The Prague Spring Music Festival with Smetana and Saunders | EUROtoday

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Was für ein Fest! Aber sie ist ja auch wirklich eine Festoper, diese „Libuše“ Bedřich Smetanas, komponiert in den frühen 1870er-Jahren für die Einweihung des tschechischen Nationaltheaters und auf Eis gelegt, bis es 1881 tatsächlich so weit war. Nur wenige Monate später brannte der Bau nieder, wurde binnen zwei Jahren nochmals errichtet und dann, wiederum mit Smetanas Oper, neu in Betrieb gesetzt. Der längst ertaubte Komponist konnte sich an der doppelten Ehrung erfreuen – selbst zu hören vermochte er sein Stück nicht mehr.

Wir heute haben es besser. Wenn Jakub Hrůša die Tschechische Philharmonie durch die machtvollen Massive der Ouvertüre führt, dann immer wieder scharfkantige Klangprofile in blechgepanzert gleißende Überhelligkeiten führt, die nicht eitle Erwähltheitsgewissheit, sondern wache, aktive Tatbereitschaft signalisieren, wenn sich die gewaltigen Chöre hinzufügen – dann entsteht das Bild einer kämpferischen, immer in gespannter Wachsamkeit verharrenden Gemeinschaft: die der sich gerade erst formierenden tschechischen Nation, tief im ersten Jahrtausend; und die ihrer neuen nationalen Selbstfindung innerhalb des zerfallenden Habsburgerreiches, als deren musikalischer Sprecher sich der Komponist verstand.

Eine entscheidende Differenz

Doch erst die Erzählungen von menschlichem Schuldigwerden, Leid und Überwindung machen aus den Staatsaktionen lebendiges Theater. Kateřina Knĕžíkovás Titelheldin, Landesfürstin und Seherin, wird genau dort anrührend, wo sie ihre Herrschaftsprobleme nicht durch pure Machtausübung, sondern als liebende Frau aufzulösen versucht: ein Balanceakt, der der Sängerin auch einige flauere Passagen bescherte, doch für die finale Zukunftsvision schließlich eine hell aufstrahlende, eindringliche Steigerung in Reserve hielt. Dramatischer, direkt zugreifender Alžbĕta Poláčkovás Krasava – jene Frau, an deren erotischen Dominanzspielen die slawische Staatsgründung fast zu scheitern droht. Eher charaktervoll als im belcantistischen Sinne schön die männliche Sängerriege, voran der von Martin Bárta knarzig-ungebärdig verkörperte Egozentriker Chrudoš. Adam Plachetka als Přemysl, der von Libuše erwählte Stammvater der künftigen Nation, hob sich davon durch machtvoll satt strömende Stimmfülle ab.

Weil auch kleinere Rollen überzeugende Ausstrahlungskraft hatten, entstand insgesamt ein überwältigendes Panorama – in diesem Jahr fast ans Ende des Prager Musikfestes gestellt, das seit seiner Gründung 1946 engstens mit Smetana verbunden ist und alljährlich an dessen Todestag, dem 12. Mai, eröffnet wird. So war die Festlichkeit dieser Aufführung nicht zuletzt Ausdruck einer ungebrochen fortwirkenden Selbstvergewisserung, in der der „Prager Frühling“, seinerzeit auch Namensgeber der hoffnungs- und leidvoll durchgekämpften politischen Bewegung von 1968, gleichsam einmal mehr zu sich selbst kam.

Wenn man Libušes ergreifende Schlussansprache in Beziehung zu derjenigen von Wagners „Meistersingern“ setzt, deren Prager Premiere 1871 Smetana und sein Librettist Josef Wenzig intensiv zur Kenntnis genommen haben dürften, fällt nicht nur auf, dass es hier eine Frau ist, die ihr Volk zu beflügeln versteht, sondern vor allem, wie dabei gerade der äußerlich verbindende, nationalpatriotische Grundton eine entscheidende Differenz aufzeigt: Wo sich in Wagners Rede des Hans Sachs eine Art von missionarischem Überlegenheitsgestus ausbreitet, sieht die Fürstin auch zukünftige Verfinsterungen und Zerwürfnisse heraufziehen – eine harte und dennoch lichtvolle Vision ohne kulturimperialistische Nebentöne.

Anflüge verschmitzter Selbstironie

Zwei Tage später gab es dann noch einen Schlussmonolog ganz anderer Art zu hören – Rebecca Saunders’ Vertonung des letzten, mit der Gedankenstimme Molly Blooms sprechenden Kapitels aus dem „Ulysses“ von James Joyce. Es war, von Juliet Fraser eindringlich in einer herausgewürgten, zischend stammelnden und sich gleichsam selbst auflösenden Expressivität vorgetragen, zugleich ein realer Abschied, mit dem das Klangforum Wien nach drei Jahren Residenz beim „Offspring“, dem zeitgenössischen Teil des Musikfestes, den Staffelstab an das Frankfurter Ensemble Modern weitergab, das 2025 in gleicher Rolle zum achtzigsten Jahrgang des Festivals antreten wird. Noch einmal zeigten dabei die Wiener ihre Fähigkeit, aus scharf geprägten, intellektuell durchdrungenen Charakteren ein elektrisierendes Ganzes zu fügen; Enno Poppes federndes Dirigat verband explosive Spannung mit kristalliner Präzision.

Zugute kam das, neben weiteren Beiträgen Saunders’ mit ihren grotesken Pandämonien dumpf gärender Klanggründe und geradezu körperlicher Zerrissenheiten (die Komponistin war selbst anwesend und stand für Workshop und Diskussion zur Verfügung), auch den flimmernd oszillierenden Lichtwirbeln von Kaija Saariahos „Solar“-Komposition sowie Poppes eigenem, von schrillen Spannungen und Reibungen durchsetztem Stück „Speicher VI“. Dazwischen eingebettet erklangen fünf aphoristisch komprimierte Stücke tschechischer Komponisten der Achtziger- und Neunzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Die Resultate waren unterschiedlich interessant, doch Einfällen wie den bisweilen fast tänzerischen, von nervöser Urbanität durchzogenen „Generated answers“ Michal Indráks oder den raumöffnenden, über einem ruhigen Grundatem entfalteten Klangschleifen in Martin Klusáks „In D: Ozvĕny Bukové hory“ würde man gern wiederbegegnen; Matej Slobodas „60 noch kleinere Orchesterstückchen“ ließen gar, selten genug in heutigem Komponieren, Anflüge verschmitzter Selbstironie hören.

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/das-musikfest-prager-fruehling-mit-smetana-und-saunders-19759961.html