Salman Rushdie's e book Knife: A Memoir of Survival | EUROtoday

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Salman Rushdie hat nun schon einige Male Journalisten von dem Messerattentat auf ihn erzählt, das er 2022 nur knapp überlebte und in dem heute weltweit erscheinenden Buch „Knife“ verarbeitet hat. Das große mediale Interesse an dem Fall ist nur zu verständlich. Etwas misslich wirkt, dass die Interviews und Vorabberichte Aufmerksamkeit von dem eigentlichen Gegenstand, dem Buch, abziehen oder gar suggerieren, es ersetzen zu können.

Um gleich jeden Zweifel auszuräumen: Ja, es lohnt sich noch, tatsächlich das Buch zu lesen. Das merkt man gleich an dessen erstem Satz, der sofort in Rushdies typischem Sarkasmus gipfelt, und zwar auf eine Weise, die stark von der Schriftsprache bedingt ist:

„Am 12. August 2022, einem sonnigen Freitagmorgen um Viertel vor elf, wurde ich von einem jungen Mann mit einem Messer angegriffen und beinahe getötet, nachdem ich gerade die Bühne des Amphitheaters in Chautauqua betreten hatte, um darüber zu reden, wie wichtig es ist, sich für die Sicherheit von Schriftstellerinnen und Schriftstellern einzusetzen.“

Kein Safe Space in Chautauqua

Von derartig pointierten Gegensätzen lebt das Buch bis zur letzten Seite. Die amerikanische Institution Chautauqua, die er schon von früher kannte, ein gemeinnütziges Bildungszentrum am Eriesee, beschreibt Rushdie zunächst als wunderbaren Ort, an dem sich „silberhaarige, weltoffene Menschen zu einer idyllischen Gemeinschaft“ zusammentaten, in „komfortablen Holzhäusern“ lebten und es unnötig fanden, „abends die Türen zu verschließen“. Leider fand man es dort wohl auch unnötig, den seit 1989 von Fanatikern mit dem Tode bedrohten Rushdie besonders zu schützen, so dass ein Mann auf die Bühne stürmen und ihm zahlreiche Messerstiche versetzen konnte. An diesem Tag sei Chautauqua „kein sicherer Ort“ für ihn gewesen, bemerkt Rushdie lakonisch.

Fast 35 Jahre nach Khomeinis Mordaufruf aufgrund des vermeintlich blasphemischen Romans „Die satanischen Verse“ mutet es dessen Verfasser Rushdie kurios an, dass der Attentäter, wie später bekanntwurde, „kaum zwei Seiten“ seines Werks gelesen hatte und wohl nur aufgrund einiger Youtube-Videos seinen Mordplan fasste. Das vorliegende Buch, so Rushdie, diene ihm dazu, herauszufinden, worum es dem Attentäter wirklich ging.

Ein Ansatz zur Selbsttherapie

Bevor es dazu kommt, muss der Autor sich in diesem offensichtlich selbsttherapeutischen Werk aber erst noch über ganz andere Dinge klar werden, die ihn betreffen. Ein Schlüsselsatz lautet: „Da ich nun noch lebe (…), gebe ich gern der Vorliebe meines Verstandes zur freien Assoziation nach.“

Von dieser Freudschen Technik, das Vorbewusste sichtbar zu machen, ist Rushdies zwischen Memoir und Essay changierender Überlebenstext tief geprägt – von der Ausmalung der letzten Stunden vor dem Attentat über das Erleben desselben bis hin zur Zeit der mühsamen Rekonvaleszenz.

Die Beschreibung des Tathergangs aus Sicht des Opfers ist so drastisch, dass wir her lieber nicht daraus zitieren. Sie ist drastisch in der genauen Beschreibung der Bluttat, aber auch in den Sprachbildern für diese und den Assoziationen, die sie auslöst. Dies zu lesen, hat eine bleibende Wirkung.

Witzeln noch in der schlimmsten Situation

Teils noch größere Wirkung aber erzielt Rushdie durch seinen unbedingten Willen, seine Leidensgeschichte – also die von Stichen, Schnitten, durchtrennten Sehnen und Nerven, auch eines Sehnervs, irreparabel – mit Humor und Ironie zu erzählen. „Schade um meinen Ralph-Lauren-Anzug“, stellt er etwa fest angesichts des Kleidungsstücks, das die Ersthelfer zerschnitten, um seine zahlreichen Wunden zu lokalisieren und zu versorgen. Als ein Arzt ihm später in der Klinik versichert, er sei „Meister im Flüssigkeitsabsaugen“, kommentiert der Patient: „Ich wusste gar nicht, dass es in dieser Disziplin Meisterschaften gibt. Ein Super Bowl im Absaugen von Flüssigkeiten? Wer trat bei der Halbzeitshow auf? Muddy Waters? Aqua? Halt die Klappe, Salman.“

