Großbritannien: Sunak erhält nötigen Rückhalt für Premier-Kandidatur

Mitten in einer schweren Regierungskrise sucht die britische konservative Partei nach einer Nachfolge für die scheidende Premierministerin Liz Truss.

Diese war am Donnerstag zurückgetreten, nachdem sich ihre Wirtschaftspolitik als unhaltbar erwiesen und sie zwei wichtige Kabinettskollegen verloren hatte. Die Partei hat ein Schnellverfahren angekündigt, so dass spätestens am kommenden Freitag feststehen soll, wer künftig an der Spitze der britischen Regierung stehen wird. Als erster möglicher Kandidat soll der ehemalige Finanzminister Rishi Sunak übereinstimmenden Medienberichten zufolge nun den nötigen Rückhalt aus seiner Partei erhalten haben.

Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Tobias Ellwood, twitterte am späten Freitagabend, er habe die Ehre, Sunak als 100. Tory-Abgeordneter zu unterstützen. Um ins Rennen für den Spitzenjob zu gehen, brauchen Kandidaten den Rückhalt von mindestens 100 Parlamentariern. Noch bis Montagnachmittag können Nominierungen eingehen.

Kandidaten Sunak und Mordaunt

Erhalten mehr als zwei Kandidaten die nötige Unterstützungen von 100 Abgeordneten, soll bei Abstimmungen in der Fraktion der Kreis verkleinert werden. Gibt es danach noch zwei Finalisten, kann die Parteibasis im Laufe der Woche in einem Online-Votum abstimmen. Die Entscheidung könnte auch schon früher als Freitag fallen, falls sich ein Kandidat freiwillig zurückzieht.

Der 42-jährige Sunak und die für Parlamentsfragen zuständige Ministerin Penny Mordaunt (49), die bereits am Freitag ihre Kandidatur offiziell angekündigt hatte, gelten als aussichtsreiche Bewerber. Die größten Spekulationen gibt es jedoch über ein Comeback des skandalgeplagten Ex-Premiers Boris Johnson, der ebenfalls Interesse haben soll. Johnson habe gesagt, er «sei bereit» und wolle antreten, sagte der konservative Abgeordnete James Duddridge am Freitagabend dem Sender Sky News.

Comeback von Boris Johnson?

Mehrere Kabinettsmitglieder haben sich bereits für den Skandalpolitiker ausgesprochen. Angesichts verheerender Umfragewerte für die Partei gilt Johnson einigen Tories als einziger Kandidat, der das Ruder wieder herumreißen könnte. Andere warnen lautstark vor einer Ära Johnson 2.0. – immerhin hatte die Partei den 58-Jährigen erst vor wenigen Wochen nach etlichen Skandalen und Verstößen aus dem Amt gedrängt. Derzeit läuft noch eine parlamentarische Untersuchung dazu, ob Johnson während der «Partygate»-Affäre das Parlament belogen hat. Dies wäre ein K.o.-Kriterium für ein Regierungsamt. Weder Sunak noch Johnson haben bisher offiziell ihre Kandidatur erklärt.

Der Sunak-Unterstützer Ellwood schrieb bei Twitter, das Experiment des freien Marktes – ein «Tiefpunkt in der großartigen Geschichte unserer Partei» – sei nun vorbei: «Der Reset beginnt.» Es sei an der Zeit für eine «gemäßigte, stabile, finanzpolitisch verantwortliche Regierung», die sich glaubwürdig nach innen und außen behaupten könne.

Die Opposition fordert unterdessen vehement eine sofortige Neuwahl, doch die regierende Tory-Partei sitzt am längeren Hebel und kann den Zeitpunkt für die nächste Wahl – bis spätestens Anfang 2025 – relativ frei bestimmen. Daher gilt eine Neuwahl vorerst als unwahrscheinlich.

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