Hubert Fichte and Peter Ladiges: A non secular relationship | EUROtoday

Get real time updates directly on you device, subscribe now.

Freue mich sehr, dass Du meine Bücher noch einmal gelesen hast und meinst, ich sei der Größte“, schreibt Hubert Fichte am 21. März 1971 an Peter Michel Ladiges und meint es ernst. Fichte hatte gerade seinen dritten Roman, „Detlevs Imitationen ‚Grünspan‘“, veröffentlicht, den die Kritik brutal und dumm, wie Fichte meinte, verrissen hatte. Er war von den Kritiken tief getroffen worden. Da war ihm ein langes, freundschaftliches Porträt, das Ladiges gerade in einer Zeitung veröffentlicht hatte, mehr als eine Aufbauhilfe. Fichte fühlte sich auch in der technischen Konzeption seines Romans verstanden, was ihm in diesem Fall viel mehr bedeutete als eine bloß inhaltliche Auseinandersetzung mit seinem Schreiben.

Fichte war auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen für psychische Zustände in der Literatur. Wobei es ihm eben nicht zur Hilfe kam, dass es sich in den sechziger und siebziger Jahren noch nicht herumgesprochen hatte, dass junge Menschen in ihrer Entwicklung eine Pubertät durchlaufen. Fichtes feine Selbstbeobachtung von vor- bis postpubertären Empfindungs- und Denkweisen trafen noch auf die betonierten Körper der Kriegsgeneration und waren den Kritikern ein Graus.

Das kaum Schreibbare hörbar machen

In Peter Michel Ladiges, der seit 1962 in der Abteilung Hörspiel beim Südwestfunk in Baden-Baden als Redakteur arbeitete, hatte Fichte aber schon früh nicht nur einen bemerkenswert feinen Leser gefunden, sondern auch einen Hörspielregisseur und Dramaturgen, der nicht bloß Fichtes Worte, sondern auch die Versuche, das kaum Schreibbare hörbar zu machen, technisch förderte, wo er nur konnte. So hatte Ladiges als Erster in Fichtes Hörstück „Djemma el Fna. Der Platz der Gehenkten“ Originaltöne von einem Marktplatz in Marrakesch eingebaut. Tragbare Aufnahmegeräte und handliche Mikrofone machten es Fichte möglich, den Sound des Marktplatzes einzufangen und mithilfe von Ladiges’ Toninszenierungskunst die Töne ins Radio zu bringen. Und in dieser auch medienhistorisch interessanten Situation setzt 1971 der Briefwechsel ein.

Fichte wie Ladiges befinden sich in biographischen Umbruchsituationen. Ladiges hatte seine feste Stelle beim Südwestfunk gekündigt und arbeitete als freier Autor und Regisseur. Fichte war Anfang 1971 zusammen mit seiner Lebenspartnerin, der Fotografin Leonore Mau, zu seinem ersten Forschungsjahr nach Salvador da Bahia in Brasilien aufgebrochen, um die Riten einer afrobrasilianischen Religion, des Candomble, zu studieren. „Ich sitze an ganz abwegigen Studien. Pflanzennamen und afrikanischen Beschwörungsformeln. Mathe“, schreibt Fichte in seinem ersten Brief ohne Datum an Ladiges aus Bahia. Womit drei Hinweise gegeben werden, die im Laufe dieses wirklich außergewöhnlichen Briefbandes offensichtlich werden.

Dokumente dauerhafter Freundlichkeit

Fichte hatte 1969 bei einem Hamburger Mathematiker ein Privatstudium begonnen, auch weil für ihn das Verhältnis von Mathematik, Logik und Sprache zu einem Lebensthema geworden war. Kaum in Brasilien angekommen, hatte er aber auch begonnen, Pflanzen zu sammeln, die in den afroamerikanischen Riten eingesetzt werden. Er legte ein entsprechendes Herbarium an. Auf den daraus entstandenen Fachartikel in der Zeitschrift „Ethnomedizin“ wird im Briefband mehrmals hingewiesen. Auch Fichtes eher soziologische als psychologische Interpretationen der Trancezustände in den Riten zum Beispiel des Candomble finden so ausführlich und exakt wie nötig Erwähnung im Buch.

