Öffnungszeiten im Supermarkt: Solln’s halt zumachen

Aldi Nord ist die erste Supermarktkette, die angekündigt hat, ihre Öffnungszeiten ab November zu verkürzen und um 20 Uhr zu schließen. Man leiste damit “aktiv einen Beitrag zum Energiesparen”, schrieb das Unternehmen auf Twitter. Und zum Personalsparen gleich mit, nur das verkündet man nicht groß. In jedem Fall empören sich landesweit Menschen darüber, demnächst vielleicht nicht mehr bis 21 oder 22 Uhr Avocado und Sprühsahne kaufen zu können. Na ja, fast landesweit. Bei Bayerinnen wie mir führt eine solche Ankündigung höchstens zu einem Schulterzucken. Ja, mei! Ich war in meinem ganzen Leben noch nie nach 20 Uhr in einem Supermarkt – und lebe noch.

Das bayerische Ladenschlussrecht ist das strengste in Deutschland und wird im Rest der Republik gern als provinzlerisch verlacht. Es besagt, dass Geschäfte von montags bis samstags ab 6 Uhr früh öffnen dürfen – und spätestens um 20 Uhr schließen müssen. Selbst als der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber 2006 dafür warb, die Öffnungszeiten bis 22 Uhr auszudehnen, blieb das Gesetz unangetastet. Zu Recht, wie ich finde. Nun sollte Bayerns Ladenschlussrecht Vorbild fürs ganze Land sein. Als Branche flächendeckend früher zu schließen, hieße Strom und Energiekosten zu sparen, die laut Handelsverband seit Anfang des Jahres um 150 Prozent gestiegen sind.

Aufgewachsen bin ich in Murnau, eine Stunde südlich von München: 12.000 Einwohnerinnen, ein Aldi, ein Norma, ein Tengelmann. Mein Vater arbeitete von zu Hause aus und ging vormittags einkaufen, meine Mutter erledigte am Samstag einen Großeinkauf. Ein Problem waren die Öffnungszeiten für meine Familie nie. Als ich mit 19 zum Studium nach München zog, fiel mir nie siedend heiß um 20:02 Uhr ein, dass ich noch unbedingt eine Packung Nudeln fürs Abendessen brauchte.

Auch später, ich arbeitete nun 40 Stunden die Woche, kam ich gut damit aus, dass der nächste Supermarkt “nur” von 7:30 bis 20:00 geöffnet hatte. Das sind 12,5 Stunden. Lassen Sie mich das einmal vorrechnen: acht Stunden Arbeit, eine Stunde Mittagspause, zwei Stunden Weg zur Arbeit und zurück, großzügig berechnet. Bleiben immer noch eineinhalb Stunden, in denen man locker selbst einen Wocheneinkauf machen kann.

Anderswo in Deutschland ist man es gewohnt, fast jederzeit alles zu bekommen. Wenn es einem um 21 Uhr nach Backen ist und noch das Dinkelmehl fehlt beispielsweise. Jeder Laune einfach nachzugehen und die Kollegen am nächsten Tag mit selbstgemachten Blaubeermuffins zu überraschen, so etwas geht mit kürzeren Öffnungszeiten verloren. Ciao, Spontanität, klagen Verfechter der langen Öffnung. So wie meine Berliner Freundinnen, die für die Journalistenschule nach München gezogen waren und zwei Jahre lang ächzten und stöhnten, weil nach 20 Uhr eben alles dicht war. Einmal, an einem Sonntag, kauften wir beim Edeka am Münchner Ostbahnhof, der gesonderte Öffnungszeiten hat, Zitronensaft, eine Flasche Whiskey und Eier. Fühlte sich fast schon verboten an.

Dabei geht die Freiheit, an einem Sonntag Whiskey Sour zubereiten zu können, auf Kosten der Angestellten. Kassierer sind keine Krankenpfleger, die rund um die Uhr im Einsatz sein müssen. Es wäre ein Leichtes, sie zu entlasten, indem sie nicht mehr bis 22 Uhr oder noch länger arbeiten müssten. Das könnte Jobs im Einzelhandel attraktiver machen, es arbeiten schließlich nicht nur Studenten in den Abendstunden, denen sowohl die Arbeitszeit als auch der Zuverdienst gelegen kommt. Umsätze würden wohl auch nicht wegfallen, sondern sich nur anders auf den Tag verteilen.

Mittlerweile wohne ich seit eineinhalb Jahren im Berlin der grenzenlosen Freiheiten und fast grenzenlosen Öffnungszeiten. Aber selbst hier war ich nie außerhalb der bayerischen Zeiten einkaufen. Nennen Sie mich ruhig eine einfallslose Dorfpomeranze, aber das dekadente Bedürfnis nach nächtlichem Shoppen will einfach nicht aufkommen. Vielleicht bin ich auch festgefahren. Wie die Niederländer, die auch auf deutschen Autobahnen nie schneller fahren als 120. Mit zu viel Freiheit weiß ich nichts anzufangen.