Moscow artwork scene: bans and Ukrainian artwork stars | EUROtoday

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Russlands Kunstbetrieb ähnelt einem Divertimento mit plötzlichen Pausen und Schlagzeugstößen. Zumal in Moskau folgen Vernissagen in engem Takt aufeinander, die Kunstmesse für Zeitgenössisches „Art Russia“, die im April stattfand, meldet Rekordbesucherzahlen und -umsätze. Doch wer ausstellen darf und was, das wird von einem mehrschichtigen Kontrollnetz streng gefiltert. Seit Beginn der Großinvasion in die Ukraine wurden in staatlichen Museen Mitarbeiter, die der Staatssicherheit angehören, installiert, die aufpassen, dass keine illoyalen Arbeiten gezeigt werden, die etwa Kriegsgräuel oder Polizeigewalt zeigen, zum Frieden aufrufen oder sich über Präsident Putin oder über Stalin lustig machen. Auch kommen Künstler und Kuratoren, die sich gegen den Ukrainefeldzug positionieren, auf eine behördliche schwarze Liste.

Infolgedessen werden inzwischen manche Ausstellungsprojekte ohne Namen bestimmter Künstler und Kuratoren eingereicht. Und wenn eine Schau steht, können Besucher, die etwa an blau-gelben Farbkombinationen, Darstellungen von Akten oder eines Skeletts Anstoß nehmen, weil diese ihrer Meinung nach auf falsche Gedanken bringen, durch Denunziationen erreichen, dass die inkriminierten Werke entfernt werden. Dazu kommen Razzien: Im März fanden im ganzen Land Durchsuchungen und Verhöre von Aktionskünstlern statt, und im April nahmen Geheimdienstler aus dem Archiv des Moskauer Garage-Museums mehrere Kisten mit. Es heißt, sie suchen belastendes Material gegen den emigrierten Medienmanager und Pussy-Riot-Mitbegründer Pjotr Wersilow, der behauptet hat, er kämpfe aufseiten der Ukraine, woraufhin er in Russland in Absentia zu acht Jahren Lagerhaft verurteilt wurde. Das Ziel der Maßnahmen ist aber nicht zuletzt, die Kreativen einzuschüchtern.

Putins Pressesprecher Dmitri Peskow hat erklärt, die derzeitige Kriegssituation mache eine gewisse Form von Zensur notwendig, wenngleich die russische Verfassung Zensur verbietet. Seit dem Sommer 2022 ist das russische Kulturministerium verpflichtet, in den ihm unterstellten Museen Ausstellungen zu verhindern, die der von Putin abgesegneten Strategie der nationalen Sicherheit widersprechen. Das entsprechende Dokument, das die Moskauer Kunsthistorikerin Xenia Korobejnikowa auf ihrem Telegram-Kanal „Ku-ku“ veröffentlicht hat, verlangt eher nebulös den Schutz traditioneller moralischer Werte und Geschichtsnarrative – gemeint sind ein autoritäres Staatsverständnis, patriarchale Familienstrukturen mit einer klaren Absage an sexuelle Minderheiten sowie die Loyalität der Völker Russlands zu der vom Kreml deklarierten Siegesmission im Zweiten Weltkrieg und jetzt in der Ukraine.

Die jüngere Generation ist verängstigt und desorientiert

Dazu passt, dass der nationale Kunsttempel, die Moskauer Tretjakow-Galerie, unter der Leitung von Jelena Pronitschewa, der Tochter eines Geheimdienstgenerals, derzeit Gemälde und Skulpturen sowjetischer Künstler von tapferen sowjetrussischen Kindern im Zweiten Weltkrieg zeigt und daneben neue Werke des lebenden chinesischen Klassikers Han Yuchen, die glückliche Hirten und Mönche in Tibet im Monumentalstil des Sozialistischen Realismus verherrlichen.

Infolge der Emigration – nach der April-Razzia reiste zuletzt der Moskauer Aktionskünstler Anatoli Osmolowski nach Berlin aus – und der Repressionen – die Petersburger Künstlerin Sascha Skotschilenko, die im Supermarkt Preisschilder durch Nachrichten über russische Kriegsverbrechen in der Ukraine ausgetauscht hatte, wurde dafür zu sieben Jahren Strafkolonie verurteilt – fällt der jüngeren Generation die Orientierung schwer. Eine Ausnahme ist die dreißig Jahre alte Petersburgerin Eva Helki, die melancholisch-fotorealistische Stadtlandschaften, ramponierte Hinterhöfe und Hauseingänge, auf Holzplanken gemalt, in der Moskauer Galerie Triumph zeigte. Helki, die an der Petersburger Kunstakademie klassisch geschult wurde, präsentiert Erfahrungsräume ihres Heimatortes in der sakralen Umrissform von Kreuz oder Flügelaltar oder eingefasst durch Fensterrahmen.

