Bauer sucht Hof | EUROtoday

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Sonne lacht, Landwirt auch: Doch Johann Gerdes weiß ebenso von den Schattenseiten der Existenzgründung in der Landwirtschaft zu berichten.




Fast bis Mitternacht haben sie vorgestern gearbeitet, doch es hat sich gelohnt. Als der Regen am nächsten Tag dann heftig vom Himmel kam, struggle die Gerste schon gedroschen, die Körner im Trockenen. Der Rotklee sollte jetzt auch gemäht und die Samen sollten für den Verkauf vorbereitet werden, aber das muss warten, der Nässe wegen. Juli, Beginn der Erntezeit, das heißt für Johann Gerdes auch: entscheiden, reagieren, flexibel sein. Dass dies eines Tages sein Alltag sein würde, als Bauer mit eigenem Hof, hat er lange nicht geglaubt.

Johann Gerdes lenkt den silbernen Pick-up über den Weg zwischen seinen Feldern, rechts ziehen die stoppeligen Reste der Gerste vorbei, hyperlinks der hoch stehende Klee. An einem dicht bewachsenen Feld hält er und sticht mit der Schaufel probehalber eine der kniehohen Pflanzen aus. Neun große Kartoffeln sitzen in der Erde, Sorte Talent, mehligkochend. Gerdes sieht zufrieden aus. Alles deutet auf eine gutes Kartoffeljahr hin. Immerhin, so viel Positives gibt es gerade nicht zu berichten, wenn man ein Ökolandwirt mit intestine 700 Hektar Fläche und einer Mutterkuhherde ist.




Johann Gerdes mit einer Kuh aus seiner Fleischrinder-Herde.





Sieht schon intestine aus: Noch sind die Kartoffeln nicht ganz bereit für die Ernte, aber bald.





Johann Gerdes unterwegs auf seinen Äckern.












Seit 2020 führt Johann Gerdes den Beerfelder Hof, 60 Kilometer östlich von Berlin. Seit 2022, dem Jahr des russischen Angriffs auf die Ukraine und der steigenden Lebensmittelpreise, sind einige vermeintliche Gewissheiten ins Wanken geraten. Zum Beispiel die, dass mit der Übernahme des Hofs das Schwierigste überstanden struggle.

Dass Johann Gerdes einen Bauernhof bewirtschaftet, der vorher nicht in der Familie struggle, macht ihn zu einer Ausnahme. Das überrascht, vielen Landwirten fehlt ein Nachfolger. Zugleich gibt es nicht wenige junge Menschen, die ihre Ideen für eine zukunftsträchtige Landwirtschaft umsetzen wollen. Doch solche Existenzgründer kommen nur selten an einen eigenen, teuren Hof. Mit den verhinderten potentiellen Jungbauern geht auch eine Innovationsbereitschaft verloren, die die Landwirtschaft und der ländliche Raum dringend bräuchten.

Gerdes sagt, er hatte die Hoffnung eigentlich aufgegeben, als er in der Agrarökonomie-Vorlesung zu Beginn seines Studiums hörte, wie groß die Kapitalintensität der Landwirtschaft ist, additionally das Kapital – Trecker, Mähdrescher, Gebäude –, das professional Arbeitsplatz nötig ist, um zu produzieren. Er holt ein Papier mit einer Grafik darauf aus einer Schublade: 794.000 Euro im Jahr 2023. 2006, als er studierte, struggle es die Hälfte.

Gerdes, 41 Jahre alt, ist auf einem kleinen Bauernhof in Niedersachsen aufgewachsen. Er konnte ihn nicht übernehmen, sein Vater und dessen neue Lebensgefährtin hatten eigene Pläne für den Betrieb. In der Landwirtschaft arbeiten wollte er trotzdem und dabei möglichst selbständig sein. Am ehesten, dachte er, wäre das in Ostdeutschland möglich, wo bäuerliche Familientraditionen mit der Landreform weitgehend beendet wurden. Tatsächlich wurde er schließlich Betriebsleiter eines großen Guts in Brandenburg, das die Nachkommen der einst enteigneten Familie zurückgekauft hatten. Er lernte die Region kennen und die, die dort Landwirtschaft betrieben, und irgendwann fragte ihn ein älterer Landwirt, ob er sich vorstellen könnte, seinen Hof zu übernehmen. Konnte er, es struggle ja sein Traum gewesen. Er begann, nach Wegen zu suchen, ihn doch noch zu verwirklichen, ohne viel Eigenkapital. Es sollte über fünf Jahre dauern, bis es gelang.




