Exhibition within the Louvre about fools | EUROtoday
„Figures du fou“ kann man übersetzen mit „Figuren des Verrückten“, will man die Alliteration klanglich behalten. Die neue Ausstellung des Louvre befasst sich mit Inkarnationen des Irren in der abendländischen Kunst zwischen Spätmittelalter und Romantik. Das Wort „fou“ deckt ein weites Feld ab, das im Deutschen Epitheta wie „töricht“, „tollkühn“, „hirnverbrannt“, „rasend“, „geistesgestört“ und „wahnsinnig“ abstecken. Wir wollen hier den Begriff „Narr“ verwenden, der „fou“ am nächsten kommt, wiewohl semantisch enger gefasst.
Im 14. und 15. Jahrhundert begann es in der Kunst von Narren zu wimmeln. Den Ursprung des Phänomens verortet die durch die Louvre-Konservatoren Élisabeth Antoine-König und Pierre-Yves Le Pogam kuratierte Schau an den Rändern – jenen der Gesellschaft, aber auch jenen von Stundenbüchern mit ihren „Marginalien“ genannten Miniaturmalereien hybrider Kreaturen mit komischem, bisweilen auch erotischem oder skatologischem Charakter. Von kostbaren Handschriften griffen diese über auf Kacheln und Fliesen, bemalte Wände und Decken, Kirchenfenster und Chorgestühl.
Der Narr mit dem sprichwörtlichen Käse in der Hand
In einem um 1386 entstandenen Psalter des Duc de Berry, einem illustren Bibliophilen, findet sich so die fast ganzseitige Abbildung eines Narren (lateinisch: „insipiens“), der Erkennungsmale aufweist wie weitgehende Nacktheit, eine Keule in der einen Hand, einen Käse in der anderen. Bezeichnenderweise bebildert diese Malerei den Psalm 52, dessen Anfangssatz lautet: „Der Tor spricht in seinem Herzen: ‚Es ist kein Gott‘“. Am Ausgang des zutiefst religiösen Mittelalters verkörperte der Narr zuvörderst den, der sich weigert, den Allmächtigen anzuerkennen. Neben den törichten Jungfrauen der Bibel, die aus Sorglosigkeit im Dunkel des Irrglaubens tappen, finden sich indes auch reale Erleuchtete, deren radikale Befolgung der biblischen Gebote ihnen den Ruf des „Gottesnarren“ einbrachte. Franz von Assisi war ihre idealtypische Inkarnation.
Doch auch auf die Liebesgöttin Venus beziehungsweise ihren Sohn Amor wirft der Narr einen schrägen Blick. Oft gesellt er sich als unerwünschter Dritter zum Ritter und seiner Dame, macht sich über deren hehren Minnebegriff lustig und reibt ihnen die deftig-irdischen, auch pekuniären Aspekte des Liebesgeschäfts unter die Nase. So wird der Narr zum Symbol von Wollust und Unzucht, taucht als vorwitziger Beobachter in Abbildungen finanziell potenter geiler Greise oder junger Bordellbesucher auf. Doppelbödige Liebesgarten-Szenen, in deren raffiniert-kodifizierte Atmosphäre die obszönen Gesten eines Spötters mit Narrenkappe hereinplatzen, stammen etwa von der Hand des als Meister E. S. bekannten Kupferstechers. Manchmal indes betragen sich Helden und Geistesgrößen selbst wie Irre, aus Liebestollheit oder Liebeskummer. So der Philosoph Aristoteles, der die schöne Phyllis – buchstäblich – auf sich herumreiten lässt. Oder die gespielt oder real übergeschnappten Epos-Ritter Lancelot, Tristan sowie Ariosts „rasender Roland“.
