Olivier Awards ceremony in London | EUROtoday

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Puristen haben es nicht leicht in London. Die Kunst, die im West End geboten wird, ist weder etwas für Bewahrer des Herkömmlichen noch für Verteidiger des Elitären. Biedere Tradition wird so wenig geschätzt wie experimentelle Abgehobenheit. Das Theater auf den Bühnen des West Ends war schon immer unterhaltsam, populär und – was wohl nur in England kein Widerspruch ist – ohne Shakespeare und andere Klassiker undenkbar.

Die mangelnde Berührungsangst zwischen Altem und Neuem im Dienst der Unterhaltung bestimmte auch die Verleihung der diesjährigen Olivier Awards. Die Oliviers sind die wichtigste Auszeichnung in der britischen Theaterwelt, vergleichbar mit den amerikanischen Tonys. Gewonnen haben am Sonntagabend allerdings keine hochverdienten Veteranen des Theaters, sondern Schauspieler, die bislang vor allem aus dem Fernsehen bekannt waren und von dort mit großer Unbefangenheit in klassische Rollen auf die Bühne wechselten.

Sarah Snook spielt alle 26 Rollen selbst

Als beste Schauspielerin wurde Sarah Snook ausgezeichnet. Bevor sie im West End auftrat, gelang die Australierin als intrigante Tochter des Medienmoguls Logan Roy in der preisgekrönten Fernsehserie „Succession“ zu Weltruhm. In London ist sie noch bis Mitte Mai in Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“ zu sehen. In der fulminanten One-Woman-Show spielt Snook Abend für Abend alle 26 Rollen selbst. Trotzdem ist die Darbietung – wie es sich fürs West End gehört – größer als ihr Star. Die Inszenierung ist so kühn und einfallsreich und verleiht dem Text so viel Kraft, dass die Berühmtheit der Schauspielerin rasch in den Hintergrund tritt.

Als Favorit für den Preis des besten Schauspielers galt Andrew Scott, berühmt aus der Fernsehserie „Fleabag“ und Hauptdarsteller der neuen Netflix-Serie „Ripley“. Er wurde im West End für Tschechows Klassiker „Onkel Wanja“ gefeiert, bekam den Theaterpreis jedoch am Ende nicht. Stattdessen gewann mit Mark Gatiss ein anderer britischer Fernsehstar.

Triumph der Serienstars ist neu

Damit dürfte sich das Fernsehen endgültig vom „Stiefkind“ zum „größten Influencer der Schauspielkunst“ etabliert haben, wie der „Telegraph“ schreibt. Schon im vergangenen Jahr hatten zwei West-End-Debütanten bei den Oliviers triumphiert, die zuvor als Hauptdarsteller der Fernsehserien „Killing Eve“ (Jodie Comer) und „Normale Menschen“ (Paul Mescal) den Durchbruch geschafft hatten. „Vor zwanzig Jahren“, schreibt der „Telegraph“, „wäre dieser Wechsel undenkbar gewesen. TV-Stars wären in der feinen Welt des Theaters niemals willkommen gewesen.“ Insofern ist der Triumph der Serienstars durchaus neu.

Gleichzeitig aber steht er in der bewährten Tradition der Fremdbestäubung, die das West End seit Langem pflegt. Die Bereitschaft der Londoner Theatermacher, sich beim Fernsehen zu bedienen und dessen größte Talente auf die Bühne zu locken, ist nur ein weiteres Beispiel für die britische Durchlässigkeit zwischen den Branchen und Genres. Variiert wird die Größe des Bildschirms, aus dem die Schauspieler (und Regisseure) auf die Theaterbühne treten und von dort aus wieder zurück. Früher kamen die Superstars aus dem Kino ins West End, heute auch aus dem Fernsehen. Gleich geblieben ist dabei die Leichtfüßigkeit, mit der sie über anderswo kaum überwindbare Grenzen zwischen Ernst und Unterhaltung, Shakespeare und Harry Potter, Tschechow und Fleabag tänzeln.

Natürlich gibt es auch in London Stimmen, die den Triumphzug populärer Stars auf der Bühne kritisieren. Es schade dem Theater, glaubt etwa der Dramatiker Jeremy O. Harris, wenn Stücke den Leuten nur noch als Hintergrund dienten, „um ihren Lieblingspromi zu sehen“. Auch die Kritikerin des „Guardian“ verurteilte die bis letztes Wochenende laufende Komödie mit Sarah Jessica Parker und deren Ehemann ­Matthew Broderick als „Promi-Zirkus“. Parker ist aus der in New York angesiedelten Fernsehserie „Sex and the City“ weltberühmt, Broderick aus Hollywood.

Dabei war es nicht etwa die mangelnde Schauspielkunst der Stars, die den „Guardian“ störte. Parker wurde für ihre Leistung für einen Olivier nominiert. Die Kritikerin war vielmehr enttäuscht von der „flachen“ Inszenierung, die sich „auf dem Ruhm der zwei Superstars ausruht“. Und das hat im West End noch nie gereicht, um zu begeistern. Stattdessen funktionieren große Namen nur, wenn sie nicht als Attraktion vom Bühnenstück ablenken, sondern ihm mit ihrem Können dienen. Das war bei „Dorian Gray“ mit Sarah Snook genauso der Fall wie in „Sunset Boulevard“ mit dem Popstar Nicole Scherzinger. Die minimalistische Neuinszenierung des Musicals erzielte am Sonntagabend einen Rekord – Scherzingers Auszeichnung war nur eine von insgesamt sieben Oliviers.

Zu viel Prominenz im West End

Zuletzt hat sich Brian Cox in den Streit über zu viel Prominenz im West End eingemischt. Bevor er die größte Rolle seines Lebens als Patriarch Logan Roy (und Vater von Sarah Snooks Figur) in der Serie „Succession“ spielte, hatte er in seiner langen Karriere schon zwei Olivier Awards gewonnen. Derzeit tritt er wieder im West End auf und hält die Frage, ob das Publikum ihn wegen seiner Spielkunst sehen will oder wegen seiner Berühmtheit, für eine Beleidigung. „Promi?“, schimpfte er kürzlich in einer Talkshow, als handele es sich dabei um ein Schimpfwort, „was soll denn das heißen?“ Wie die meisten britischen Schauspieler hält auch Cox sich in erster Linie für einen Arbeiter, der sein Handwerk mal auf der Bühne gebraucht, mal auf dem Bildschirm. Entsprechend polterte er: „Ich mache das seit sechzig Jahren, verdammt noch mal.“

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/verleihung-der-olivier-awards-in-london-19655037.html