Der Beerfelder Hof ist kein Bauernhof wie aus dem Bilderbuch, aber ein Ort, an dem nach höchsten ökologischen Standards produziert wird.




Johann Gerdes erzählt in seinem ­Büro, die eine Tür öffnet sich zu der großen Küche, in der er und seine Mitarbeiter jeden Morgen um 8 Uhr den Tag planen. Durch die andere Tür geht es zur Wohnung, in der er mit seiner Freundin lebt, früher der Speisesaal der Land­wirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, deren Gebäude dies einmal waren. Sie haben umgebaut. Die Fläche vor dem schmucklosen einstöckigen Gebäude ist holprig asphaltiert, daneben langgezogene fleckige Betonbauten: die früheren, zu Abstellflächen umfunktionierten Kuhställe. Aus dem Beerfelder Hof spricht noch die Zweckmäßigkeit der LPG Tierproduktion, die hier in den Fünfzigerjahren entstand und bis zum Ende der DDR betrieben wurde.

Es ist kein Ferien-auf-dem-Bauernhof-Idyll, aber ein Ort, an dem Lebensmittel so erzeugt werden, wie Menschen es sich wünschen, wenn sie gefragt werden. Keine chemisch-synthetischen Pestizide, kein Kunstdünger, keine Monokultur. Dafür vielfältige Fruchtfolgen und Brachflächen, damit sich der Boden regenerieren kann. Die Kälber der Fleischrinderherde dürfen bei ihren Müttern aufwachsen, die meiste Zeit auf der Weide, und die Mutterkühe alt werden. Geschlachtet wird in der Nähe, in Zukunft möchte Johann Gerdes den Tieren den Stress des Transports ganz ersparen und sie per Weideschuss töten lassen.

Finanziell lohnen wird sich diese aufwendigere Methode nicht. Es sei ihm eine „Herzensangelegenheit“, sagt Gerdes, der keine großen Worte um die hohen ökologischen und tierethischen Standards macht, die er hier umsetzt.




Johann Gerdes begrüßt Kuh Jenny, die Streicheleinheiten besonders schätzt.





Die früheren Schweineställe der LPG dienen jetzt als Lagerräume.





Tafel im Besprechungsraum. Hier planen Johann Gerdes und seine Mitarbeiter jeden Morgen den Tag.








Ein Biobetrieb ist der Beerfelder Hof seit den Neunzigerjahren, da hat Gerdes’ Vorgänger auf ökologische Landwirtschaft umgestellt. Es struggle die Zeit erster Agrarförderungen für eine solche Veränderung, nicht wenige Landwirte hofften, so der Doktrin des „Wachsens oder Weichens“ zu entkommen – der Notwendigkeit, größer zu werden und so die Produktionskosten zu senken.

Nur schwer in Gang kommt die finanzielle Unterstützung künftiger Bauern ohne eigenen Hof. Die Förderung der Junglandwirte im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) wurde ausgebaut, sie basiert auf der vorhandenen Fläche – genau die fehlt aber jungen Existenzgründern. Nach und nach führen einzelne Bundesländer zwar Niederlassungsprämien ein, die es aber nur unter bestimmten Voraussetzungen gibt. Ein einheitliches Prozedere für die emotional und finanziell ­herausfordernde außerfamiliäre Hofübernahme, bei der ein Lebenswerk weitergegeben wird, gibt es nicht.

Die Nachfolge konnte Gerdes am Ende nur antreten, weil es Initiativen gibt, die mit dem Geld privater Anleger eine nachhaltige, bäuerliche Landwirtschaft gezielt unterstützen. Eine gemeinsame Unternehmensgründung mit der ­gemeinwohlorientierten Aktiengesellschaft Regionalwert AG, die sich mit einer Einlage von 100.000 Euro beteiligte, ermöglichte den Kredit, er konnte dem Vorbesitzer Hofstelle, Maschinen und Tiere abkaufen. Für die Felder musste er viele Pachtverträge neu abschließen, die lassen sich nicht einfach übertragen. Die Flächen haben quick drei Dutzend unterschiedliche Eigentümer, Johann Gerdes musste jeden überzeugen, ihm den Acker zu geben.




