Wie Donald Trump jede Niederlage für seinen Mythos nutzt | EUROtoday
In Donald Trumps Welt gibt es keine Niederlagen. Wenn es nach ihm geht, jedenfalls. Als der Republikaner im August vergangenen Jahres auf dem Rollfeld des Flughafens von Atlanta stand, hatte er im Gefängnis von Fulton County gerade seine Fingerabdrücke abgegeben und 200.000 Dollar Kaution bezahlt, um auf freiem Fuß zu bleiben. Wenige Tage vorher war er zum vierten Mal in fünf Monaten angeklagt worden. Wieder wegen versuchter Wahlbeeinflussung, diesmal im Bundesstaat Georgia. Es war der Höhepunkt einer Kette von Ereignissen, von denen jedes einzelne Trump ernsthaft hätte schaden können. Doch er nutzte sie als Gelegenheiten, den Mythos des Unbesiegbaren zu festigen.
Es sei ein „sehr trauriger Tag für Amerika“, sagte Trump in Atlanta und wiederholte den Vorwurf, er sei 2020 um den Wahlsieg betrogen worden. Was nun geschehe, sei Wahlbeeinflussung durch die Justiz mit Blick auf die kommende Präsidentenwahl. Er habe nichts falsch gemacht, und „alle“ wüssten das.
Vier Strafverfahren konnten ihm nicht schaden
Zu diesem Zeitpunkt war Trump nicht nur zweimal wegen versuchter Wahlbeeinflussung, sondern auch wegen des unsachgemäßen Umgangs mit Geheimdokumenten angeklagt. Ein Zivilgericht hatte ihn im Frühjahr außerdem der sexuellen Nötigung für schuldig befunden. Im Strafprozess um die Verschleierung von Schweigegeldzahlungen an eine Pornodarstellerin sollte er im folgenden Frühjahr verurteilt werden.
Doch nichts davon schadete Trump. Nichts davon hinderte ihn daran, wenige Monate nach dem Moment auf dem Rollfeld in den republikanischen Vorwahlen durchzumarschieren. Nichts davon hinderte ihn daran, ein drittes Mal Präsidentschaftskandidat der Republikaner zu werden. Trump, so scheint es, weiß jede Schmach in einen Triumph zu verwandeln.
Eine Drittel des Landes verehrt ihn als Helden und als Außenseiter, der sich dem System widersetzt und die Sprache der einfachen Leute spricht. Ein Drittel verachtet ihn als Spalter, lehnt ihn ab als verurteilten Straftäter und fürchtet ihn als Populisten. Das Drittel dazwischen will nichts mehr von alledem wissen. Die Amerikaner haben sich als Nation über Jahrzehnte entzweit. Trump hat das ausgenutzt, und er hat den Graben tiefer ausgehoben. Eine Verständigung der beiden Lager ist kaum noch möglich.
„Abstoßend, aber genial“
Trump selbst sagte einmal, er habe im Leben wohl viele Leute überrascht. Ein Weggefährte formulierte es weniger zurückhaltend: Trump sei manchmal abstoßend, aber auch ein Genie. Trump, heute 78, hat die Grenzen von Anstand und die Normen in der amerikanischen Politik und Gesellschaft verschoben.
Um zu verstehen, wie sehr, muss man zu seinen Anfängen zurückgehen. 1987 gab Trump – damals ein draufgängerischer, ehrgeiziger Immobilienunternehmer in Manhattan – ein Interview, in dem er den New Yorker Bürgermeister Ed Koch vor laufender Kamera einen „Idioten“ nannte. Seine Gesprächspartnerin antwortete entsetzt, so könne er doch nicht über den Bürgermeister von New York sprechen. Trump gab ungerührt zurück: Das sei nun mal seine aktuelle Gefühlslage. Heute äußert sich Trump im Wochentakt unflätig über seine politischen Gegner. „Idiot“ ist dabei noch eine harmlose Beleidigung.
Trumps Ehrgeiz und unbedingter Erfolgswille wurzeln in seiner Kindheit. Sein Vater Fred Trump, ein strenger Mann mit Schnauzbart und zurückgekämmtem Haar, warfare in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts als Immobilienunternehmer mit Mittelklasseapartmentblocks in Brooklyn und Queens reich geworden. Die Familie wohnte in einem Haus mit 23 Zimmern, und ein Chauffeur fuhr die Kinder jeden Tag in die Privatschule. Doch Fred Trump verlangte Disziplin. Seid Killer, seid Gewinner, soll er den Geschwistern immer wieder eingebläut haben. Sonntags zu arbeiten warfare für ihn selbstverständlich.
