Kommentar: Amokläufe sind keine Schicksalsschläge

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Es war, das hat sich am Donnerstagabend auf schreckliche Weise gezeigt, ein stichhaltiger Hinweis, den die Hamburger Waffenbehörde im Januar erhielt. Der spätere Todesschütze leide offenbar an einer psychischen Störung, die sich unter anderem in Wut auf die Zeugen Jehovas äußere, hieß es darin recht konkret, aber anonym. Die Glaubensgemeinschaft hatte er vor mehr als einem Jahr im Streit verlassen. Die Wut entlud sich jetzt in einem Amoklauf, der so wahnhaft, sinnlos und mysteriös ist wie so viele vor ihm.

Den Opfern dieser Tragödie, den Angehörigen und den Zeugen Jehovas sind Staat und Gesellschaft eine Antwort darauf schuldig, ob die Tat angesichts dieser Vorgeschichte hätte verhindert werden können. Die Waffenbehörde ging dem Hinweis nach und erschien im Februar zu einer unangekündigten Kontrolle im Haus des Waffenbesitzers. Die ergab nichts.

Also wieder einer dieser anonymen Hinweise, die nichts sind als heiße Luft und Denunziation? Hätte nachgestochert werden müssen, weil es sich um einen Waffenbesitzer handelte? Läuft das nicht auf Generalverdacht hinaus? Immerhin sieht das Waffengesetz aber vor, dass psychisch Kranke untauglich für Waffenbesitz sind. Hätte überprüft werden müssen, ob eine solche Krankheit vorliegt?

Schutz bietet nur zivilisierte Wachsamkeit

Mit ein wenig Recherche hatte zumindest das wirre Gedankengut auffallen müssen, dass Philipp F. verbreitet hatte. Ist aber jeder Wirrkopf schon ein Psychopath und potentieller Amokläufer? Die Innenbehörde Hamburgs wird sich diese Fragen stellen müssen, wiewohl zumindest eine Antwort schon jetzt naheliegt. Die Behörden sind überfordert, wollen sie jeder anonymen Verdächtigung auf den Grund gehen.

Fatalismus ist aber ebenso unangebracht. Amokläufe sind keine Schicksalsschläge, die unsere Gesellschaft als ihre Geißel begreifen muss, weil ihre Welt eben so ist, dass sie solche monströsen Verbrechen hervorbringt. Unser Staat ist nicht machtlos dagegen. Das zeigt auch dieser Fall in mehrfacher Hinsicht.

Die Polizei hat sehr schnell reagiert, so schnell, dass noch mehr Opfer verhindert werden konnten. In anderen Fällen konnte sie Schützen von ihrer Tat abhalten. Der Grund sind zivilisierte Formen von Wachsamkeit, vom Geheimdienst bis zur Nachbarschaft. In Hamburg hätte nicht viel gefehlt, und es wäre auch hier gelungen. Nicht viel ist aber immer noch zu viel.

Source: faz.net