The “Hacking Bible 3” from the Chaos Computer Club | EUROtoday

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Der Einband der „Hackbibel 3“ zeigt einen Raum voller Menschen, die sich mit Computern, Drohnen, Lötkolben und 3-D-Brillen befassen. Im Hintergrund ist eine Figur undefinierbaren Alters zu sehen, die ein Transparent mit einem der bekannteren Symbole des Chaos Computer Clubs (CCC) an die Wand nagelt. Das Logo, ein stilisierter Kabelknoten, war eigentlich eine Parodie des Kabelfernseh-Kampagnenlogos der Deutschen Bundespost, die ihren Gegenstand um Jahrzehnte überlebt hat.

Diese Figur und das Logo stehen für die Zeit, in der die erste „Hackerbibel“ erschienen ist. 1985 war der Chaos Computer Club gerade vier Jahre alt, und Westdeutschland hatte eine der frühen großen Datenschutzdebatten – über die Volkszählung 1983 – gerade hinter sich. Das Land erlebte zu dieser Zeit auch seinen ersten breitenwirksamen Digitalisierungsschub. Günstige Heimcomputer verkauften sich millionenfach und gaben kundigen Menschen durchaus mächtige Rechenwerkzeuge an die Hand.

Denk- und Softwarefehler

Anders als in den USA fand die Vernetzung dieser Rechner aber weniger über Modem und Mailboxen statt als via Datenträger in den Schulhöfen. Denn die Hoheit der Bundespost erstreckte sich auch über alle Geräte, die an ihr Netz angeschlossen waren. Die zur Datenübertragung notwendigen Modems mussten von der Bundespost genehmigt sein und waren für Hobbyisten unerschwinglich. In der ersten „Hackerbibel“ steht deshalb eine Anleitung für ein Modem im Selbstbau, „Datenklo“ genannt, weil die Gummimuffen für die Verbindung zwischen Elektronik und Telefonhörer aus dem Sanitärfachhandel stammten. Die Bundespost als Staatsorgan stand zwischen Hacker und Netzwerk, also war sie dessen Hauptgegner und wurde gern mit Aktionen wie dem Bildschirmtext-Hack (1984) vorgeführt. Das Verhältnis zwischen CCC und BRD sollte kompliziert bleiben.

Besucher des 35. Chaos Communication Congress (35c3)
Besucher des 35. Chaos Communication Congress (35c3)Picture Alliance

1988 erschien eine zweite „Hacker­bibel“, eine dritte ließ bis 2024 auf sich warten. Man kann sich – wie die Redaktion der „Hackbibel 3“ selbst – fragen, warum es zu Internet-Zeiten überhaupt noch nötig ist, ein Buch über den Stand der Dinge im CCC zu veröffentlichen. Wenn man die erste „Hackerbibel“ neben die aktuelle legt, zeigt sich der Wert dieser Publikationen als Dokumentation eines wichtigen Teils der Sozial- und Technikgeschichte der Bundesrepublik unmittelbar. Während die erste „Hackerbibel“ mit ihrer Fotokopierer-Ästhetik eine Underground-Publikation in der Tradition alternativer BRD-Stadtzeitungen war, kommt die „Hackbibel 3“ durchgehend vierfarbig und in fast schon zu sauberem Layout daher. Das neue Buch legt seinen Schwerpunkt auch mehr auf Dokumentation netzpolitischer und sozialer Standpunkte, denn die technischen Detailinformationen gibt es heute im Netz, während sie in der ersten „Hackerbibel“ in Tradition des kalifornischen „Whole Earth Catalog“ noch breiten Raum eingenommen hatten.

