How Volker Wissing broke with the FDP | EUROtoday

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Für einen Mann der leisen Töne hat Volker Wissing am Mittwochabend erstaunlich laut auf die Pauke gehauen. Der Schall hallte allerdings erst am Donnerstagmorgen durch das noch immer tief irritierte politische Berlin: Gerade noch war man dabei, die Scherben des Koalitionsbruchs aufzusammeln und Kollateralschäden zu begutachten, da trat um 8.30 Uhr morgens ein sichtlich gelöster Bundesverkehrsminister vor die Kameras. Er verkündete seinen Verbleib in der Bundesregierung Scholz und seinen Austritt aus der FDP. Der Rest der Partei macht es gerade umgekehrt: raus aus der Koalition, eiserne Treue zur FDP.

Mit Bundesfinanzminister Christian Lindner nehmen am Donnerstag auch Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger und Bundesjustizminister Marco Buschmann ihre Entlassungsurkunde entgegen. Letzterer wird nun ausgerechnet durch den früheren Staatsanwalt und Richter Wissing ersetzt. Wissings Parlamentarische Staatssekretäre aus dem Verkehrsministerium gehen ebenfalls.

In der FDP löst Wissings Schritt Empörung, geradezu Verachtung aus. Zeigt er doch tiefe Risse in dem sorgfältig gepflegten Bild der Geschlossenheit. Nur wenige zollen ihm dafür Respekt, der große Rest wirft ihm Opportunismus vor. Wissing vergesse, wem er seinen Ministerposten zu verdanken habe, so heißt es in der Partei. Umgekehrt gehört es wohl zu den vielen Kuriositäten dieses Koalitionsbruchs, dass jetzt ein häufig angefeindeter FDP-Verkehrsminister zum neuen Helden der Grünen wird. Auch in der SPD macht sich Respekt breit: Bundeskanzler Olaf Scholz habe ihn direkt nach dem Koalitionsausschuss am Mittwochabend in einem persönlichen Gespräch gefragt, ob er weitermachen wolle, so berichtet es Wissing. Nach einer kurzen Bedenkzeit habe er diese Frage bejaht. „Ich möchte mir selbst treu bleiben.“ Dem „Herrn Christian Lindner“ habe er am Donnerstagmorgen seinen Austritt aus der FDP mitgeteilt.

Wissing galt als Ampel-Versteher im Kabinett

Dass ausgerechnet der oft als „Parteisoldat“ wahrgenommene Wissing im Rumpfkabinett von Scholz bleibt, ist indes nicht überraschend. Es ist die konsequente Fortführung seiner Linie, die er in den vergangenen Wochen in dem stetig anschwellenden Koalitionsfrust weiterentwickelt hat, wohl weiterentwickeln musste. Wissing ist im Kabinett der Einzige, der über umfangreiche eigene Erfahrungen in einer Ampelkoalition verfügt. Fünf Jahre lang war er in Rheinland-Pfalz als Verkehrsminister unter der damaligen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) Teil einer geräuschlos agierenden Dreierkonstellation, die sogar Wahlen überstand und nun mitten in einer zweiten Auflage steckt.

Im Kabinett galt er deshalb als Ampel-Versteher, der viele Allianzen zu schmieden wusste, nicht zuletzt mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und dem Kanzler selbst. Mit seinem Vorschlag für ein 9-Euro-Ticket hat er in einer legendären Nachtsitzung kurz nach Beginn des Ukrainekrieges nicht nur einen festgefahrenen Koalitionsausschuss gerettet, sondern den Grundstein für das Deutschlandticket gelegt. Es gehört zu den wenigen Projekten, die in der Koalition uneingeschränkt als großer Erfolg gelten.

