Fragile hope for an finish to the Lebanon conflict | EUROtoday
Am Dienstagabend richteten sich die Blicke der Krisendiplomatie im Nahen Osten gebannt nach Tel Aviv. Dort wollte das israelische Sicherheitskabinett darüber entscheiden, ob es einem Waffenstillstand mit der libanesischen Hizbullah zustimmt. Die Skepsis war bis zum Ende ein ständiger Begleiter der indirekten Verhandlungen gewesen.
Diplomaten sprachen von großem Druck der Vereinigten Staaten auf Ministerpräsident Netanjahu, einen Deal nicht noch auf den letzten Metern platzen zu lassen. Von libanesischer Seite sei schon zugestimmt worden, hieß es in Beirut. Der libanesische Außenminister Abdallah Bou Habib sagte der Nachrichtenagentur Reuters, er hoffe auf einen Waffenstillstand am Dienstag.
Am Abend warb Netanjahu in einer Fernsehansprache für das Abkommen. Israel habe die Hizbullah durch seine militärische Stärke „um Jahrzehnte zurückgeworfen“, sagte er. Eine Waffenruhe zum jetzigen Zeitpunkt gebe Israel die Gelegenheit, sich auf die Bedrohung durch Iran zu konzentrieren, sie ermögliche der Armee eine Ruhepause und sie isoliere die Hamas im Gazastreifen.
Zugleich drohte Netanjahu: „Die Länge der Waffenruhe hängt davon ab, was in Libanon passiert.“ Israel werde dort künftig „völlige militärische Handlungsfreiheit“ genießen, hob er hervor – darüber herrsche Einvernehmen mit den USA. Wenig später berichteten israelische Medien übereinstimmend, dass das Sicherheitskabinett die Waffenruhe gebilligt habe. Eine offizielle Bestätigung gab es zunächst nicht.
Nach allem, was über den Entwurf bekannt ist, der Netanjahu und seiner Mannschaft vorlag, sollen die israelischen Streitkräfte innerhalb von 60 Tagen von libanesischem Territorium abziehen. Zugleich soll die libanesische Armee entlang der Grenze Stellung beziehen, während sich die Hizbullah aus dem Grenzgebiet zurückzieht. Im Kern stützt sich die unter der Regie des amerikanischen Sonderbeauftragten Amos Hochstein ausgearbeitete Waffenstillstandsvereinbarung auf die UN-Resolution 1701.
Die Hizbullah soll sich etwa 30 Kilometer von der „Blauen Linie“, der Demarkationslinie zwischen Libanon und Israel, die sich seit 1948 im Kriegszustand befinden, zurückziehen. Die Region bis etwa zum Litani-Fluss, und laut Berichten aus der libanesischen Regierung etwas darüber hinaus, soll eine demilitarisierte Zone sein.
Drohungen des israelischen Verteidigungsministers
In der Vergangenheit war es der libanesischen Armee und der UN-Truppe UNIFIL allerdings nicht gelungen, die von Iran gelenkte Hizbullah daran zu hindern, in der Grenzregion massive militärische Infrastruktur einzurichten. Daher soll laut Angaben von Diplomaten ein amerikanisch geführtes Komitee über die Implementierung und Einhaltung der Waffenstillstandsvereinbarung wachen. Barak Ravid, ein sowohl in der israelischen als auch der amerikanischen Regierung gut vernetzter Journalist, berichtete im Nachrichtenportal Axios, Washington habe sich bereit erklärt, in Israel in einem gesonderten Dokument Unterstützung für israelische Militäraktionen gegen unmittelbare Bedrohungen vom libanesischen Territorium zuzusichern. Außerdem für ein Eingreifen, sollte die Hizbullah wieder militärische Präsenz an der Grenze zeigen, oder schwere Waffen dorthin schmuggeln. Demnach würde Israel erst nach Konsultationen mit den Vereinigten Staaten aktiv werden und wenn das libanesische Militär die Bedrohung nicht beseitigen sollte.