Lust auf eine Spritztour? Johann Gerdes Kühe sind neugierig, einige noch etwas mehr.




Mehr Geld brächte den Eigentümern der Verkauf an kapitalkräftige Unternehmen, die mit Landwirtschaft ursprünglich nichts zu tun haben, sich aber im großen Stil dort einkaufen, vor allem in Ostdeutschland. In jüngster Zeit ist vor allem das Aufstellen von Photovoltaikanlagen finanziell attraktiv. Das „Landgrabbing“ durch Investoren ist eines der Hindernisse bei der Existenzgründung junger Landwirte. Initiativen wie die Regionalwert AG oder die Genossenschaft Bioboden kaufen Flächen und stellen sie ökologisch wirtschaftenden Landwirten zur Verfügung. Auch einige von Gerdes’ Äckern gehören Bioboden.

Vieles wäre einfacher gewesen, auch steuerlich vorteilhafter, hätte der Wechsel organisiert werden können wie eine klassische Hofübergabe von Vater zu Sohn. Die Möglichkeit einer Erwachsenenadoption stand lange im Raum, ­Johann Gerdes wäre bereit dazu gewesen, trotz gemischter Gefühle. Fragen tauchten auf, die mit dem Wunsch, Landwirt zu sein, so gar nichts zu tun hatten. Was, wenn der neue Stiefvater zum Pflegefall würde. Würde dies über das Altenteil – die traditionelle Regelung zur Altersvorsorge eines sich zur Ruhe setzenden Bauern – finanziert werden können?

Phillip Brändle macht wütend, dass sich junge Menschen, die Bauer werden wollen, mit solchen Dingen beschäftigen müssen. Brändle arbeitet bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, kurz AbL, einer Interessenvertretung kleiner und mittlerer Betriebe, die sich auch für die Interessen von Existenzgründern auf dem Land einsetzt. Sie fordert unter anderem eine zentrale Beratungsstelle, die Bevorzugung nachhaltig arbeitender Betriebe bei der Landvergabe, eine unkompliziertere Erteilung von Krediten und einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer.



„Du bist immer zu langsam. Leute mit Kapital im Hintergrund, die das als Anlage sehen, werden immer schneller sein.“

PHILLIP BRÄNDLE, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft



Auch Brändle hätte vor ein paar Jahren quick den Weg der Erwachsenenadoption gewählt, um einen Hof in Sachsen-Anhalt zu übernehmen. Doch dann fühlten sich alle Beteiligten nicht wohl mit dieser Option, erzählt er bei einem Treffen in Berlin. Das ganze Projekt zerschlug sich schließlich. Es struggle das zweite Mal, dass seine Lebensgefährtin und er viel Zeit, Kraft und Geld in den Kauf eines Bauernhofs investiert hatten, der dann nicht zustande kam.

Beim ersten Mal hatte Phillip Brändle seinen Job gekündigt, um sich ganz auf die Vorbereitung der Hofübernahme zu konzentrieren. Sie hatten sogar 100.000 Euro Eigenkapital, nicht genug, die Banken verlangten 20 bis 30 Prozent des Kaufpreises. Als nach mehr als einem Jahr die Unterlagen beisammen waren, der Businessplan geschrieben struggle und der Kredit doch noch stand, verkaufte der Landwirt an jemand anderen. 50 Höfe habe er in den vergangenen Jahren besichtigt, sagt Brändle. „Du bist immer zu langsam. Leute mit Kapital im Hintergrund, die das als Anlage sehen, werden immer schneller sein.“




Die Ernte hat begonnen: In einer Anlage werden Getreidekörner sortiert.





Johann Gerdes misst die Feuchtigkeit der geernteten Getreidekörner. Beim Weiterverkauf darf diese einen Grenzwert nicht übersteigen.





Die Öffnung des Silos, in dem Getreide aufbewahrt wird.








