Benjamin Netanjahu: Heimlicher Freund der Extremen

“Frieden durch Härte”, enger Kontakt zu den Ultrarechten: Benjamin Netanjahu will in Israel zurück an die Macht. Wie stehen bei der Parlamentswahl seine Chancen?

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Benjamin Netanjahu

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Benjamin Netanjahu will wiedergewählt werden.

Heimlicher Freund der Extremen – Seite 1

Benjamin Netanjahu hat Israel in zwei Lager geteilt: einen Block für und einen gegen ihn. 120 Sitze hat Israels Parlament, die Knesset. Bei der Parlamentswahl am 1. November, den fünften Wahlen in weniger als vier Jahren, könnte Netanjahus Likud-Partei laut jüngsten Umfragen die meisten davon bekommen – 31 Sitze. Die Zahlen sind seit Monaten konstant. Aber heißt das, dass Netanjahu schon wieder an die Macht kommt?

Zunächst ist Netanjahu immer noch der bislang am längsten amtierende Ministerpräsident in der Geschichte Israels. 15 Jahre regierte er das Land insgesamt. Bei dieser Wahl aber tritt er zum ersten Mal seit 2009 nicht als Amtsinhaber an. Im Moment sieht es so aus, als könnte sein Block die nötige Mehrheit von 61 Sitzen knapp erreichen. Festlegen, dass Netanjahu damit eine Koalition zustande bekommt, will sich trotzdem niemand – nicht die politischen Reporterinnen und Reporter und auch nicht die Parteienforschenden.

Grundsätzlich ist es deshalb auch gut möglich, dass man drei Monate hin und her verhandelt, bis die gesetzliche Frist zur Regierungsbildung abgelaufen ist und Neuwahlen verkündet werden. Das wären dann die sechsten und bis dahin würde Jair Lapid, Israels aktueller Premier und Anführer des Anti-Bibi-Blocks, im Amt bleiben.

Zuletzt hatte er eine regelrechte Medienphobie

Allerdings ist Bibi eben immer auch noch der Mann, der wegen Korruption angeklagt ist, der gut mit Donald Trump befreundet ist und auch mit Viktor Orbán und Wladimir Putin gut kann. Netanjahu ist das Alphatier unter den rechten Populisten, charismatisch, taktisch, politisch geschickt und deshalb so gefährlich. Bei den dritten Wahlen etwa, im März 2020, drängte er seinen bis dahin als Rivalen geltenden Herausforderer Benny Gantz in eine Koalition. Es war der Beginn der Pandemie, wie jedes Land brauchte auch Israel politische Stabilität. Damit setzte Bibi seinen Gegner unter Druck, versprach dafür, das Amt des Premiers mit ihm zu teilen. Erst sollte Netanjahu Regierungschef sein, dann sollte die Macht an Gantz übergehen. Ehe es aber dazu kommen konnte, ließ Netanjahu die Koalition platzen.

Noch ist Gantz Teil der aktuellen Regierung. Die sogenannte Koalition des Wandels hatte sich im Juni vor einem Jahr zusammengerauft, aus der Motivation heraus, eine neue Amtszeit Netanjahus zu verhindern. Zur Anti-Bibi-Regierung gehörte auch die arabische Raam-Partei. Mit der hatte Netanjahu im vergangenen Wahlkampf noch angebandelt, nur um sie danach in seinen anderthalb Jahren als Oppositionsführer als antisemitische Terrorunterstützer zu diffamieren.

Dieses Schema durchzieht seine politische Arbeit. Netanjahu ist der Premier, in dessen Amtszeit das Abraham-Abkommen und damit die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit mehreren Golfstaaten und Marokko beschlossen wurde – der aber gleichzeitig poltert gegen einen nicht minder historischen Deal, den die aktuelle Regierung mit dem Libanon ausgehandelt hat. Nach Jahren im Streit über Gasfelder im Mittelmeer und die Frage, wo die Seegrenze zwischen den sich offiziell im Krieg miteinander befindenden Nachbarländer verläuft, ist vergangene Woche tatsächlich ein Abkommen zustande gekommen.

Während seiner vorigen Amtszeiten hatte Netanjahu eine regelrechte Phobie vor den Medien entwickelt und kaum noch Interviews gegeben. Neuerdings, kurz vor den neuen Wahlen, taucht er plötzlich überall auf. Sogar für die hebräische Ausgabe der Haaretz, Israels linker, man könnte sagen, Israels Anti-Bibi-Zeitung, hat er einen Gastbeitrag verfasst. Der Artikel ist in ähnlicher Art auf Englisch im Wall Street Journal erschienen, mit dem Titel: Das Eiserne Dreieck des Friedens.