Und damit ist man an dem Punkt angelangt, an dem man sich vor dem Herausgeber des Bandes, dem Literatur- und Medienwissenschaftler Peter Braun, nur verbeugen kann. Es gelingt Braun trotz des lückenhaften „Flaschenpostcharakters“ (Fichte) dieses Briefwechsels – es sind aus den Jahren 1971 bis 1985 nur fünfzig Briefe von Fichte und dreizehn von Ladiges erhalten –, eine Freundschaft in ihrer dauerhaften Freundlichkeit zu dokumentieren und in seine editorische Arbeit zu verlängern. Wird etwa der Schriftsteller Wolf Wondratschek, den Ladiges wie Fichte als Dichter und teilnehmenden Beobachter des Kiezes in St. Pauli kannten, in einem Brief etwas zu schlecht dargestellt, fügt Braun in den Anmerkungen eine Art Gegenrede hinzu. Es wird kurz auf Wondratscheks Gedicht „Danksagung an einen, der nicht mehr lebt“, das Hubert Fichte gewidmet ist, verwiesen. Wie es Braun überhaupt gelingt, durch die Anmerkungen, die jedem Brief beigefügt sind, sowie durch die Erörterungen der allgemeinen wie der speziellen Situation, in der die Briefeschreiber sich in der jeweiligen Zeitperiode befinden, die Lücken, die die fehlenden Briefe hinterlassen haben, gut zu füllen.

Frankreich, Kunst, Sprache und Ethnologie

So entsteht das Bild einer Freundschaft, deren Intensität man am besten mit dem in der aktuellen Ethnologie viel diskutierten Begriff der Affinität beschreibt. Affinität steht für Beziehungen, die nicht auf genetisch verwandtschaftlichen Verbindungen basieren, sondern weder an die Art, den Stamm oder die Familie gebunden sind. Dennoch stehen sie den Familienbanden an Intensität, Dauer und Ambivalenz in nichts nach. Das heißt, die Bindungskräfte kommen von außen. Das Außen der Bindung Fichte/Ladiges heißt: Frankreich, Kunst, Sprache und Ethnologie. Und Ethnologie ist in diesem Kontext zuerst eine Erfahrungsweise anderer Körperzustände.

Auch deshalb haben die Gestalter des Buches das richtige Foto für den Titeleinband gewählt. Es zeigt Fichte und Ladiges nur in Badehose, mit stark behaartem Kopf und Gesicht, am Strand liegend, während sich eine Welle über ihre Beine ergießt, der beide äußerst skeptisch entgegenblicken. Dabei haben die Körper der beiden eher geistige als sexuelle Beziehungen zueinander. Einen Zustand, den Fichte als „Gesprächsorgasmen“ bezeichnete. Die beiden trafen einander im Gespräch, und das über wirklich nicht wenige Verschiedenheiten. Fichte wuchs zeitweilig in einem Waisenhaus auf. „Der Vater, Jude verlässt 1935 Deutschland in Richtung Schweden, seither verschwunden“, notiert Fichte kurz in einem Brief an Ladiges. „Ich bin ein Mischling ersten Grades, ein uneheliches Kind und nun auch noch schwul – das ist übertrieben“, heißt es in Fichtes Roman „Versuch über die Pubertät“. Fichte fügt noch hinzu, dass das in den Jahren seiner Kindheit niemand wissen durfte, sonst „brennen sie mir mit einer Stricknadel das Sexualzentrum aus dem Hirn!“.

Ladiges hingegen wuchs in einer bürgerlich gebildeten Künstlerfamilie auf. Weil der Vater in der Nazizeit im besetzten Straßburg ein Engagement hatte, lernte er früh Französisch und mochte Land und Leute. Für den Vater galt das aber nicht. Auch um sich von ihm abzugrenzen, legte sich Ladiges später selbst den Namen Michel, nach dem Hamburger „Michel“, zu. Die Liebe zur französischen Sprache führte ihn auch früh zum französischen Film. Er schrieb für das zeitweilige intellektuelle Leitmedium „Filmkritik“ und leitete 1974 die berühmte von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte herausgegebene „Reihe Film“ im Hanser Verlag mit einem langen Interview mit François Truffaut ein.

Frankreich war aber auch das Land, in dem die Ethnologie mit charismatischen Lehrern wie Marcel Maus und Claude Levi-Strauss in eine nachkoloniale Phase eingetreten war. Mit dem intellektuellen Gepäck von neuem Film und neuer Ethnologie reisten Fichte und Ladiges in die Welt und versuchten ihre Erfahrungen zuerst im Radio hörbar zu machen. Was am Ende bei aller Spannung, die in den Texten des Buches aufscheint, doch auch traurig ist: Denn dieses Radio kommt bestimmt nicht wieder.

Hubert Fichte, Peter Michel Ladiges: „‚In Gedanken ­unterhalte ich mich die ganze Zeit mit Dir.’ Briefe.“ S. Fischer, 400 S., 32 Euro.

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/hubert-fichte-und-peter-ladiges-eine-geistige-beziehung-110142325.html