Tobias scratch with Strauss' “Intermezzo” in Berlin | EUROtoday

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Soll man es einen Liebesbeweis nennen oder eine Unverfrorenheit, dass Richard Strauss in seiner Oper „Intermezzo“ nicht nur sich selbst zur Figur machte, sondern, noch exponierter, seine Frau? Dass er davon ausging, dass sie und ihre gemeinsame Ehe das aushalten würden, spricht nicht gegen ihn. Tatsächlich transportiert das temporeiche, äußerst witzige Libretto dieser „bürgerlichen Komödie“ (Strauss schrieb auch den Text) von Anfang an, dass hier nichts auf Dauer in die Brüche gehen würde. Es wird gezankt und gestritten, dass sich die Balken biegen, und wenn er sie als „unausstehliche Kratzbürste“ beschimpft, sie ihn als „Kapellmeister, der den Vollgefress’nen unten im Parkett den Hampelmann macht“, dann werden hier mit Lust alle Hoffnungen auf eine perfekte bürgerliche Ehe zerstört, wie sie mancher damals vielleicht vermutete im Hause eines Komponisten.

Solch ungeschminkte Darstellung auf die Bühne gebracht, überhaupt das Alltäglichste zur Oper gemacht zu haben war revolutionär und für Strauss eine Erholung nach dem hohen Ton der „Frau ohne Schatten“. In nahezu unheimlicher Freiheit sprudelt hier die Musik. Gleichwohl ist es allein Strauss’ Perspektive, die dabei zum Ausdruck kommt. Seine Frau Pauline wird ihm zur künstlerischen Gestaltungsmasse, über die er allerdings nicht respektlos verfügt: Frau Storch mag über Einsamkeit im Schatten einer prominenten Person klagen. In ihrer Eloquenz und den klaren Ansichten aber – wie überhaupt in den Streitereien der Ehegatten stets Augenhöhe besteht – ist sie von einer Opferrolle weit entfernt.

Wo nichts ist, da kann nachgeholfen werden: Bei Tobias Kratzer, der das Stück nun an der Deutschen Oper Berlin inszenierte, wird Frau Storch zum frustrierten Heimchen, das mit Schlabberpulli und Kaffeebecher die Insignien ihrer Häuslichkeit zur Schau stellen muss, während der verreisende Gatte das Taxi vollladen lässt. Wenn sie auf dem Sofa sitzt – das Handy in der Hand, eine Bedienstete frisiert ihr die Haare –, dann ist die Ödnis mit Händen zu greifen. Würdelos wird es aber später, wenn sie sich vom Baron Lummer flachlegen lässt. In Strauss’ Libretto ist diese Tändelei mit einem deutlich Jüngeren eine Geschichte voller Andeutungen und ironisierender Zwischentöne. Das Heft des Handels gibt die Komponisten-Gattin nie aus der Hand in diesem Spiel mit Möglichkeiten.

Bei Kratzer wacht sie nun beim „Grundlseewirt“ in einem zerwühlten Hotelbett auf, während Lummer (Thomas Blondelle), feixender Berufsjugendlicher mit Turnschuhen und Basecap, an der Zigarette danach saugt. Aus dem Heimchen wird ein Dummchen. Wie die Gattin hier hilfloses Opfer eines dämlichen Aufreißers wird: Nach Hinweisen darauf in Richard Strauss’ Frauenbild (nicht nur was seine eigenen Frau betrifft) müsste man lange suchen.

Gleichwohl hat die Rolle, die sich Kratzer ausgedacht hat, eine Darstellerin, die sie glaubwürdig vertritt. Bei Maria Bengtsson, gesegnet mit einem hinreißend weich gebetteten Sopran, erscheinen die klanglichen Keifereien, die scharfen Ausbrüche und plötzlichen Wendungen dieses Parts gemildert und ins Ästhetische gewendet. In solcher Kultiviertheit erscheint die Komponisten-Gattin plötzlich als enorm verletzliche Person. Der gesicherte Boden, der für das Funktionieren einer Komödie unabdingbar ist, schwankt; alles scheint nun möglich, aus der Komödie wird eine Tragödie.

Im Orchestergraben wird nachgeholfen: Sir Donald Runnicles verschleppt die Tempi nicht gerade, breitet sie aber doch aus. Hin zur Bedeutsamkeit verschiebt sich das Klangbild einer Partitur, in der Strauss immer die Gestaltung des Unbedeutenden im Sinn hatte. Und doch herrscht auch hier Exzellenz: In glänzender Verfassung präsentiert sich das Orchester, zumal in den grandiosen Zwischenspielen, virtuos, stark an Kontur, sicher in der Geste.

Jedoch, es gibt einen zweiten Akt: Da läuft Kratzer zu komödiantischer Hochform auf. Nun geht’s um die Welt des Kapellmeisters Storch (eher Nervosität personifizierend: Philipp Jekal), der sich zur Skatpartie ins Stimmzimmer der Orchestermusiker begibt. Hier spielt Kratzer Strauss’ Spiel der Selbstironie und Selbstreferenz gekonnt weiter. Das Orchester des Hauses, bald auf der Bühne sitzend, wird zum Beteiligten, Kapellmeister Stroh (Clemens Bieber) erscheint als Donald Runnicles, dessen Vorliebe für Western-Klamotten vom Ausstatter Rainer Sellmaier persifliert wird, die Komponisten-Gattin, die zuvor schon in Opernrollen ihres Mannes träumerische Zuflucht gesucht hatte, kommt als beilschwingende Elektra zum Notar, um ihre Scheidung einzureichen. Das Gelächter im Publikum übertönt zeitweise die Musik, es gibt Zwischenapplaus. Am Ende herrscht gleichwohl wieder pessimistische Strenge: Ein Vorhang senkt sich zwischen dem Komponisten und seiner Frau.

Die Liebesworte, die sie zuvor gesungen hatte (von Strauss nicht ohne Ironie gedacht): nichts als eine Rolle, abgelesen von Noten, die ihr der Mann zuvor gereicht hatte.

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/tobias-kratzer-mit-strauss-intermezzo-in-berlin-19687063.html