David Sanborn; David Bowie; Stevie Wonder; Stan Getz; Charlie Parker; Paul Simon; | EUROtoday
Mit Vorurteilen und Missverständnissen ist die Geschichte des Jazz reich gesegnet. Das fing schon mit dem Maler Max Beckmann an, der meinte, Jazz sei eine vernünftige Musik, die er liebe, besonders wegen der Kuhglocken und Autohupen. So hat er dann 1926 auch sein Stillleben mit Saxofonen gemalt: als wäre auf der Manhattan Bridge in New York gerade ein Lastwagen über das Instrument von Coleman Hawkins gedonnert. Oder Louis Armstrong: Wenn er seine Friedenshymne „What a Wonderful World“ anstimmte, hielten viele sein großes, weißes Taschentuch, mit dem er sich den Schweiß von der Stirn wischte, für eine Fahne der Kapitulation vor dem Kommerz.
Kunst für den Geldbeutel
Selbst die größten Künstler waren dazu verdammt, immer Kunst zu liefern und nicht auch einmal an den Geldbeutel zu denken. Charlie Parker hat man lange verübelt, dass er ein paar seiner Aufnahmen mit Streichorchester zu liften versuchte. Sogar vom Hardcore-Avantgardisten Albert Mangelsdorff, der eigentlich die Freundlichkeit in Person war, ist das sarkastische Urteil über seinen amerikanischen Kollegen Stan Getz dokumentiert, der spiele sein Tenorsaxofon immer so, als wolle er partout eine Millionärstochter aus Kalifornien rumkriegen.
Zu den Jazzmusikern, die man gerne voreilig abstempeln und in eine Ecke stellen wollte, gehört auch der Altsaxofonist David Sanborn aus Tampa, Florida, der, ein Glück für seine musikalische Sozialisation, in St. Louis, Missouri, aufwuchs. Geschert hat er sich freilich wenig um die Schubladen-Fans, weil er früh schon die ästhetischen Zeichen der Zeit deuten konnte, die sich nicht mehr am Reinheitsgebot der Musiksparten orientierten, vielmehr das Mischprinzip, volkstümlich: Fusion favorisierten.
Verwandlungskünstler mit Speed
Man muss lange forschen, um einen Musiker wie David Sanborn ausfindig zu machen, der in so vielen Genres zu Hause war, mit so vielen Ikonen von Jazz, Blues, Rhythm & Blues und Pop auf der Bühne oder im Studio stand – bei alledem ein Verwandlungskünstler von atemraubendem Speed. An einem Abend mit David Bowie vor zwanzigtausend Besuchern im New Yorker Madison Square Garden zu rocken und am nächsten Tag den Flieger nach Italien zu nehmen, um beim Jazzfestival in Perugia vor erlesenem Publikum den progressiven Sound des Gil Evans Orchestras zu bereichern – so etwas dürfte kaum einmal einem anderen Musiker gelungen sein, am ehesten noch Lester Bowie, der ohne mit der Wimper zu zucken in einer Zirkuskapelle spielen konnte und am nächsten Tag einen Free-Jazz-Gig mit Roscoe Mitchell absolvierte.
David Sanborn hat seinem funky Debütalbum „Take off“ von 1975 dann 24 überaus erfolgreiche weitere Aufnahmen hinzugefügt, sechsmal einen Grammy gewonnen, achtmal Gold- und Platin-Auszeichnungen erhalten und war mit seinem wandelbaren Saxofon-Ton auf vielen Jazz- und Popalben zu hören, so etwa auf David Bowies „Young Americans“, Stevie Wonders „Talking Book“ oder Gil Evans’ Arrangements von Jimi-Hendrix-Songs. Für seine Einspielungen und Auftritte konnte er sich die Stars nahezu aussuchen: Jack DeJohnette und Bill Frisell, Charlie Haden, Marcus Miller, Eric Clapton und Lizz Wright. Hinzu kam, dass Sanborn einige populäre Fernseh- und Radiosendungen moderierte, wo er ebenfalls eine illustre Gästeliste vorweisen konnte, von Miles Davis und Pharoah Sanders bis zu Paul Simon und Sting, Cécile McLorin Salvant und James Taylor.
Nahezu sechs Jahrzehnte hat David Sanborn mit Gott und der Welt von Jazz und Pop zusammen musiziert, gehörte 1969 zur Butterfield Blues Band beim Festival in Woodstock und hatte noch Auftritte im New Yorker Blue Note für August des Jahres geplant. Am Sonntag ist er, wenige Wochen vor seinem 79. Geburtstag, in Tarrytown, New York gestorben.
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