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Schon wenige Stunden nach einem Attentat, einem Anschlag oder einem Mord sind die Psychologen gefragt. Schwere Gewalttaten mit Schusswaffeneinsatz, mit Messern und möglicherweise mehreren Todesopfern hinterlassen tiefe seelische Wunden. Neben Opfern und Angehörigen müssen auch die am Einsatz beteiligten Polizisten psychologisch betreut werden. Dafür gibt es unterschiedliche Fachleute.

Nach der Messerattacke auf dem Mannheimer Marktplatz am Freitag zog das baden-württembergische Landeskriminalamt (LKA) in Stuttgart den Fall an sich. Zuständig für die psychologische Betreuung von Angehörigen und Opfern war damit automatisch der „Kriminal- und Einsatzpsychologische Dienst“ des LKA. Die Ermittlungsbeamten verteilen bei den Vernehmungen an die Angehörigen die Telefonnummern des Dienstes.

Das Informations- und Gesprächsbedürfnis von Angehörigen und Opfern nach einer derart traumatisierenden Erfahrung ist groß. „In Mannheim sind es nach dem Tod des Polizisten jetzt fünf Opfer. Die meisten befinden sich noch im Krankenhaus und müssen nachoperiert werden, deshalb haben sich bei uns bislang nur sehr viele Angehörige gemeldet“, sagt Claudia Geissler. Die Polizistin und Psychologin leitet den Stab im LKA.

Wo Verarbeitungsregeln im Kopf fehlen

Die Psychologen betreuen Opfer und Angehörige mehrere Wochen lang – bis geklärt ist, ob diese nach den schockierenden Erlebnissen allein in den Alltag zurückfinden oder ob sie sich bei einem niedergelassenen Traumatherapeuten vorstellen sollten. „Wir sprechen von nichtständigen Ereignissen, im Kopf fehlen für solche schweren Gewalterfahrungen ja die Verarbeitungsregeln“, sagt Geissler. Die meisten Klienten hätten nach einer solchen Gewalttat Angst vor allem, was nicht zu ihrem früheren Alltag gehöre. Typisch seien Schlafstörungen und Flashbacks ebenso wie bedrückende Träume. „Für viele ist die gesamte Welt durch ein solches Erlebnis plötzlich unsicher geworden.“

Der erste Schritt sei häufig der wichtigste, denn in einem ersten Gespräch würden Opfer und Angehörige über das Erlebte berichten und es gemeinsam mit den Polizeipsychologen rekonstruieren, so die Psychologin. Jedes Opfer erlebe solche Gewaltereignisse anders, deshalb sei es wichtig, sie gemeinsam mit den Mitarbeitern der Polizei zu rekonstruieren, die über den Ermittlungsstand und den tatsächlichen Tatablauf gut informiert seien.

Wie ein Mensch einen Messerangriff, eine Schlägerei oder einen Schusswechsel verarbeite, hänge von seinem Resilienzpotenzial ab. „Da spielt es eine Rolle, wie fest diese Menschen vor dem Vorfall im Leben standen, welche psychischen Probleme und auch Krankheiten sie haben. Allgemein haben wir in der Psychologie die Erfahrung gemacht, dass Frauen resilienter sind als Männer“, sagt Geissler. Für Fälle, die das LKA nicht übernimmt, sind regionale Kriseninterventionsteams zuständig.

Polizeigewerkschaft kritisiert politischen Umgang deutlich

Für die Beratung der durch den Einsatz traumatisierten Polizisten und Polizistinnen aus Mannheim sind psychosoziale Berater in den Polizeipräsidien zuständig. Das sind in der Regel Polizisten mit einer psychologischen Zusatzausbildung. In den 13 Polizeipräsiden in Baden-Württemberg gibt es insgesamt mehr als hundert geschulte Mitarbeiter, die sich um Polizisten kümmern, die unter psychischen Belastungen leiden.

Bis in die neunziger Jahre nahm man in der Polizei psychische Probleme kaum ernst. Nach dem Amoklauf von Winnenden im Jahr 2009 war man bemüht, die psychologische Betreuung von Polizisten zu verbessern und nahm auch posttraumatische Belastungsstörungen ernst. An der Polizeihochschule richtete die Landesregierung einen eigenen Fachbereich für „Psychosoziales Gesundheitsmanagement“ ein.

Aus Sicht der Polizeigewerkschaften ist die psychologische Betreuung von Polizisten immer noch verbesserungsfähig. Vor allem für junge Kollegen, die im so genannten Kriminaldauerdienst arbeiteten und ständig mit schweren Gewaltverbrechen und vielen tragischen Todesfällen konfrontiert seien, blieben die Belastungen sehr groß. Im Polizeipräsidium Mannheim sollen sich mehr als 20 Polizisten nach dem Einsatz am Freitag krank gemeldet haben.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft äußerte in ihrer Stellungnahme grundsätzliche Kritik am Umgang mit Gewalt gegen Polizisten in Deutschland. „Die Kampagnen gegen Hass und Hetze treffen oft nicht einmal im Ansatz die Probleme, die unsere Polizistinnen und Polizisten täglich erleben und leider ertragen müssen.“ Potentielle fanatische Täter würde man diesen Thesen nicht erreichen. Deutschland habe sich verändert, daran könnten weder „schöngerechnete“ Zahlen der Kriminalitätsstatistik noch politischen Reden etwas ändern.

https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/mannheimer-gewalttat-wenn-die-welt-ploetzlich-unsicher-erscheint-19762146.html