Elton John's photograph assortment in London's Victoria and Albert Museum | EUROtoday

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Braucht jemand, der schon alles erreicht hat, noch Mut? Dem alle Türen offen stehen, der tun und lassen kann, was er will? Der über eine Armee von Helfern verfügt, die ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen? Braucht so jemand noch Mut, bevor er auf seine alten Tage Neuland betritt?

Selbstverständlich. Das Maß an Draufgängertum, das die Ausstellung „Fragile Beauty“ von Elton John erfordert, ist wahrscheinlich schwer zu überschätzen. Der Musiker zeigt im Londoner Victoria & Albert Museum nämlich nicht nur einen Teil seiner sagenhaften Privatsammlung von moderner Fotografie, sondern offenbart sich dabei gleich selbst. Eitelkeit und ein gewisser Hang zum Exhibitionismus werden ihm dabei geholfen haben. Doch in erster Linie dürfte es Mut gewesen sein, den zu sammeln – der langen Vorgeschichte nach zu schließen – Jahre gedauert hat.

Der Sammler hier einmal selbst als Objekt: David LaChapelles „Elton John: Egg On His Face“, New York, 1999
The collector himself as an object: David LaChapelle's “Elton John: Egg On His Face”, New York, 1999David LaChapelle

„Fragile Beauty“ (auf deutsch „Zerbrechliche Schönheit“) ist nämlich nicht seine erste Fotoausstellung. Die erste, die er mit seinem Mann David Furnish in London ausrichtete, war in jeder Hinsicht weniger riskant. Sie fand vor acht Jahren in der Tate Modern statt, war nur halb so groß und beschränkte sich auf den klassischen Teil seiner Sammlung. „Radical Eye“ zeigte Schwarz-Weiß-Bilder von modernistischen Meistern wie Man Ray, André Kertész und Edward Steichen. Im Nachhinein wirkt es, als ob Elton John damals noch auf Nummer sicher gehen und sich zunächst als ernst zu nehmender Sammler etablieren wollte.

Eine großartige Magnum-Fotografie: Bruce Davidsons „Black Americans“, New York, 1962
An awesome Magnum {photograph}: Bruce Davidson's “Black Americans”, New York, 1962Magnum Photos

Schon dieser erste, noch vorsichtige Schritt an die Öffentlichkeit war allerdings außergewöhnlich. Denn Elton John ist zwar nicht der einzige Superstar, der sein Geld in Kunst anlegt, aber einer der wenigen, der die Werke nicht wegschließt, sondern mit großem Aufwand zeigt.

Die Sammlung von Madonna etwa gilt als eine der größten, besten und wertvollsten. Sie reicht von Meistern des Mittelalters bis Picasso und Dalí. Ihre Affinität zu Frida Kahlo ist legendär. In New York war sie kurzzeitig mit Jean-Michel Basquiat liiert und mit Andy Warhol und Keith Haring befreundet. Doch darüber, welche Werke sie im Einzelnen besitzt, kann nur spekuliert werden.

Intimität im Badezimmer: Nan Goldins „Jimmy Paulette and Taboo! In the Bathroom“, 1991
Intimacy within the rest room: Nan Goldin's “Jimmy Paulette and Taboo! In the Bathroom”, 1991Nan Goldin/Gagosian

Wie bei anderen Sammlern aus der Unterhaltungsbranche – wie Jay Z und Beyoncé, George Lucas oder Oprah Winfrey – gewinnt die Öffentlichkeit höchstens ungewollt Einblicke, wenn sie sich von einem Werk trennen und es versteigern. Oder erst postum, wenn die gesamte Sammlung an ein Auktionshaus geht wie bei David Bowie. Oder wenn der Superstar so betrunken ist, dass er alle Diskretion fahren lässt: Mitten in einem zwei Tage langen Rausch ersteigerte etwa der Schauspieler Hugh Grant ein Andy-Warhol-Porträt von Elizabeth Taylor. Es war der Kauf seines Lebens, gestand er später, nachdem er es mit elf Millionen Pfund Gewinn wieder verkauft hatte.

Elton John aber hat mit „Fragile Beauty“ die Türen zu seiner gesamten Sammlung – und zu seinem Innersten – weit aufgestoßen. Das Risiko, das er damit eingeht, ist beträchtlich. Schließlich ist die Versuchung für Kritiker groß, die Ausstellung abzutun als Promi-Event, als wahllose Ansammlung von Trophäen eines steinreichen Superstars, der alles kaufen kann, was er will. So schreibt etwa die Kunstkritikerin der „Times“, die Ausstellung lasse sie kalt: „John und Furnish haben das Beste des Besten gekauft. Aber irgendwie singt es nicht als Ganzes.“ Auch der „Telegraph“ vergibt diesem „Koloss einer Ausstellung“ nur drei Sterne – es sei zu viel, zu schwer in den Griff zu kriegen, zu pornographisch. Der Einfachheit halber hätte man auch schreiben können: zu Elton John.

Cindy Shermans „Untitled Film Still #17“, 1978
Cindy Shermans „Untitled Film Still #17“, 1978Cindy Sherman/Hauser & Wirth Gallery

Es war im Jahr 1991, als seine Sammelleidenschaft begann. Nach mehr als einem Jahrzehnt auf Drogen war der Sänger wieder nüchtern; sein Mann sagt, dass er die eine Sucht damals durch eine neue ersetzt habe. Bisweilen erstand er pro Woche durchschnittlich fünf Fotografien. Heute umfasst seine Sammlung etwa 8000 Werke.

Mehr als 300 werden davon in London gezeigt, geordnet nach acht Themen. Mode ist ein einfacher, glamouröser Einstieg mit Werken von Richard Avedon und Herb Ritts. Schon im zweiten Abschnitt über Stars aber beginnen sich Abgründe aufzutun: Marylin Monroe hadert mit dem Ruhm, Chet Baker ist daran kaputtgegangen, Frank Sinatra umgibt sich mit Mafia-Typen. Im weiteren Verlauf wird die Homoerotik mit frivolen, expliziten Motiven von Robert Mapplethorpe und anderen zelebriert, bevor in bewegenden Bildern die Aids-Epidemie, Drogenkonsum und Tod dokumentiert werden.

Versteckt in seinem Instrument: Herman Leonards Sicht auf Chet Baker, New York City, 1956
Hidden in his instrument: Herman Leonard's view of Chet Baker, New York City, 1956Herman Leonard Photography, LLC

Es ist das Kapitel „Reportage“ für das allein sich der Besuch der Ausstellung schon lohnt. Elton John hat ein großartiges Fotoarchiv über die Geschichte der Nachkriegszeit angelegt. Es reicht von ikonischen Aufnahmen von John F. Kennedy und der Bürgerrechtsbewegung bis zum 11. September und dem Sturm aufs Kapitol. Man sieht Harvey Weinstein als gebrochenen Mann die Treppe zum Gericht hochkrabbeln und schreiende Ukra­inerinnen auf der Flucht.

Elton Johns Hang zum Exzess spiegelt sich im schieren Ausmaß der Ausstellung wider. Bei der Eröffnung gab er zu, dass selbst für ihn unmöglich sei, alles auf einmal aufzunehmen: „Ich werde wieder und wieder kommen müssen.“ Andere Kritiker wie der des „Independent“ mögen diesen Mangel an Vernunft und Mäßigung „wirr“ finden. Wagemutig ist er allemal.

Fragile Beauty: Photographs from the Sir Elton John and David Furnish Collection. V&A, London; bis 5. Januar 2025. Der Katalog kostet 40 Pfund.

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