Der israelische Verteidigungsminister Israel Katz drohte am Dienstag, sein Land werde „null Toleranz“ gegenüber Verstößen an den Tag legen. „Jedes Haus in Südlibanon, das wieder aufgebaut wird und in dem sich eine terroristische Basis befindet, wird abgerissen. Jede versuchte Wiederaufrüstung und Neugruppierung von Terroristen wird angegriffen, jeder Versuch, Waffen zu schmuggeln, wird vereitelt, und jede Bedrohung für unsere Streitkräfte oder israelische Bürger wird sofort zerstört“, sagte er.
Die Frage nach der militärischen Handlungsfreiheit Israels war ein zentraler Streitpunkt in den Verhandlungen über den jüngsten Waffenstillstandsentwurf gewesen. Israel würde die Einhegung der Hizbullah indes lieber selbst in die Hand nehmen. In Libanon hatte Sorge geherrscht, der südliche Nachbar könne fortan willkürlich und regelmäßig Luftangriffe führen, wie es etwa in Syrien der Fall ist. Dem Eindämmen der Schiitenorganisation dienen laut Medienberichten auch Bestimmungen, welche die Aufsicht der libanesischen Regierung über Waffenproduktion und -handel in Libanon stärken. Die zweite Stufe des Abkommens sieht vor, dass Israel und Libanon in Verhandlungen über den Grenzverlauf eintreten. Die „Blaue Linie“ ist an mehreren Punkten umstritten.
Bedenken von israelischer Seite
Hochstein hatte laut Medienberichten schon vor der Sitzung des Sicherheitskabinetts am Dienstag die grundsätzliche Zustimmung Israels erhalten. Er soll laut Angaben von Diplomaten damit gedroht haben, seine Vermittlungsaktivitäten einzustellen, sollten dieses Mal schnelle Fortschritte ausbleiben. Auf israelischer Seite gab es lange Zeit einige Bedenken, was die Vereinbarung angeht. Dabei ging es nicht nur um Handlungsfreiheit des Militärs im Falle von Verstößen. Die Bestimmungen hinsichtlich der vorgesehenen Verhandlungen über die Grenzstreitigkeiten sollten nach israelischem Willen stärker die Interessen Tel Avivs widerspiegeln.
Zuletzt war die Forderung von israelischer Seite aufgekommen, dass Frankreich keine Rolle bei der Überwachung der Vereinbarung spielen solle. Darin spiegelt sich Verärgerung über die französische Haltung wider, die von Israel als einseitig und sogar feindselig wahrgenommen wird. Als Beispiel wird der Ausschluss israelischer Firmen von Rüstungsmessen in Frankreich genannt. Selbst, dass die jüngste Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs, Haftbefehle gegen Netanjahu und den früheren Verteidigungsminister Yoav Gallant zu erlassen, von einer Kammer unter Leitung eines französischen Richters getroffen wurde, wird als Beleg einer angeblichen antiisraelischen Haltung der Regierung in Paris genannt. Der israelische Kanal 12 berichtete am Montagabend, Hochstein habe auch in dieser Frage erfolgreich Druck auf die israelische Seite ausgeübt. In anderen Medienberichten war auch von einem Deal die Rede: Washington habe zugesichert, bislang zurückgehaltene Waffenlieferungen freizugeben, wenn Israel die Vereinbarung akzeptiere.