Auf die Militärschule ging er gern
Als Donald Trump als Jugendlicher auffällig wurde, sich häufig mit Mitschülern und Lehrern anlegte und heimlich Ausflüge auf den Broadway machte, schickten die Eltern ihn im Alter von 13 Jahren auf eine Militärschule, intestine hundert Kilometer von zu Hause entfernt. Was für manchen eine Strafe gewesen wäre, bereitete dem jungen Donald Trump offenbar wenig Schwierigkeiten. Er liebte die Wettbewerbe um das sauberste Zimmer und die glänzendsten Schuhe und sammelte weitere Auszeichnungen beim Fußball, Baseball und Wrestling. Über das Wochenende fuhr er zurück nach Queens, um seinem Vater bei der Arbeit zu helfen.
In einem Interview mit Anfang dreißig sagte Trump einmal, er hasse das Wort „ehrgeizig“, im Grunde sei alles ein Spiel. Kurz nach dem Ende seines Studiums in Wirtschaftswissenschaften an der renommierten Wharton School in Philadelphia ließ er keinen Zweifel daran, dass er im Gegensatz zu seinem Vater nicht nur Brooklyn und Queens, sondern Manhattan erobern wollte. Er werde die Skyline New Yorks verändern, sagte er zu Kommilitonen. Er habe die Arbeit seines Vaters auf einem „neuen Level“ weiterführen wollen, schrieb er mit 41 Jahren in seiner Autobiographie „Die Kunst des Erfolges“.
Selbst auf der Beerdigung seines Vaters 1999 soll Donald Trump seine eigenen Projekte und Erfolge in Manhattan hervorgehoben haben. Dabei hatte er da gerade ein Jahrzehnt der finanziellen Krisen und die Beinahepleiten seiner Kasinos hinter sich. Eine Phase, über die er später sagen würde, sie sei „brutal“ gewesen, doch er sei daraus „stärker als jemals zuvor“ hervorgegangen. Es sei Teil der Geschäftswelt, dass Dinge schiefgingen und man einen Weg finden müsse, sie wieder in Ordnung zu bringen. Trump, das Stehaufmännchen. Schon früher hatte er gesagt: „Ich gewinne alles, was ich mache.“
Trump hat seine ganze Karriere damit verbracht, die Marke Trump zu schaffen und zu schärfen. Was ihn bei Wählern vor acht Jahren schließlich beliebt machte, warfare die Eigenschaft, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Als Trump sich 2015 um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner bemühte, sagte deren früherer Bundesgeschäftsführer Haley Barbour, der New Yorker Unternehmer sei „die Manifestation der Wut der Menschen“. Die Leute sähen in ihm einen „gigantischen Mittelfinger“ in Richtung Washington. Im Weißen Haus saß damals Barack Obama, der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten, der das Land in einer der schwersten Wirtschaftskrisen der jüngeren Zeit übernommen hatte. Viele weiße Arbeiter, vor allem Männer, fühlten sich wirtschaftlich abgehängt und zurückgelassen.
Reich, erfolgreich – und Held der einfachen Leute
Dann kam Trump, der in seiner Bewerbungsrede als einen der ersten Sätze sagte: „Unser Land ist in ernsthaften Schwierigkeiten. Wir fahren keine Siege mehr ein.“ Er ließ sich über Migranten aus Mexiko aus und über Milliarden, die im Ausland ausgegeben würden, während die Amerikaner „nichts“ hätten. Behauptungen, die er heute beinahe wortgleich wiederholt. Zum Ende prägte er seinen Schlachtruf: „Make America Great Again.“ Für die „Vergessenen“ warfare das ein Lockruf. Seither gilt Trump vielen als Kämpfer für das „einfache“ Amerika abseits der Eliten in Washington.
Dabei ist der Millionärssohn selbst seit jeher davon besessen, sich als reichen und erfolgreichen Mann zu präsentieren. 1982 schaffte er es mit einem Vermögen von hundert Millionen Dollar auf die Forbes-Liste der vierhundert reichsten New Yorker. Zwei Jahre später rief ein vermeintlicher Mitarbeiter der Trump-Organisation bei einem zuständigen Forbes-Journalisten an und versuchte ihn davon zu überzeugen, Trump sei inzwischen Milliardär: Ihm gehöre quick das gesamte Immobilienvermögen seines Vaters. Der Journalist warfare skeptisch, Trump wurde mit 400 Millionen Dollar gelistet. Später stellte sich der Fake-Anrufer „John Barron“ als Trump selbst heraus. Sein tatsächliches Vermögen lag im Jahr 1982 offenbar bei rund fünf Millionen Dollar.
