Schon im Kalten Krieg wurden Spionageballons abgeschossen
Sie verfolgten ihn seit Tagen, über Tausende Kilometer, vom Westen der USA bis zur Ostküste am Atlantik, dann wurde er zerstört. Erstmals haben die USA über ihrem Territorium einen Ballon abgeschossen, den Peking als einen vom Kurs abgekommenen zivilen Ballon für Wetterforschung bezeichnete.
Für US-Präsident Joe Biden und das Pentagon war es jedoch ein Spionageballon. Die USA benötigten ihren stärksten Kampfjet F-22 Raptor und eine 400.000 Dollar teure AIM 9X-Sidewinder-Lenkrakete, um den China-Ballon aus etwa 19 Kilometer Höhe um 14:39 Uhr Ortszeit vom Himmel zu holen.
Der Abschuss zeichnete sich am 4. Februar ab, als der Luftraum an der US-Ostküste der Bundesstaaten North Carolina und South Carolina für zwei Stunden für den zivilen Flugverkehr gesperrt wurde. Dann stiegen US-Kampfjets vom Typ F-22 und F-15 auf. Eine F-22 feuerte nach Pentagon-Angaben aus fast 18 Kilometer Höhe eine Luft-Luft-Rakete auf den noch höher fliegenden Ballon, der eine außergewöhnliche große Dimensionen von etwa drei Buslängen hatte.
Branchenkenner sprechen vom ersten Luft-Luft-Abschuss des US-Kampfjets, der in der Lage ist, in der extremen Höhe der Stratosphäre oberhalb der Routen von Zivilflugzeugen zu operieren. Jetzt wollen die USA die China-Ballon-Trümmerteile schnell aus dem Atlantik bergen, um Chinas Technik auszuwerten und Daten auszulesen. Pekings Aussage soll widerlegt werden, dass es ein vom Kurs abgekommener Zivilballon war.
Von US-Seite wird behauptet, dass der Ballon Propeller zum Manövrieren hatte und gezielt strategische Ziele ausspähte. Biden hatte am 1. Februar selbst den Abschuss freigegeben. US-Militärexperten erklärten, dass es sinnvoll wäre, mit dem Abschuss zu warten, bis der Ballon über die USA hinweggeflogen ist, um die Bevölkerung nicht zu gefährden.
Zusammen mit Kanada und Nordamerikas Luftraumüberwachung wurde der Ballon über Tage verfolgt. Nach US-Angaben ist der Ballon Teil einer Flotte von Überwachungsballons, die fünf Kontinente ausspioniert haben.
Spionageballons aus dem Kalten Krieg
Für die USA hat der Ballon den nationalen Luftraum verletzt. Die Grenze zum international freien Weltraum beginnt erst ab rund 100 Kilometer Höhe. Dort umkreisen zahlreiche Spionagesatelliten vieler Staaten ständig die Erde. Auch Deutschland hat Spionagesatelliten.
China konnte also über Satelliten längst alle Winkel der USA aus dem All fotografieren. Ballons verweilen jedoch länger über einem Gebiet und womöglich hörte der China-Ballon auch Funkverkehr ab.
Für die USA sind Spionageballons ein vertrautes Metier – aus dem Kalten Krieg. Die Entwicklung der Ballontechnik samt Fotoausrüstung gehörte damals zu den Top-Militärprojekten Washingtons. Die USA schickten Hunderte von Spionageballons über die Sowjetunion, die dort das Territorium fotografieren sollten, weil die Aufklärungstechnik über Satelliten noch nicht den heutigen Stand erreicht hatte.
Angeblich flogen von Mitte der 1950er bis Ende der 1960er-Jahre über 4000 Spionageballons über das Gebiet der damaligen Sowjetunion. Allein in dem 1956 gestarteten US-Projekt Genetrix 119L wurden 400 US-Spionageballons über das Sowjetgebiet geschickt. Ein Ballonstart erfolgte sogar aus Deutschland.
An der Produktion der dünnen Ballonhüllen war der große US-Lebensmittelkonzern General Mills beteiligt. Etwa 90 Prozent der US-Ballons wurden abgeschossen oder gingen frühzeitig auf dem Sowjetgebiet nieder. Angeblich überflogen US-Spionageballone auch über China.
Die USA setzten im Kalten Krieg auch hochfliegende Spionageflugzeuge ein. Doch die Sowjetunion schossen 1960 mit einer damals neuartigen Flugabwehrrakete vom Boden aus das bemannte US-Spionageflugzeug U2 ab. Das Modell flog, wie aktuell der China-Ballon, in grob 20 Kilometer Höhe.
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Source: welt.de