Harald Martenstein: Über Menschen, die still kündigen, und die Nöte der Berliner Feuerwehr
Ich habe bei der Zeitungslektüre den neuen Begriff “Quiet Quitting” gelernt, das heißt “stille Kündigung”. Immer mehr Menschen, vor allem jüngere, tun angeblich an ihrem Arbeitsplatz nur noch so viel, dass es für den Arbeitgeber nicht zu einer Kündigung reicht. Der Ehrgeiz ist weg. Auf der Extrameile, die man für eine Karriere mancherorts laufen muss, herrscht gähnende Leere. Auch mit der Aussicht auf mehr Geld scheint man viele Leute nicht mehr locken zu können, trotz Inflation. Ich habe leider lange geackert wie blöde (ein Grönemeyer-Zitat, ich weiß), nicht wegen des Geldes, obwohl sich ein gewisses Quantum dadurch ja meistens einstellt. Es ging mir um Anerkennung, um Streicheleinheiten. Auch Anerkennung scheint nicht mehr so stark nachgefragt zu sein wie ehedem.
Das Verschwinden des Ehrgeizes hängt vielleicht mit dem Zerfall der Gesellschaft in Milieus und Gruppen mit komplizierten, abgekürzten Namen zusammen, die einander bestenfalls völlig schnurz sind, falls sie einander nicht sogar hassen, und die keine gemeinsamen Kriterien für Erfolg, für richtig und falsch oder gut und böse mehr haben. Was hat die TERF in einem ostdeutschen Dorf denn mit der LSBTIQ*-Person in einem Berliner Club gemeinsam, außer dass beide Liebe und Nahrung brauchen und aufs Klo müssen? Würden die etwas für die andere Person tun? Es gibt sicher auch noch andere Gründe für Quiet Quitting, was weiß denn ich. Mein Ehrgeiz, die Welt zu begreifen, ist auch nicht mehr das, was er mal war.
Fest steht, dass Quiet Quitting ein gesamtgesellschaftlicher Trend ist. Vor Weihnachten kamen manche der vor Wochen bestellten Pakete bei mir einfach nicht an, das war neu. Die deutsche Post befindet sich in einem ähnlichen Krisenmodus wie die Bahn und hat ihre Kundschaft quiet gequittet. Lenin wollte übrigens einst den Sozialismus nach dem Vorbild der deutschen Post organisieren. Lustigerweise ist die deutsche Post jetzt tatsächlich in einem ähnlichen Zustand wie die Sowjetunion in ihrer Endphase.
Und es hilft, wie das Beispiel der Bundeswehr zeigt, auch nicht mehr, wenn man dreistellige Milliardensummen in so einen absterbenden Organismus hineinpumpt. Das Geld verschwindet wie eine Träne im Ozean. In den Apotheken aber sind die Blutdrucksenker für die Millennials und die Fiebersäfte für die Babys knapp geworden.
In der Welt wurde der drohende Zusammenbruch von Rettungsdiensten und Feuerwehr in Berlin beschrieben. Das Ziel, innerhalb von zehn Minuten am Einsatzort zu sein, sei unrealistisch geworden. Zu den Problemen gehören Bürokratismus, erschöpfte Feuerwehrleute und Feuerwehrautos mit E-Antrieb, die an der Ladesäule stehen, während sie dringend gebraucht werden.
In einer anderen Zeitung wurde dagegen die “braune Gesinnung” auf einer Berliner Feuerwache gegeißelt, die sich unter anderem mit Einträgen Dritter über einen Feuerwehrmann in dessen fast 20 Jahre altem Abi-Buch belegen lasse. Der Beschuldigte wurde allerdings in einem Disziplinarverfahren von solchen Vorwürfen freigesprochen. Ein Freispruch nützt nichts mehr, so wenig wie ein Rezept in der Apotheke, ein Briefkasten am Haus oder eine Gehaltserhöhung als Motivationsspritze. Die Feuerwehr soll jetzt erst mal Gesinnungen löschen. Und wenn der Baum brennt, löschen wir halt selber, falls der Ehrgeiz dazu noch reicht. Ansonsten heißt es: “Quiet Burning”.