Viele Konstanten haben sich über die Jahre stabil gehalten. Staatliche Sicherheitsapparate und Megakonzerne legen nach wie vor unstillbaren Datenhunger an den Tag, der CCC zeigt ihnen ihre Denk- und Softwarefehler auf. Debatten über Hacker-Ethik werden 2024 mit ebenso ­hoher Intensität geführt wie 1984. Auch Identitätsfragen (Was ist ein Hack? Was ist ein Hacker?) waren in der Szene immer wichtiger Teil der Sozialisationsprozesse, inzwischen werden sie um Genderfragen erweitert, eine praktische Übersicht gängiger Identifikationsangebote inklusive Flaggen hilft dabei. Das Thema selbstbestimmtes Lernen war in den Achtzigerjahren so wichtig wie heute.

Erdgeist, Vollkorn und Indeks

Verändert hat sich seit 1985 zunächst Deutschland selbst. Die „Hackbibel 3“ gibt Texten über das Leben von Nerds in der DDR Raum. Von Ostalgie ist da nichts zu spüren, die Freiräume und technischen Ressourcen mussten hart erkämpft werden, stets unter den Augen der Stasi und ihrer Informanten. Auch dass die „Hackbibel 3“ unter geschlechtlich neutralem Titel veröffentlicht wird, ist alles andere als selbstverständlich; die anfangs maskuline Hackerkultur musste ihrerseits von klugen Frauen geknackt werden. Heute wollen die CCC-Kongresse sichere Räume für Menschen aller Gender-Identitäten bieten. Ein hehres Ziel, das nie ohne harte Konflikte erreicht werden kann, wie in der „Hackbibel 3“ nachzulesen ist. Im Lauf der vergangenen vierzig Jahre hat der CCC jedenfalls über mehrere Generationen hinweg einiges Wissen über Konfliktmoderation und das Verhältnis von Selbstorganisation und individueller Freiheit angesammelt.

Der CCC des Jahres 2024 bewegt sich souverän im politischen System. An die Stelle des Modem-Schaltplans ist das Schema des nicht minder komplexen Gesetzgebungsprozesses der Europäischen Union getreten – inklusive Hinweisen, wie und in welcher Stufe dieser im Sinne der CCC-Agenda zu beeinflussen sein könnte. Überall im Buch ist die Bestrebung zu spüren, die eigene Umgebung besser zu hinterlassen, als man sie vorgefunden hat.

An einigen Stellen wird klar, dass das bei aller Selbstorganisation zu staatstragend wirken könnte. Einer der schönsten Texte im Buch heißt „Sollten wir das Chaos schriftlich fixieren?“; dabei handelt es sich um das Transkript eines Gesprächs über Sinn und Zweck einer „Hackbibel 3“ zwischen den CCC-Mitgliedern Erdgeist, Vollkorn und Indeks. Erdgeist erinnert dabei daran, dass „Misstraue Autoritäten“ immer noch einer der Leitsätze des Vereins sei. Auf den Wunsch von Indeks nach Dokumentation für die Nachwelt stellt Erdgeist fest, „…dass es schon eine ziemlich krasse Bitte an einen Menschen ist, an seiner eigenen Musealisierung mitzuarbeiten“. Und weiter: „Ich würde mir wünschen, der Club würde eine Rasselbande bleiben, ein Rabaukenverein.“

Zu spät, der CCC wird der Geschichtswissenschaft nicht entkommen, auch dank der „Hackbibel 3“. Dass diese eher der ­Dokumentation als der Kommunikation dient, lässt sich auch am Preis ablesen. Das Buch mag seine 28 Euro wert sein, aber speziell für jugendliche Interessenten ist das immer noch viel Geld. Die Redaktion der ersten „Hackerbibel“ war da vorsichtiger. Sie schrieb im Vorwort, man habe bei der Wahl von Verlag und Produktionsverfahren besonders auf die Erschwinglichkeit des Buchs geachtet.

Chaos Computer Club (Hrsg.): „Hackbibel 3“. Katapult Verlag, Greifswald 2024. 224 S., Abb., br., 28 Euro.

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/die-hackbibel-3-des-chaos-computer-clubs-19681369.html