Gulbenkian Foundation

Immer wieder war Maria Lamas im Gefängnis, mehr als sieben Jahre lang im französischen Exil. Sie war Feministin, Friedensaktivistin, übersetzte und schrieb Kinderbücher und Gedichte. Als Präsidentin des „Nationalen Rats der Portugiesischen Frauen“ (CNMP) organisierte sie 1947 in Lissabon die Schau „Von Frauen geschriebene Bücher“, 1500 Autoren präsentierte sie damals. Das ging dem Salazar-Regime zu weit. Ihre Frauenorganisation wurde verboten. Maria Lamas ließ sich nicht bremsen und machte sich allein auf den Weg. Ihr Wunsch war es, „das Leben der portugiesischen Frau in all seinen Aspekten kennenzulernen. Er entstand schon vor vielen Jahren in meinem Kopf und in meinem Herzen“, schrieb sie im Vorwort der „Frauen meines Landes“.

Anfangs war es kein Buch. Von Mai 1948 bis April 1950 – unterbrochen von einem ersten Gefängnisaufenthalt – war es eine große Fortsetzungsreportage im Selbstverlag. So konnte sie Geld verdienen und machte die Zensur weniger misstrauisch. Die fotografische Autodidaktin zog mit einer kleinen Kodak-Brownie-Kamera, einem Notizblock und vielen Fragen los. Sie reiste mit der Bahn, auf Ochsenkarren und auf Eseln. Maria Lamas aß und schlief mit den Frauen in ihren Hütten und Häusern. Sie wollte ihnen so nah wie möglich kommen. Es entstand ein schonungsloser, vom amerikanischen Neorealismus geprägter Fotoessay mit mehr als 500 Bildern. Er ist nicht wissenschaftlich kalt, sondern voller Mitgefühl und Faszination für den menschlichen und kulturellen Reichtum des ungeheuer armen Landes.

Gesichter, steinern wie die Hütten: Maria Lamas’ Fotoporträt „Duas mulheres à janela“, 1948-1950
Gesichter, steinern wie die Hütten: Maria Lamas' Fotoporträt „Two ladies on the window“, 1948-1950Calouste Gulbenkian Foundation

Die Frauen in den Bauern- und Fischerdörfern zwischen Algarve und den rauen Bergen im Norden wirken wie die letzten Arbeitssklavinnen des 20. Jahrhunderts am westlichsten Rand; zur selben Zeit begann in der Bundesrepublik das Wirtschaftswunder. Aber Maria Lamas zeigt stolze Frauen mit harten, fast männlichen Gesichtszügen. Vier Mädchen blicken selbstbewusst in ihre Kamera. Sie balancieren in São Pedro da Cova geflochtene Körbe auf den Köpfen voller Kohle und Steine. Maria Lamas notiert knapp: Mit 14 Jahren fingen sie an zu arbeiten; wenn sie als erwachsene Frauen galten, spanne man sie vor die kleinen Waggons. „Der Kohlenstaub verleiht ihnen ein vorzeitig gehärtetes Aussehen. Sie lernen sehr bald, sich dem Leben zu stellen“, schreibt die Fotografin in ihren Begleittexten. Sie sind fast so wichtig wie die kleinformatigen Bilder selbst.

Sie skizziert mit wenigen groben Strichen ein kaum vorstellbares Leben. Eine Fünfzehnjährige trägt im Gebirge einen hölzernen Wasserkrug auf dem Kopf: Das Mädchen liebe es zu tanzen, sei eher wortkarg und noch nie in einer Stadt gewesen. Ihre Arbeit bestehe darin, Straßenbauern auf 900 Metern das Wasser hin­aufzutragen, mitten im Winter über rutschiges und spitziges Gestein. Auf einer anderen Aufnahme ist ein fünf Jahre altes Mädchen aus Miranda do Douro zu sehen. Sie hat sich ihren acht Monate alten Bruder mit einem Tuch auf den Rücken gebunden, wie die erwachsenen Frauen. Sie renne und spiele mit den anderen Kindern auf der Straße, bis ihre Mutter, wenn sie abends vom Feld zurück ist, sie „von dieser Last befreit. Das ist ein derart verbreiteter Brauch in der Gegend, dass ihn niemand befremdlich findet“, lautet die Bildunterschrift.

Verhärmte Gesichter, so steinern wie die Häuser

Die erwachsenen Frauen arbeiten auf den Reis- und Getreidefeldern, auf Fischerbooten und dem Markt. Oft mit bloßen groben Füßen, die davon zeugen, dass Schuhe ein Luxus waren. Mit 25 Jahren sahen sie schon aus, als wären sie Großmütter. Sie wirken, als wären sie mit den Häusern aus grob behauenen Steinen verwachsen, in denen die einzige Öffnung die Türe ist: „Die Frau wurde dort geboren, hat immer darin gelebt und erwartet, in dem Haus auch zu sterben, in dem ihre Kinder geboren wurden“, heißt es knapp dazu.

In den Jahren, in denen sie an dem Buch arbeitete, ging das Salazar-Regime immer härter gegen linke Kritiker wie sie vor. Der berüchtigte Geheimdienst Pide nahm sie bis 1953 mehrmals fest. Sie kam vor Gericht und im Gefängnis von Caxias in Haft, 1950 fünf Monate lang. Über ihre Haft, in der sie erkrankte, schrieb sie. Dann folgte ein Buch über die Insel Madeira, auf die sie sich zeitweise zurückzog, bevor sie 1962 für sieben Jahre nach Paris floh. Dort gingen bei ihr die wichtigsten Regimegegner genauso ein und aus wie Pablo Neruda und Jorge Semprun.

Bei härtester Arbeit trennt sich die Spreu vom Weizen: Maria Lamas’ Fotoporträt „Rapariga do Covão da Ponte, região de Manteigas“
Bei härtester Arbeit trennt sich die Spreu vom Weizen: Maria Lamas' Fotoporträt „Girl from Covão da Ponte, Manteigas area“Calouste Gulbenkian Foundation

Lamas konnte nicht untätig sein, sie reiste zu Friedens- und Frauenkongressen in der ganzen Welt, übersetzte Charles Dickens und den „Kleinen Lord“. Unter Pseudonymen verfasste sie eigene Kinderbücher. Sie war eine der ersten professionellen Journalistinnen Portugals. Anfang der Dreißiger übernahm sie die Redaktion von „Mode und Stickereien“, einer Frauen-Beilage der Zeitung „O Século“. Die alleinerziehende und mehrmals geschiedene Mutter gab sich bald nicht nur mit traditionellen Frauenthemen ab und gewann viele neue Leser.

Sie war rechtzeitig zurück, als die Militärs 1974 ihren unblutigen Aufstand begannen. Am 1. Mai marschierte Maria Lamas in dem Meer aus roten Fahnen am 1. Mai 1974 mit Tausenden auf der Avenida de Liberdade in Lissabon. Kurz darauf trat sie der kommunistischen Partei bei. Nach der Nelkenrevolution wurde sie gefeiert. Straßen und Plätze tragen bis heute ihren Namen, aber ihre Bücher wurden bald vergessen. Doch ihre Ausstellung zieht überraschend viele Menschen an – in einem Portugal, in dem fünfzig Jahre nach der Nelkenrevolution in den Wahlen die Rechtspopulisten triumphieren.

Maria Lamas und ihre Frauen. Gulbenkian, Lissabon; bis zum 28. Mai. Der Katalog kostet 45 Euro.

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