Vor allem die Militärführung hat dafür geworben, einem Waffenstillstand zuzustimmen. Man habe in Libanon im Grunde erreicht, was man erreichen wollte: Das Raketenarsenal der Hizbullah zu dezimieren und vor allem im Grenzgebiet ihre Infrastruktur zu zerstören. Zudem ist die israelische Armee nach mehr als 13 Monaten Krieg an mehreren Fronten stark beansprucht. Aber es gibt auch viel Widerspruch. Mehrere Bürgermeister und Vertreter der Gemeinden im Norden Israels äußerten sich kritisch. So nannte Michael Kabesa, der Bürgermeister von Hatzor Haglilit, das Abkommen am Dienstagmorgen im Radiosender Kan eine „Kapitulationsvereinbarung“ und eine „historische Schande“. Israel bremse auf halbem Weg und verpasse die Chance, die Verhältnisse auf beiden Seien der Grenze auf Jahrzehnte zu verändern. „Die Rechnung werden unsere Kinder und Enkel bezahlen müssen.“ Die Äußerungen entsprachen inhaltlich dem, was auch ultrarechte Kabinettsmitglieder wie Itamar Ben-Gvir sagten, der von einem „historischen Fehler“ sprach und „Erläuterungen“ von Netanjahu verlangte.
Die Hizbullah steht unter enormem Druck
Aber auch Kabinettsmitglieder, die anders als Ben-Gvir als in militärischen Dingen erfahren und besonnen gelten, haben Zweifel angemeldet. So sagte Landwirtschaftsminister Avi Dichter am Montagabend, es dürfe keine Vereinbarung geben, die letztlich nur eine Kopie der Resolution 1701 sei. Dichter, ein ehemaliger Leiter des israelischen Inlandsgeheimdienstes und früherer Sicherheitsminister, verlangte in einer Presserunde unter anderem, die Hizbullah müsse konsequent vom Waffennachschub abgeschnitten werden.
Aus einer Quelle in der libanesischen Regierung hieß es dazu, auch die libanesisch-syrische Grenze solle künftig stärker überwacht werden, um den Waffenschmuggel an die Hizbullah zu verhindern. In Beirut herrscht indes Skepsis, ob ein Waffenstillstandsabkommen tatsächlich länger halten kann. Aus der Hizbullah und ihrem Umfeld hieß es in den vergangenen Wochen, Israel habe kein ernsthaftes Interesse an einer dauerhaften Lösung. Aber die Schiitenorganisation kann auch eine kürzere Kampfpause gut gebrauchen. Sie steht unter enormem Druck. Militärisch setzen ihr die andauernden israelischen Luftangriffe zu, zudem erleidet die Organisation im Grenzgebiet laut Angaben eines Kommandeurs heftige Verluste im Bodenkampf gegen die israelischen Streitkräfte.
Außerdem darf sie das Leid ihrer schiitischen Klientel nicht aus dem Blick verlieren, die zu Hunderttausenden durch den Krieg vertrieben worden ist. So haben Hizbullah-Vertreter und Apologeten die Anhängerschaft in den vergangenen Tagen schon auf einen Deal vorbereitet, indem sie versuchten, einen solchen als Sieg umzudeuten. „Wir haben die Wahl zwischen Krieg und Demütigung; die Demütigung liegt uns fern“, hatte der neue Hizbullah-Generalsekretär Naim Qassem in seiner jüngsten Ansprache gesagt. Hassan Fadlallah, einer der Parlamentsabgeordneten aus den Reihen der Schiitenorganisation erklärte, die Hizbullah sei im Angesicht der israelischen Kampfflugzeuge standhaft geblieben und könne einen „Sieg“ verkünden. Schon 2006 bestand er darin, den Krieg mit Israel überlebt zu haben.
Das Prestige hat indes schon gelitten. Lange hatte der im September durch einen israelischen Luftangriff getötete Hizbullah-Anführer Hassan Nasrallah Waffenstillstandsverhandlungen mit Israel an ein Ende des Krieges im Gazastreifen geknüpft. Die palästinensischen Waffenbrüder versuchten, den Schaden zu begrenzen: Hamas-Kader Osama Hamdan sagte dem Hizbullah-nahen Sender Al-Mayadeen: „Jede Ankündigung eines Waffenstillstands in Libanon wird gutgeheißen, da die Hizbullah unserem Volk beigestanden ist und große Opfer gebracht hat.“
https://www.faz.net/aktuell/politik/krieg-in-nahost/nahost-zerbrechliche-hoffnung-auf-ein-ende-des-libanon-krieges-110136273.html