Lindner gehörte von Anfang an zu den Skeptikern, er geißelte die „Gratismentalität“ im öffentlichen Nahverkehr und haderte mit den Milliardenbelastungen für den Bundeshaushalt. Zur großen Belastung für das enge Verhältnis zwischen Lindner und seinem früheren Generalsekretär Wissing sind auch die vielen zusätzlichen Milliarden für die Deutsche Bahn geworden. Das Zugeständnis für Rekordinvestitionen von bis zu 40 Milliarden Euro in den kommenden drei Jahren hat der Verkehrsminister seinem Parteifreund in diskreten Verhandlungen aus dem Kreuz geleiert.

Doch spätestens nach dem verhängnisvollen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimafonds im vergangenen Jahr stutzte Lindner den Betrag auf 27 Milliarden Euro zusammen. Für Unmut sorgte im Bundesfinanzministerium auch Wissings Vorstoß für einen Infrastrukturfonds, mit dem er die langfristige Finanzierung für die Sanierung des deutschen Autobahn- und Schienennetzes sicherstellen wollte. Nach außen gab sich Lindner als Anhänger dieser Idee, intern kamen die Gespräche kaum voran.

Zeichen für den kompletten Bruch des Verkehrsministers und der FDP

Hinzu kamen die Absetzbewegungen innerhalb der FDP, in der der Wunsch nach einem Exit aus der ungeliebten Koalition immer größer wurde. In internen Sitzungen hat Wissing schon vor Wochen deutlich Position bezogen – und zwar für den Fortbestand der Koalition, die nicht für Parteiinteressen geopfert werden dürfe. Am vergangenen Freitag, als sich das jähe Ende der Koalition schon abzeichnete, machte er diese Position öffentlich: In einem Gastbeitrag für die F.A.Z., in dem er auch die eigene Partei mit harschen Worten ermahnte: „Ein Rückzug aus der Koalition wäre respektlos vor dem Souverän.“

Im Rückblick war dieser Gastbeitrag das klare Zeichen nicht nur für eine unterschiedliche Prioritätensetzung, sondern für den kompletten Bruch zwischen Wis­sing und seiner Partei. Zustimmung kam fast ausschließlich von den Grünen und der SPD, vor allem von Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Das Doppelangebot des Kanzlers an das abtrünnige FDP-Mitglied, sowohl Verkehrsminister zu bleiben als auch Justizminister zu werden, war da nur folgerichtig.

Dem gläubigen Christen Wissing dürfte der Bruch mit der eigenen Partei nach einer jahrzehntelangen Mitgliedschaft denkbar schwergefallen sein. Den Grundwerten der Partei fühle er sich immer noch verbunden, so versichert er es am Donnerstag. Der Entschluss, in der Koalition zu bleiben und stattdessen lieber die eigene Partei zu verlassen, rührt deshalb aus einer anderen, viel grundlegenderen Überzeugung: „Ich war mit vielen Dingen in der Koalition nicht einverstanden“, so berichtet es Wissing, „insbesondere nicht mit der Art und Weise, wie man kontroverse Positionen lange Zeit öffentlich ausgetragen hat.“

Damit dürfte er nicht nur seine eigene Partei gemeint haben, harsche öffentliche Kritik kam zuletzt von allen Beteiligten. Aber er meinte eben auch seine eigene Partei. Für ihn sei klar: „Es muss immer Kompromissbereitschaft geben.“ Die Erklärung unterschiedlicher Ansichten könne nur der Anfang sein, aber nie das Ergebnis.

Mit seinem früheren Parteifreund Lindner teilt er die gemeinsame Erinnerung an das legendäre Selfie aus den glücklicheren Anfangstagen der Ampelkoalition: Neben den damaligen Grünen-Chefs Habeck und Annalena Baerbock war auch Lindner darauf zu sehen. Es war Wissing, der auf den Auslöser drückte. Am Donnerstag wünschte Lindner dem Abtrünnigen „menschlich und persönlich alles Gute“.

https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wie-volker-wissing-mit-der-fdp-gebrochen-hat-110096479.html