Obituary for France's literary pope Bernard Pivot | EUROtoday

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Bernard Pivot war so etwas wie die französische Entsprechung zu Marcel Reich-Ranicki: Seine Literatursendung „Apo­strophes“ versammelte von 1975 bis 1990 Millionen Zuschauer vor dem Bildschirm. Das Format auf „Antenne 2“ war freilich ein anderes als das „Literarische Quartett“ im ZDF: Pivot konzentrierte sich auf ein Thema oder einen Autor, lud prominente Gäste ein, vom Chansonnier Georges Brassens bis zum Staatspräsidenten Valérie Giscard d’Estaing. Ähnlich bekannt wie „Apostrophes“ waren Pivots Diktate: 1985 gründet er die „Dicos d’or“, einen Wettbewerb, der die Franzosen mit den Rechtschreibregeln ihrer Sprache versöhnen sollte.

Allerdings lässt sich Pivots beeindruckende Karriere nicht auf diese beiden Stationen reduzieren. Der 1935 in Lyon geborene Sohn eines Lebensmittelhändlers, der eine streng katholische Erziehung genossen hatte, zeigte schon in der Schule Begabung (in Französisch und Sport – er sollte begeisterter Fußballfan werden). Pivot bewies sich als Zeitungs- und Radiojournalist, bevor er zum Fernsehen wechselte. Als Absolvent einer Journalistenschule, wo er seine Frau kennengelernt hatte, begann er 1958 beim Literaturteil des „Figaro“ – dort ist nun auch der persönlichste Nachruf erschienen. Ein Zusammenstoß mit Jean d’Ormesson kostete ihn sechzehn Jahre später seinen Posten; er hat sich mit dem „Figaro“-Generaldirektor und Schriftsteller deshalb aber keineswegs dauerhaft überworfen.

Zusammen mit Jean-Louis Servan-Schreiber gründete Pivot 1975 das Magazin „Lire“ (Lesen), das heute noch erscheint. Zwischenzeitlich hatte er Anfang der Siebziger das Radio ausprobiert. Dann folgte „Apostrophes“, der unbestrittene Höhepunkt seiner Laufbahn. Dass der im Fernsehen stattfand, ist kein Zufall: Die Sendung fiel mit einer Demokratisierung der Hochkultur in diesem und durch dieses Medium zusammen. Zugleich beerbte „Apostrophes“ die geistreiche Konversation à la française, brachte etwa den Philosophen Michel Serres und den Chocolatier Maurice Bernachon zusammen. Nicht alle spielten mit, und Kritiker wie Gilles Deleuze warfen Pivot Verflachung vor. Manche Sendungen sind immer noch bekannt, etwa die Auftritte von Charles Bukowski, Serge Gainsbourg oder den „nouveaux philo­sophes“ Bernard Henri-Lévy und André Glucksmann; andere, wie die Plauderei mit dem bekennend pädophilen Autor Gabriel Matzneff, wirken heute fragwürdig. „Le Monde“ erinnert an die Wirkung dieses Fernsehformats: Eine Ipsos-Umfrage ermittelte 1983, dass ein Drittel der Buchkäufe in der Kulturkaufhauskette FNAC auf „Apostrophes“ zurückging. Sicher, dort kaufte vor allem ein urban-intellektuelles Milieu ein, doch die Zahl beeindruckt trotzdem.

Um keinen flotten Spruch verlegen

Nach „Apostrophes“ blieb Pivot dem Fernsehen noch zehn Jahre lang mit der Sendung „Bouillon de culture“ (ein Wortspiel auf „Nährlösung“) treu. 2001 ver­abschiedete er sich vom Fernsehen, nicht aber von der Literatur: 2004 wurde er Mitglied der Académie Goncourt, die jährlich den wichtigsten französischen Literaturpreis verleiht; von 2014 bis 2019 leitete er sie. Außerdem beglückte er eine große Twitter-Gemeinde: Pivots Vergleich von Greta Thunberg mit den Schwedinnen-Phantasmen seiner Jugend gehörte zu den weniger gelungenen Tweets.

Für Pivot gab es ein Leben jenseits der Literatur. Die Erfolge dort waren freilich variabel, Pivot war 1976 in Glasgow mit dabei, als sein Lieblingsverein Saint-Étienne das Europapokalfinale der Landesmeister gegen Bayern München verlor: „Die Deutschen hatten meinen Vater schon fünf Jahre als Gefangenen zurückgehalten. Das war etwas viel“, bemerkte er mit Understatement. Mehr Glück bereiteten ihm Gaumenfreuden: Der Feinschmecker Pivot widmete dem Wein ein „Dictionnaire amoureux“, eines jener Liebhaber-Wörterbücher, die prominenten Schriftstellern anvertraut werden. Ein solcher ist er nie geworden, sicher aber einer der größten Literaturvermittler. Am Montag ist Bernard Pivot im Alter von 89 Jahren verstorben.

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/nachruf-auf-frankreichs-literaturpapst-bernard-pivot-19702844.html