Brändles Eltern hatten mit Landwirtschaft nichts zu tun, er entdeckte bei einem Praktikum nach der Schulzeit, wie sehr ihm das Spaß macht: draußen arbeiten, mit dem Boden, den Tieren, der Natur. Er wird nun Landwirt im Nebenerwerb, mit einem Mobilstall für Hähnchen. Das Gefühl, gescheitert zu sein, bleibt. Besonders ärgert ihn, dass Politiker jungen Menschen signalisieren, sie würden gebraucht, aber die Weichen für die nötige Unterstützung nicht stellen. Das Höfesterben schreitet fort, eine Studie der DZ-Bank vom Januar sagt voraus, dass es im Jahr 2040 noch 100.000 landwirtschaftliche Betriebe geben wird, im Moment sind es intestine 250.000.

Die Studie prognostiziert auch, dass der Trend zu immer größeren Betrieben weitergeht. Bis 2040 soll sich die Durchschnittsgröße mehr als verdoppeln, von 65 auf 160 Hektar, die Effizienzsteigerung wird fortschreiten. Johann Gerdes besorgt diese Entwicklung. Am Ende, glaubt er, werde sie die Entfremdung zwischen Stadt und Land vertiefen; das Unverständnis der Käufer landwirtschaftlicher Produkte für die Umstände, unter denen diese entstehen, wird wachsen. Während die Landwirtschaft weiter industrialisiert und technisiert wird, die Felder größer, die Landschaften monotoner werden, hängen die Käufer einem Bild bäuerlichen Lebens nach, das mit der Realität immer weniger zu tun hat. Dazu trägt eine Politik bei, die Veränderungen zu mehr Naturschutz und Tierwohl nur zögerlich anstößt und sich von Protesten des Bauernverbands umgehend verunsichern lässt.

Digitalisierung und Automatisierung können die Arbeit deutlich erleichtern, auch im ökologischen Landbau. Solarbetriebene Roboter, die erst säen und dann rund um die keimende Pflanze Unkraut hacken, würde auch Gerdes gern einsetzen. Aber sie sind ihm zu teuer. Die Kapitalintensität, die ihn als Student so ernüchtert hat, wird weiter steigen, wenn solche Investitionen unvermeidbar werden. Was wiederum bedeutet, dass es die bäuerliche familiengeführte, von Neueinsteigern belebte Landwirtschaft noch schwerer hat.




Landmaschine wartet auf Einsatz: Juli und August sind die Monate der Ernte.




Johann Gerdes hat mit über 700 Hektar selbst einen überdurchschnittlich großen Betrieb. Aber er bewirtschaftet ihn nach den strengsten Richtlinien im Ökolandbau, denen des Anbauverbands Demeter. Immer öfter kommt es allerdings vor, dass seine Produkte zu Lebensmitteln verarbeitet werden, für die ein niedrigerer Standard genügt hätte, mit Siegeln, die in Supermärkten üblich sind und nicht in Bioläden. Es kommt auch vor, dass ihm die Abnehmer seiner Dinkel-, Roggen- oder Senfkörner sagen, dass sie diesmal keine Lieferung brauchen oder nur eine zum halben Preis.



„Wir haben geglaubt, dass wir auf eine Käuferschicht setzen, die erkannt hat, dass die Transformation der Landwirtschaft nur möglich ist, wenn Ökoprodukte gekauft werden.“

JOHANN GERDES, Landwirt



Die Inflation hat den jahrelangen Trend nach oben bei ökologisch erzeugten Lebensmitteln gebremst. Wenn Bioprodukte gekauft werden, dann eher in Discountern, wo sie günstiger sind. 2023 ist sogar die Zahl der Biobetriebe gesunken, nachdem es hier 30 Jahre lang nur aufwärtsgegangen struggle. „Wir haben geglaubt, dass wir auf eine Käuferschicht setzen, die erkannt hat, dass die Transformation der Landwirtschaft nur möglich ist, wenn Ökoprodukte gekauft werden“, sagt Gerdes. Nun müssen er und die anderen Biolandwirte feststellen, dass die vermeintlich prinzipientreuen Kunden in Zeiten der Krise andere Prioritäten entwickeln.

Ob dies existenzgefährdend werden könnte? Er weiß es nicht. Für den Moment hält er sich an die guten Nachrichten: Es hat endlich wieder viel geregnet in diesem Jahr. Die Ernte wird intestine. Als Nächstes sind die Kartoffeln dran.






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