His coronary heart breaks in two | EUROtoday
Ein Jüngling liebt ein Mädchen, / Die hat einen andern erwählt; / Der andre liebt eine andre“. . . Anton Tschechows erstes Reifedrama, „Die Möwe“, weitet das Schema von Heinrich Heines Lied von der unerwiderten Liebe auf nicht weniger als acht Figuren aus. Der Arzt Dorn und die verheiratete Gutsverwaltergattin Polina Andrejewna haben seit Jahren eine Beziehung, die jener aber nicht offizialisieren mag; für die Tochter der Ehebrecherin, Mascha, schwärmt seinerseits der Lehrer Medwedenko, doch hat diese nur Augen für Treplew, den Neffen des Gutsbesitzers, derweil Treplew die Nachbarstochter Nina vergöttert, die sich im dritten Akt dem Erfolgsautor Trigorin an den Hals wirft, dem Lebensgefährten von Treplewa Mutter – welche ihrerseits unter dem Künstlernamen Arkadina universelle Verehrung einfordert, als Tribut an ihr russlandweit gefeiertes Schauspieltalent.
Liebeshungriges Herz
„Es ist eine alte Geschichte, / Doch bleibt sie immer neu; / Und wem sie just passieret, / Dem bricht das Herz entzwei.“ Am Ende des vierten Akts reißt die Unglückskette an ihrem schwächsten, weil am wenigsten gegen die Härten des irdischen Daseins gewappneten Glied: Treplew jagt sich eine Kugel in den lebenskranken Kopf – oder in das liebeshungrige Herz, Tschechow lässt das, wie vieles, offen. Das Bühnenbild, das Stéphane Braunschweig für seine Abschiedsinszenierung nach acht Jahren als Intendant des Pariser Odéon-Théâtre de l’Europe entwirft, zeigt das genaue Gegenteil der wiederholt im Text belobten Landidylle: einen toten See mit mumifizierter Barke und spärlich verstreuten Steinbrocken. Diese gleichsam postapokalyptische Salzwüste verweist laut Absichtserklärung des Regisseurs auf das Theaterstück im Theaterstück, das Treplew am Anfang seine Noch-Geliebte Nina vor versammelter verständnisloser Gesellschaft spielen lässt. Dieses, Arkadina würde sagen: dekadente Dramolett beschreibt in der Tat einen Heimatplaneten, der nach dem Tod aller Lebewesen nur noch Kälte, Leere und Angst ist.
Doch die Fährte von der ökologischen Katastrophe, die Braunschweig laut eigener Aussage eine Erkundung wert scheint, wird nicht weiter verfolgt – obwohl das Stück dafür Stoff hergäbe: Die Sommerfrischler sind an besagtem See stets auffällig nervös; den Gutsbesitzer Sorin befallen, fern von der Stadtluft, lebensbedrohende Gesundheitsattacken; dem Verwalter sterben die Kühe und Bienen weg. Aber Braunschweig inszeniert wohltuend dicht am Text, zugleich aber wie befangen von der Furcht, Metaphern auf eigene Faust weiterzuspinnen oder gar eine übergeordnete Vision vorzustellen.
Mangel an Schwung und Biss
Im besten Fall entspringt dieser behutsamen, ja schier philologischen Herangehensweise ein Charakterporträt wie jenes von Nina. In Ève Pereurs Verkörperung erscheint diese keineswegs von Anfang an als das liebreizend-verführerische junge Ding, als das die Sommerfrischler sie, halb tot vor Hitze und Langeweile, halluzinieren – sondern als eine tumbe Landpomeranze. Erst allmählich schält sich aus diesem halben Klumpen ein ganzes Wesen voller Sensibilität und Subtilität heraus. Der Vergleich zwischen ihrer ersten und ihrer letzten Rezitation des Dramoletts spricht Bände: Was blöde blökend dahinholperte, fließt nunmehr sanft und eindringlich – aus dem Kiesel ist ein Diamant geworden. Doch hat sich Nina ihre Emanzipation teuer erkauft: um den Preis ihrer Gesundheit.
Leider sind nicht alle schauspielerischen Leistungen auf demselben Niveau. Wie auch eine gewisse Atonie im Rhythmischen, ein Mangel an Schwung und Biss festzustellen ist. So gleicht diese „Möwe“ dem Vogel, der im zweiten Akt als Jagdbeute und im vierten ausgestopft auf die Bühne gebracht wird: traurig anzusehen, aber letztlich leblos.
With the now sixty-year-old Braunschweig, the most Germanophile figure in the French theater scene is leaving. Since his beginnings over three decades ago, the much sought-after opera director has staged dramas by Brecht, Büchner, Horváth, Kleist and Wedekind – and praised these texts for “opening themselves wide up to the world and creating space for those who cannot express themselves well assets”. The Frenchman praised the German city theater system as a “huge producer of disorder”. While one wish to name his personal directing model gentle, traditional, even Cartesian, he’s clearly drawn to the darkish, baroque and irrational. Sometimes he failed on this space – (un)spectacularly with Shakespeare’s “Macbeth” – and sometimes he succeeded brilliantly against the grain, such as with Tennessee Williams’ “Suddenly Last Summer”.
Six-figure lack of earnings
As the successor to the Swiss Luc Bondy, who died at the end of 2015, Braunschweig was initially met with hostility because, as director of the European Theater, co-founded by the Italian Giorgio Strehler, he was not a foreigner (among the best-placed candidates at the time were the German Thomas Ostermeier, the Belgian Ivo Van Hove and the Pole Krzysztof Warlikowski). Such a debate can (or could) only break out in France; Braunschweig rightly pointed out that it is not the passport that matters, but rather the European orientation of the program. This was at least as strong under his aegis as under his predecessor Bondy or, two decades before him, the Spaniard Lluís Pasqual.
Since he took office, Braunschweig has increased the proportion of viewers under 28 to almost a third. Today, the same number of female directors are on the State Theater’s program as their male professional colleagues. And Braunschweig often uses non-white actors in his productions – not to make a statement, but because he is primarily interested in acting talent.
On the debit facet, the director needed to endure repeated strikes and theater occupations that weren’t directed towards him, however towards the state. The ensuing six-figure lack of earnings was exacerbated by the structural lack of actual productive energy. At the tip of 2023, the inventive margin reached zero. Braunschweig drew the conclusion from this and renounced the third and remaining time period of workplace that will in all probability have been granted to him. How his successor, 37-year-old Julien Gosselin, who was appointed in June, will finance his formidable plans continues to be up within the air in Paris.
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