Frieden mit Härte, nicht mit “Soft Power”

Damit meint Bibi, immer noch rhetorisch messerscharf, seinen Ansatz, den Frieden mit Härte, nicht mit Soft Power sichern zu müssen. Gerade jetzt, in Zeiten von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine, unterstützt vom Iran. Viele Politiker, schreibt Netanjahu, meinten, mit der Überlegenheit der demokratischen Werte und der demokratischen Kultur ließen sich die Kräfte der Gewalt und der Aggression überwinden. “Doch ein solches Denken hält einer historischen Prüfung nicht stand.”

In gleich zwei Interviews im US-Fernsehen vergangene Woche bewarb Bibi seine Alternative, nach der man es machen müsse wie einst Abraham Lincoln, der einen “entscheidenden Sieg in Amerikas blutigstem Krieg” gebraucht habe, um Frieden für sein Land zu erreichen. Die Interviews gab Netanjahu nicht irgendwelchen Sendern, sondern Fox News und dem Christian Broadcasting Network CBN, beide als Sprachrohre von Ex-US-Präsident Donald Trump bekannt.

Pünktlich zu den Neuwahlen in Israel ist vergangene Woche Netanjahus Autobiografie Bibi: My Story erschienen. Fast 700 Seiten Eigenlob, veröffentlicht in hebräischer und in englischer Sprache. Das Abraham-Abkommen zum Beispiel oder die Tatsache, dass sich Israels Wirtschaft in den Jahren unter Netanjahu steil nach oben entwickelt hat. Im Grunde lesen sich die Memoiren wie der Gastbeitrag im Wall Street Journal – Bibi will sich als starker Staatsmann, als Beschützer Israels verstehen. Die Probleme im Inneren, die Spaltung von Israels ohnehin extrem heterogener Gesellschaft, klammert er aus.

Netanjahu versucht, seine Stammwähler nicht zu verprellen

Dabei könnte diese innere Spaltung die größte Gefahr für Israels Sicherheit darstellen: Salonfähig gemacht von Netanjahu persönlich, gewinnen die Parteien der Religiösen Zionisten mehr und mehr Beliebtheit bei jenen jüdischen Israelis, die sich als rechts verstehen und laut Umfragen 60 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Diese religiösen Zionisten, angeführt von Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich, hetzen offen gegen Palästinenser und die arabische Minderheit und werden traditionell von nationalistischen Siedlern unterstützt.

Laut aktuellen Umfragen könnte das Bündnis der zwei Männer 14 Knesset-Sitze erhalten und damit drittstärkste Kraft werden. Wie israelische Zeitungen berichten, tönt Bibi schon jetzt damit, Ben-Gvir als Minister für nationale Sicherheit und Smotrich als Verteidigungsminister berufen zu wollen. Manche sagen, damit will Bibi wieder nur Druck machen – mit dem Ziel, einen Bündnispartner aus dem Anti-Bibi-Block zu finden. Das ist ein bisschen so, als würde die CDU in Sachsen der AfD vor den Landtagswahlen das Innenministerium versprechen, dann aber die SPD damit erpressen und behaupten, es sei allein in der Verantwortung der Sozialdemokraten, ob die Rechten übernehmen.

Und obwohl Netanjahu mit den Ultrarechten in engem Kontakt steht – während des Wahlkampfs will man sich besser nicht zusammen auf einem Foto zu zeigen. Bei Bibi, heißt es, sei die Sorge zu groß, durch die Nähe zu den Rechtsextremen seine gemäßigt-konservativen Stammwähler zu verprellen. Bei einer Veranstaltung vor einer Woche, bei der beide Männer zusammen auf der Bühne stehen sollten, blieb Netanjahu so lange in seinem Wagen sitzen, bis der heimliche Freund aus dem Licht der Scheinwerfer verschwunden war.

In ehemaligen Zentren des Likud zeichnet sich bei den kommenden Wahlen ein Abdriften zur extremen Rechten an. Längst verliert Netanjahu Zustimmung in seinem eigenen Lager. Wie er diese Woche erklärte, wolle er die Wahlergebnisse gegebenenfalls nicht anerkennen und überprüfen lassen. Prompt wurden Vergleiche zum 6. Januar 2021 gezogen – dem Tag des Sturms auf das US-Kapitol 2021.