Dazu stellt sie Objekte, die durch Gummihände in Ikonen der kriminellen Moral verwandelt werden, die Russland immer stärker prägt: Der von zwei Händen neu­tralisierte Bildschirm, Hände in einer Versuchsbox, Dürers betende Hände, die über einer Gasflamme schweben, vergegenwärtigen die drei Gebote der russischen Gefängniskultur: Glaube nicht, fürchte dich nicht, bitte um nichts! Finger, die aus einer Wand oder hinter einem Wandteppich hervorlugen, illustrieren das Gulag-Prinzip des In-Deckung-Bleibens. Der Titel der Schau „Vom Februar schluchzend“ verweist auf Boris Pasternaks Klagegedicht „Februar“ und gibt sich damit – der Februar ist eine Chiffre für den Beginn der Großinvasion in die Ukraine vor zwei Jahren – als Lamento der Künstlerin zu erkennen über den Krieg und über das, was mit ihrem Land geschieht.

Eines haben die Stars der russischen Avantgarde gemeinsam

Helki, die mit einem Finnen verheiratet ist, hat aber auch Gerichtsprozesse gegen Kriegsgegner zeichnerisch dokumentiert, etwa den gegen Skotschilenko, mit der sie befreundet war, sowie den gegen den Dichter und Dokumentarfilmer Wsewolod Koroljow, der nach Posts in den sozialen Netzwerken über die Kriegsgräuel in Butscha wegen „Fakes“ über die russischen Streitkräfte angeklagt wurde. Diese Prozesse seien ein Zirkus, der nicht der Wahrheitsfindung, sondern der demon­strativen Bestrafung diene, sagt Helki der F.A.Z. am Telefon. Die Zeugen der Anklage gegen Koroljow hätten wirre Aussagen gemacht, sich an die inkriminierten Posts nicht erinnern können, was der Staatsanwalt als irrelevant abtat. Den Richter habe diese Unprofessionalität wütend gemacht, bezeugt Helki. Was ihn aber nicht davon abhielt, den Dichter im März zu drei Jahren Straflager zu verurteilen.

Das etwa gleichaltrige Künstlerpaar Aleksandr Zaitcev und Tara Tarabtseva, das in einer Kammer des sowjetischen Firmengebäudes Mosenergostroj ausstellt, das wir freilich nur durch die Vermittlung einer Vertrauensperson besuchen dürfen, hat sich unterdessen weitgehend in die Imagination zurückgezogen. Das Duo, das auf Instagram ironisch Phantasieplüschwesen als Alter Ego postet, hat den fensterlosen Raum mit Zeichnungen von Rudeln schäfchenbeflaumter Hündchen behängt, die auf immer wieder andere Weise an polizeilichen Straßensperren vorbeitreiben. Die sich wie Wolkenformationen zusammenballenden Tierchen lassen an menschliche Emotionen und Träume denken, die durch Verbote auf Umwege geschickt werden. Auf einem anderen Stockwerk des Gebäudes hat eine Gruppe junger Konzeptkünstler eine Galerie eröffnet, der sie den Namen der früheren Bürozimmernummer K320 gaben, um dort enigmatische, durch persönliche Theorien poetisch aufgeladene Objekte zu zeigen – ein Stück Bauschaum, ein löchriges Handtuch, ein Blechschild, Trockenpflaumen – und möglichst auch Sammler dafür zu interessieren.

So verwundert es nicht, dass die eindrücklichsten Ausstellungen der Saison hermetische Solitäre zeigen wie den Moskauer Maler Wladimir Weisberg (1924 bis 1985), dessen meditativ-abstrakte, in unendlichen Weißtönen schimmernde Stillleben der Sechziger- bis Achtzigerjahre noch bis zum 30. Juni im Puschkin-Museum zu sehen sind. Die bewaffneten Bereitschaftspolizisten der Russländischen Garde, die sich zur Vernissage vor dem Museum postierten, standen im viel sagenden Kontrast zu dieser asketischen, von der strukturalen Linguistik inspirierten, aber auch von innerer Emigration zeugenden Malerei. Die Neue Tretjakow-Galerie zeigt unterdessen noch bis zum 14. Juli den Pionier der abstrakten Malerei der Tauwetterzeit der späten Fünfziger, Juri Slotnikow (1930 bis 2016), der mit rhythmisch über weißes Papier verteilten Kreisen, Linien und Farbfeldern die sinnlichen Impulse von Kunst auf den Betrachter vergegenwärtigte. Slotnikows Archivaufzeichnungen zeigen, wie er im Austausch mit Mathematikern, Neuropsychologen, Informatikern sein „Signalsystem“ entwickelte, das der Schau den Titel gab.

Die vielleicht wichtigste Schau aber, die das Jüdische Museum ausrichtet, beleuchtet unter dem Titel „Jüdische Avantgarde“ noch bis zum 9. Juni die jüdischen Wurzeln der russischen (und ukrainischen) Avantgardekunst. Mit rund hundert Werken aus staatlichen Museen und Privatsammlungen rekonstruiert sie die Aktivitäten der „Kultur-Liga“, die, 1918 in Kiew gegründet, zunächst in der Ukraine, bald aber auch in Russland, Belarus, Polen und Litauen jiddische Literatur und modernistische jüdische Kunst förderte, 1920 aber von den Bolschewiken vereinnahmt und 1924 ganz aufgelöst wurde. Den hier versammelten Stars der russischen Avantgarde – David Sterenberg mit seinen ikonisch reduzierten Stillleben, Alexander Tyschlers Strahlenmenschen, Josif Tschaikows konstruktivistische Arbeiterfiguren – ist eines gemeinsam: sie stammen alle aus der heutigen Ukraine.

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/moskauer-kunstszene-verbote-und-ukrainische-kunststars-19718618.html