König Salomo (und seinem angedichteten Spaßmacher Markolf) nacheifernd, hielten sich viele Herrscher vom 14. Jahrhundert an Narren. Und zwar sowohl „natürliche“ (sprich geistig Behinderte) als auch „künstliche“. Manche Hofnarren erlangten europaweit Berühmtheit, etwa Will Sommers in England, Coquinet in Frankreich, Claus Narr von Ranstedt und Kunz von der Rosen in deutschen Landen. Die Schau zeigt mittels Porträts und Medaillen, zu welchen Ehren sie kamen. Trist ist dagegen die Umnachtung des Valois-Königs Charles VI. während der finstersten Jahrzehnte des Hundertjährigen Kriegs und der als „Johanna die Wahnsinnige“ in die Geschichte eingegangenen Mutter von Karl V.
Zu Beginn der Renaissance häuft sich die Figur des Narren
Peu à peu war der Narr überall: als Schachfigur (der Läufer heißt auf Französisch „fou“) oder Tarotkarte, als Kerzenleuchter oder Brunnenausgießer, als Spieler des Dudelsacks, der als niedrig, ja viehisch galt – sogar als Inspirator des Moriskentanzes, bei dem der tollste Kapriolenschläger den Preis von der Hand der umschwänzelten Schönen erhielt. Dies namentlich dank Sebastian Brant und Erasmus, den Autoren der Bestseller „Das Narrenschiff“ beziehungsweise „Lob der Torheit“. Von diesen Moralsatiren zeigt die Schau nicht nur den jeweiligen Erstdruck, sondern auch eine kuriose „Mischfassung“, die die französische Übertragung von Erasmus’ Text mit – dem jungen Dürer zugeschriebenen – Illustrationen von Brants Narrengeschichte anreichert. Verrückt endlich der ikonographische Triumph des Irrsinns zur Renaissancezeit, von Bruegel dem Älteren bis zu Hieronymus Bosch, wo Narren von Bäumen plumpsen oder durch Riesenhennen ausgebrütet werden, wo man ihnen den „Narrenstein“ aus dem Schädel operiert, wo aber auch der Krieg (in der Gestalt der holländischen „Dulle Griet“, einem rabiaten Mannweib) oder die vermeintliche Häresie (verkörpert durch die von Thomas Murner attackierten Anhänger des „großen lutherischen Narren“) als Schwachsinnige karikiert werden.
In der Schwarzromantik kehren die Eulenspiegel auch als Künstler wieder
Im 17. und 18. Jahrhundert vertrieb die Vernunft den Narren aus der Bilderwelt. In Figuren wie Don Quijote und Pulcinella lebte etwas fort von seinem (Un-)Geist; Gemälde wie Tiepolos „Zahnzieher“, das Karneval und Kurpfuscherei verquickt, gemahnen an flämische Genreszenen mit närrischer Anmutung. Der Wiederentdeckung von Mittelalter und Renaissance vom späten 18. Jahrhundert an verdankt der Ausstellungsbesucher dann die erneute Begegnung mit alten Bekannten wie Johanna der Wahnsinnigen und Charles VI. (Letzterer namentlich in einer Skulptur von Barye). Füssli malte Shakespeares Lady Macbeth als eine im schwarzen Labyrinth der eigenen Seele herumirrende Umnachtete; Victor Hugo verlieh in seinem Drama „Le Roi s’amuse“ mit dem Antihelden Triboulet, der dem Spaßmacher von François I. nachempfunden ist (und Verdis Rigoletto inspirierte), der Figur des tragischen Narren Profil.
Mit Courbet schließt sich der Kreis: In „L’Homme fou de peur“ zeigte sich der Jüngling 1844 im historisierenden Streifenkostüm als von Selbstzweifeln schier in den Wahnsinn Getriebener: der Kunstverrückte als selbstquälerischer Narr, als toller Folterer seiner selbst, um Courbets Zeitgenossen Baudelaire zu zitieren. Dessen legendäre Muse Jeanne Duval endlich könnte eine der um 1855 vermutlich in der Pariser Anstalt La Salpêtrière porträtierten Internierten sein – skizziert von der Hand eines jungen Dilettanten namens Paul Gachet, dem späteren Seelenarzt des „Irren“ Van Gogh.
Figures du fou. Louvre, Paris; bis zum 3. Februar 2025. Der Katalog kostet 45 Euro.
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