Sogar noch der Erkenntnis, dass sein rechtes Auge nicht zu retten ist und das Lid zugenäht werden muss, versucht Rushdie eine Art Witz abzugewinnen. Er rät seinen Lesern: „Falls Sie es vermeiden können, dass man Ihnen die Lider zusammennäht … vermeiden Sie es. Es tut wirklich, wirklich weh.“

Den Täter nennt er nicht beim Namen

Geradezu verspielt wirken die Buchpassagen über die schmerzhafte und langwierige Reha-Phase, in die Rushdie lauter literarische Assoziationen einbaut. Die Dauer des Attentats bemisst er mit der, ein Shakespeare-Sonett aufzusagen. Und bei der Lektüre eines Zeitungsinterviews mit dem Täter hat er „stark den Eindruck, dass seine Entscheidung, mich zu ermorden, untermotiviert blieb“. Den Mann, der ihn ermorden wollte, nennt er bewusst nicht beim Namen. Sondern er kürzt diesen mit „A.“ ab – und bietet gleich mehrere Bedeutungen dafür an, darunter „Affenmann“ und schlicht „Arschloch“.

Aber so verständlich diese Distanzierung wäre, bleibt es dabei nicht. Im zweiten Teil des Buches sprengt Rushdie dessen Form ein weiteres Mal und ersinnt nun ein langes vierteiliges Gespräch mit dem Attentäter, den er nie in Wirklichkeit getroffen hat, um ihn ganz nah heranzuholen. In der Fiktion versucht er dem Fundamentalisten ohne wirkliches Fundament ein solches zu geben – allerdings nicht in einer Religion, sondern in der freien Kunst. Diese überdauere am Ende jene, die sie unterdrücken, und sei es mit Gewalt.

Lektion in Kunstfreiheit

Umso deutlicher wird nun, warum Rushdie zuvor teils fast verzweifelt versucht hat, am Humor festzuhalten: Weil er dem Attentäter hier schließlich die Lektion geben will, dass der Streit um Blasphemie in der Kunst und Literatur letztlich eine Auseinandersetzung „zwischen Menschen mit Humor und Menschen ohne Humor“ sei. „Ich erkenne Sie jetzt, mein gescheiterter Mörder, mein scheinheiliger Attentäter, mon semblable, mon frère. Sie konnten es mit dem Morden versuchen, weil Sie nicht zu lachen wussten.“ Zu einer Einsicht, zum Lachen kommt der Mann freilich nicht, auch nicht in Rushdies wilder Phantasie. „Unser erdachtes Gespräch ist vorbei. Ich habe nicht länger die Energie, ihn mir vorzustellen, so wie er nie in der Lage war, sich mich vorzustellen.“

Rushdie, der seit 1989 auch einigen Mangel an Solidarität erlebt hat, wie man bereits aus seiner Autobiographie „Joseph Anton“ wusste, hätte jedes Recht, nun, da der Ernstfall eines Attentats wirklich eingetreten ist, nur über sich zu sprechen. Aber sein Buch über Leben und Tod gewinnt besonders auch, wenn er von sich selbst absieht. Er tut das einerseits in Bezug auf alle, die ihm nahestehen – das ist in erster Linie seine Frau Rachel Eliza Griffths, der er ein eigenes Kapitel widmet und die symbiotische Beziehung mit der 1978 geborenen Dichterin als lebensrettend beschreibt. Rushdie würdigt zudem einige mit ihm befreundete Schriftsteller, darunter den 2023 verstorbenen Martin Amis, die sein Buch bisweilen wie eine sehr lange, sehr amerikanische Dankesrede wirken lassen – aber auch tut ihm keinen großen Schaden an.

Trotz allem Persönlichen liegt dem Überlebenden aber, das wird deutlich, an einer universellen Botschaft, ja, einem Vermächtnis, das im Einklang mit seiner Friedenspreisrede in der Paulskirche vom vergangenen Oktober steht: „Für die Opfer von Gewalt gerät das Verständnis von Realität ins Wanken. Kinder gehen zur Schule, Gläubige in eine Synagoge, Käufer in einen Supermarkt, ein Mann betritt die Bühne eines Amphitheaters; sie alle bewegen sich gewissermaßen in einem stabilen Weltbild. Eine Schule ist ein Ort der Bildung, eine Synagoge ein Ort der Andacht, ein Supermarkt ein Ort zum Ein kaufen, eine Bühne ein Ort zum Auftreten.“ An einem solchen Weltbild, so sehr es auch von der Realität immer wieder erschüttert werden mag, hält Salman Rushdie unerschütterlich fest.

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