Hintergründe zur US-Wahl
Doch Trump kultivierte seine gute Beziehung zu den „einfachen Leuten“. Er sagte schon als Unternehmer in New York über sich, er könne besser mit den Arbeitern und Taxifahrern. Hart arbeitende Leute respektierten, dass er sein Unternehmen eigenhändig aufgebaut habe. Trump sprach von einem „kleinen Kredit“ von einer Million Dollar, den sein Vater ihm zum Start gegeben habe. In Wirklichkeit hatte er wohl ein sehr viel dickeres Polster vom Vater erhalten. Trumps erste Frau Ivana witzelte, Trump sei „der Milliardär des Volkes“. Auch sein Anwesen Mar-a-Lago in Florida, erzählte Trump einmal, habe er nur wegen eines Taxifahrers gekauft. Er habe ihn auf einer Fahrt in Palm Beach gefragt, welches Anwesen in der Gegend das prächtigste sei. Mit 39 Jahren erwarb er schließlich die 126-Zimmer-Villa mit Ballsaal für rund zehn Millionen Dollar.
Er schafft sich seine Regeln
Trump schafft sich seit jeher seine eigenen Regeln. Als junger Immobilienunternehmer ließ er entgegen seinem Versprechen an das Metropolitan Museum of Art die Jugendstil-Figuren an dem alten Kaufhaus zerstören, auf dessen Grundstück der Trump Tower entstehen sollte. Warum? Kosten des Abbaus und Nutzen rechneten sich nicht, ließ er über einen Sprecher ausrichten. Als Präsident äußerte er, er mache Dinge nicht auf „traditionelle Weise“, das funktioniere nicht.
So wurde Trump ein Politiker, der politische Gegner aufs Übelste beleidigt, der unliebsame Medien als Volksfeinde brandmarkt, der Untergangsängste schürt und jegliche Kritik als Verleumdung oder Angriff abtut. Spaltung als Machtinstrument, Dämonisierung als Erfolgsrezept.
Manchmal wird es selbst seinen Anhängern zu viel. Als die Gäste während Trumps Ankündigung der dritten Präsidentschaftskandidatur in Mar-a-Lago 2023 während der länglichen Ausführungen den Saal verließen, schlossen die Sicherheitskräfte irgendwann die Türen – angeblich aus Sicherheitsgründen.
Trump ist kein Typ, der Schwäche zeigt. Als im Juli auf ihn geschossen und sein Ohr getroffen wurde, zeigte sich sein Instinkt: Noch während ihn die Secret-Service-Agenten von der Bühne bringen wollten, ballte Trump die Faust und animierte die Menge zum Schlachtruf: Fight! Fight! Fight! Nur selten bröckelt die Fassade. Ein paar Tage nach dem Attentat warfare so ein Moment. Auf Videoaufnahmen warfare ein alter Mann zu sehen, etwas blasser als üblich, die blond gefärbten Haare gescheitelt, der ungewohnt versöhnliche Töne von sich gab. Die Amerikaner müssten zusammenrücken, die Spaltung überwunden werden, sagte Trump.
„Unbehelligt vom Raunen einer Seele“
Es magazine ein Augenblick des „actual act“ gewesen sein, von dem er selbst in einem Interview mit dem Watergate-Journalisten Bob Woodward 1989 sprach. Damals sagte Trump, viel interessanter als der angepasste Trump sei der „echte“. Den habe man jedoch noch nicht erwischt. Der amerikanische Journalist Mark Singer schrieb einmal über Trump, er sei „eine Existenz, unbehelligt vom Raunen einer Seele“. Die Mäßigung aus dem Sommer hielt denn auch nur wenige Tage. Erst am vorigen Sonntag sprach Trump vor Anhängern im Madison Square Garden – seine symbolische Heimkehr nach New York – und hielt eine Rede voller rassistischer und vulgärer Bemerkungen.
