TV evaluate Maischberger: More is much less | EUROtoday

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Der in den sozialen Medien entfesselte Darstellungsdrang schlägt sich in den politischen Redeshows ganz unterschiedlich nieder. Die lateinische Binse „non multa, sed multum“ kennt manche Übertragung ins Sprichwörtliche: weniger wäre mehr; lieber etwas ganz als vieles halb; nicht vielerlei leidenschaftslos, sondern etwas Bestimmtes verfolgen – ganz egal was – repetitiv und echauffierend. So wie Julian Reichelts Übertreibungs- und Zuspitzungskanal „Nius“ dies mit den Radwegen in Peru anstellt, über deren sinnwidrige Finanzierung mit deutschen Steuergeldern das Nius-Format sich rauf und runter empört. Reichelt griff damit eine entsprechende Kritik des Finanzministers auf, der neulich, wie es gleich hieß, nicht ohne nationalen Zungenschlag in etwa erklärt hatte, für die Radwege in Peru seien deutsche Steuergelder zu schade.

Die Sendung „Maischberger“ hat sich in kaum noch erträglicher Weise aufs multa verlegt, aufs Vielerlei. Das erschließt sich recht eigentlich im direkten Gegenüber von Nius. Maischberger ist Meisterin im Drauf- und Überladen, in der schrotflintenartigen Streuung von Gesichtspunkten. Nius dagegen steht für einen Weglassen-Journalismus, minimalistisch bei äußerster Kontextbegrenzung. Die Sendung steht für eine brachialen Isolierung von Gesichtspunkten, maximalistisch in der rhetorischen Ausbeute noch des kleinsten, stets laut aufgemachten Aufregers. Was Nius weiß und Maischberger nicht wahrhaben möchte: Erst im Absehen von Zusammenhängen, in der Vereinzelung und überproportionalen Gewichtung von Vorkommnissen gewinnt ein Thema die Kontur, um durchzuschlagen. Insofern bleibt Nius ganz bei sich, während Maischberger sich jedes Mal verliert.

In ihrer Agenda der Verlorenheit erschlug am Dienstagabend die Fülle der sprunghaft angerissenen Themen: das Sylt-Video und eine womöglich entlastende „Feierlaune“ (Maischberger); die E-Autos und ihre Infrastruktur, welche Deutschland entwicklungshilfegetrieben über seine Verhältnisse leben lässt; Tempo 30 sowie die Bahn und ihre Infrastruktur (Wissing im Studio); unsere Radwege in Peru; ein Ki-gesteuerter Lindner, dem wir zuschauen, wie er – sein Geld zusammenhaltend – gegen eine „Gratismentalität“ angeht und für ein gehobenes Investitionsklima in den alltäglichen Besorgungen das Wort redet: „Also wer keine zehn Euro für nen Döner übrig hat, soll halt nicht essen gehen. Wenn’s nach mir ginge, sollte ein Restaurantbesuch sowieso das Doppelte kosten. Dann bleibt mir auch das Gesindel vom Hals. Lernt eben kochen!“

Nach dem Krieg ist vor dem (nächsten) Krieg

KI, KI, hier spricht KI und zeigt, was mit dem Menschen geschieht, wenn er aus dem Video spricht. Sodann Scholz einerseits, Macron andererseits, und wie man sich beider Verhältnis zueinander vorzustellen hat. Pistorius, wie er für sein Ressort definitiv mehr Geld braucht. Und noch einmal gesondert Scholz: Lässt er oder lässt er sich nicht die nächste Kanzlerkandidatur nehmen?

Wissing ab, Gabriel hat Platz genommen, mit ihm „die großen Krisenherde dieser Welt“, wie Maischberger sagt, in welchen Gabriel als Kommentator zu Hause ist. Schließlich sein elegant eingefügtes Schuldbekenntnis, das den Weg zu weltpolitischen Betrachtungen recht eigentlich erst frei macht: „Ich hab zu denen gehört“, hebt der frühere Außenminister an (man sieht ihn realpolitisch bei Schröders Feierrunde sitzen), „zu denen, die Russland falsch eingeschätzt haben, und ich möchte das nicht ein zweites Mal tun, also einmal reicht.“ Anderenfalls werde man, Putin Appetit auf mehr machend, erleben, dass nach dem Krieg vor dem (nächsten) Krieg sei. In der Kachel tritt dann noch der Kiewer Bürgermeister Klitschko auf, der auch dafür hält, mit der Ukraine die europäische Sicherheitsarchitektur zu verteidigen.

Wie waren noch mal die Positionen der drei Maischberger-Kommentatoren zum Sylt-Video? Die gab es ja auch noch. Denen musste ja auch noch zugehört werden. Richtig, so war‘s: Susanne Gaschke (bitte die Proportionen wahren, Erregungen können sich abnutzen), Gregor Peter Schmitz (die Champagner-Nazis sind los), Tina Hassel (ein Exzess von Wohlstandsjugendlichen).

Der Ertrag von Sendungen dieses Typs: Man fühlt sich politisch gut aufgestellt, auch wenn man den Eindruck hat, nichts wirklich begriffen zu haben. Wenn bei Maischberger der Vorhang fällt, zerfließt augenblicklich die Erinnerung ans Besprochene. Bei Nius gibt es umgekehrt einen Prägnanzgewinn: Hier künden die bisweilen ins Groteske gesteigerten Video-Botschaften von einer Welt, in der nichts unklar bleibt.

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/tv-kritik-maischberger-mehr-ist-weniger-19751092.html