Kommentar zu zehn Jahren AfD: Stachel im Fleisch der Republik
Auch zehn Jahre nach Gründung der Partei ist die „Alternative für Deutschland“ ein Stachel im Fleisch der deutschen Demokratie. Sie ließ sich nicht abschütteln wie NPD oder „Republikaner“, die vorübergehend Erfolge feierten, aber schnell wieder verschwanden, unter anderem deshalb, weil sie im parlamentarischen Alltag und in der Öffentlichkeit keine größere Rolle spielten.
Für die AfD scheint hingegen das Paradox zu gelten: Selbst wenn es sie nicht mehr gäbe, würde sie immer noch gewählt werden.
Die AfD hat in diesen zehn Jahren jedenfalls alles getan, um wieder zu verschwinden. Ihr Führungspersonal überwarf sich mehrmals oder wurde gestürzt. Jeweils war das damit verbunden, dass sich die Partei radikalisierte, bis schließlich der Verfassungsschutz aktiv wurde. Einer ihrer Gründerväter sprach von einem „Monster“, auch deshalb, weil die Partei all jene Klischees erfüllte, die sie den „Altparteien“ andichtete: Intrigen, Affären, Skandale, Kämpfe bis aufs Blut. Selten hat sich die AfD wirklich mit dem Land beschäftigt, um das sie sich angeblich sorgt. Am meisten war sie mit sich selbst beschäftigt.
Im Osten teilweise stärkste Partei
Ihre Anhängerschaft scheint das nicht zu stören. Im Osten hat sie sich stellenweise zur stärksten Partei entwickelt, im Westen zieht sie regelmäßig in die Parlamente ein. Sie ist mehr denn je Protestpartei, von der die meisten wohl wissen, wogegen sie ist, aber nur die wenigsten, wie sie sich die Zukunft vorstellt. Richtete sich der Protest zunächst gegen die Europapolitik, ging es anschließend gegen den Islam und immer schon gegen Einwanderung. Sporadische Gelegenheiten für Beutezüge unter Protestwählern boten die Corona-Krise und neuerdings die Russlandpolitik.
Im Kern aber ist die AfD eine Partei, die sich aus ihrem Verhältnis zum „Volk“ definiert und dadurch in einem Teil dieses Volkes immer wieder zündet. Und zündelt. Denn die Partei hat sich einen Staat zum Feind erkoren, der mit einer rein ethnisch oder gar völkisch definierten Bürgerschaft und Nation schon vor langer Zeit endgültig gebrochen hat.
Große Spielwiese für die Partei
Die AfD verbrämt ihr Feindbild mit „Establishment“ oder „Elite“ oder „System“, um sich selbst als Retter einer ursprünglichen Fassung dieses Volkes aufschwingen zu können. Das kommt gut an bei einer Wählerschaft, deren Weltbild verunsichert ist, weil Heimat, Volk und Vaterland nicht so geworden sind, wie sie vor der Wiedervereinigung in nationalen Träumen noch zu werden schienen.
Je mehr sich die Parteien, die jede für sich bis vor gut zwanzig Jahren noch eine national denkende Klientel bedienten, auf die neue Zeit einstellten, desto größer wurde die Spielwiese der AfD. Sie entspricht dem Agitationsfeld aller rechtspopulistischen Parteien, die sich in der EU mittlerweile flächendeckend gebildet haben. Gemeinsamer Nährboden ist die wiederkehrende Unzufriedenheit mit der Migrationspolitik, die sich mit der Idealisierung von Volksharmonie bestens bedienen lässt.
Dauerthemen Migration und Integration
An dieser Konstellation lässt sich so schnell nichts ändern. Es wird weiterhin Migration und unlösbare Integrationsprobleme geben. Angesichts einer seit zehn Jahren mehr schlecht als recht kontrollierten Migration nach Deutschland ist es sogar erstaunlich, dass die AfD nicht ähnlich gewachsen ist wie die Protestparteien im europäischen Ausland. Nicht erstaunlich aber ist, dass es die AfD noch gibt. Solange die gründliche Veränderung der Gesellschaft auf alteingesessenen Widerwillen stößt, wird sie eher stärker als schwächer werden. Zumal der Widerstand, auf den sie stößt, nicht sehr effektiv ist.
Größter Erfolg der AfD war bislang, den Thüringer FDP-Abgeordneten Kemmerich an der Seite der CDU zum Ministerpräsidenten gewählt zu haben. Hier zeigte sich die ganze Verlegenheit der Parteien, wie mit der AfD umzugehen sei. Was der Linkspartei, bis vor nicht langer Zeit ebenfalls ein Kandidat für den Verfassungsschutz, schon kurz nach der SED-Diktatur zugebilligt wurde, die indirekte oder direkte Regierungsbeteiligung, wurde der AfD verwehrt. Gut begründen lässt sich die Ausgrenzung mit ihrer Radikalisierung. Eine Antwort darauf, ob bis zu ein Drittel der gesamten Wählerschaft dauerhaft ausgeschlossen bleiben soll, ist es aber nicht.
Für SPD, Grüne, FDP und Linkspartei scheint die Antwort dennoch festzustehen. Sie brauchen die AfD-Wähler nicht, um regieren zu können. Thüringen ist auch dafür das beste Beispiel. Der CDU scheint dort und anderswo die Alleinverantwortung zugeschoben worden zu sein, die AfD kleinzukriegen.
Die Merkel-Zeit der Großen Koalitionen, die zum Entstehen der AfD maßgeblich beigetragen hat, lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Wohl aber das Versäumnis, die Unzufriedenheit zu adressieren, die eine leichte Beute für Volksverführer ist. Keine der Parteien links der AfD hat in den vergangenen zehn Jahren dafür die richtige Sprache gefunden.
Source: faz.net