Trump gefällt es, unberechenbar zu sein. In einer Pressekonferenz als Präsident sagte er, das halte die Leute bei der Stange. Vor allem der Feind solle nie wissen, was man als Nächstes vorhabe. Dass er auch seine politischen Positionen im Leben mehrfach verändert hat, haben seine Anhänger heute vergessen. Ende der Neunzigerjahre noch plädierte Trump entschieden für das Recht auf Abtreibung und sprach sich für ein Verbot von „Angriffswaffen“ wie halbautomatischen Gewehren aus.
Heute ist er stolz darauf, die konservative Mehrheit am Obersten Gericht zementiert zu haben, die vor zwei Jahren das grundsätzliche Recht auf Abtreibungen abschaffte. Die Waffenlobby NRA unterstützt ihn als Präsidentschaftskandidaten. Als Fox News ihn 2015 angesichts der ersten Kandidatur nach diesem Sinneswandel fragte, gab Trump vage zurück, er habe sich in vielen Dingen über die Jahre weiterentwickelt. Er „hasse“ das Konzept des Schwangerschaftsabbruchs (das klingt inzwischen angesichts vieler wichtiger Wählerinnen wieder zurückhaltender). Und im Übrigen habe er in New York zu erkennen begonnen, wie falsch und schädlich die Ideen der Demokraten seien.
Abzugsbefehl per Twitter
Schon als Geschäftsmann warfare Trump jemand, der die Dinge anders machte. Nicht zu viele Meetings, lieber immer eine offene Tür, sagte er einmal. Er komme zur Arbeit und „schaue, was sich entwickelt“. Eine Einstellung, die Trump mit in die Politik brachte. Als Präsident fiel er durch seinen unkonventionellen Regierungsstil auf, machte Weltpolitik per Twitter, stieß Berater und den Kongress vor den Kopf und entschied im Alleingang ohne Verbündete.
So verkündete er per Tweet etwa überraschend den Abzug aller amerikanischen Soldaten aus Syrien, weil der „Islamische Staat“ besiegt sei. Er drohte den Verteidigungspartnern der NATO mehrfach mit dem Austritt aus dem Bündnis, verließ während seiner Präsidentschaft das Pariser Klimaabkommen und kündigte der Weltgesundheitsorganisation im ersten Jahr der Pandemie die Mitgliedschaft und finanzielle Unterstützung auf.
Trump vertraut nach eigener Aussage vor allem auf zwei Dinge: sein Bauchgefühl und seine Familie. Die zwei ältesten Söhne Donald Trump Junior und Eric machen dieser Tage Wahlkampf für ihren Vater; außerdem leiten sie die Trump-Organisation. Erics Ehefrau Lara platzierte Trump im Frühjahr in der Führung des Republican National Committee. Während seiner Präsidentschaft waren die Tochter Ivanka und deren Ehemann Jared Kushner als Berater ständig um Donald Trump herum. Doch noch konsequenter als Ehefrau Melania haben sie in den vergangenen Monaten die Bühnen des Wahlkampfes gemieden.
Trumps Selbstdarstellung als Familienmann kann das nichts anhaben. Trotz dreier Ehen, zweier Scheidungen und fünf Kindern von drei verschiedenen Frauen genießt er die breite Unterstützung streng konservativer, evangelikaler Amerikaner. Niemand sei perfekt, sagen sie, wenn es um die Frage geht, wie ihre Werte mit seinen zusammenpassen. Schließlich trete er ja für die klassische Familie ein, gegen den „Wokeismus“.
Für Trump ist der Trump-Kult seiner Anhänger die Vollendung eines Lebenswerks. Seit Beginn seiner Karriere wollte er seinen Namen in die Welt hinausschreien. Er ließ ihn groß auf seinen Hubschrauber schreiben, der über New York kreiste, auf seine Wolkenkratzer und Kasinos, und er gab ihn für Airlines, Wodka, Steaks und Wasserflaschen her, natürlich immer gegen Geld.
Als junger Unternehmer sagte er einmal, er liebe es, Dingen nachzujagen. Wenn er sie dann einmal habe, verliere er meistens das Interesse daran. Für die Präsidentschaft scheint das nicht zu gelten. Die „New York Times“-Journalistin Maggie Haberman, die mehrere Bücher über Trump geschrieben hat, fragte den Republikaner im Jahr 2022, ob er sich noch einmal um die Präsidentschaft bewerben würde, wohl wissend, was das bedeute. Trump antwortete damals, er glaube schon. Denn er habe „so viele reiche Freunde, und niemand weiß, wer sie sind“. Für Donald Trump ein Albtraum.
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