Christoph Stölzl gestorben: Sein Stilgefühl beflügelte die Republik

Vor dreißig Jahren schrieb Christoph Stölzl in der F.A.Z. ein Plädoyer für die Aufstellung der Pietà von Käthe Kollwitz im Innenraum der Neuen Wache in Berlin. Auf die Einwände von Kunstkritikern, die Aufstellung einer vergrößerten Version der Kollwitz-Skulptur anstelle von Heinrich Tessenows Stele mit Eichenkranz sei unhistorisch, antwortete er mit einer Alltagsbeobachtung. „Ich habe bei vielen Gesprächen über die Geschichte des Denkmals zugehört.“ Die Mehrzahl der Teilnehmer, so Stölzl, habe Tessenows Fassung als heroisch und einschüchternd empfunden. Auch die Kritik, das kollwitzsche Werk appelliere zu stark an die Gefühle der Betrachter, parierte er frontal: „Manche sagen: Das wird doch sentimental. Was ist daran falsch? Gefühllosigkeit am Angesicht der Schrecken dieses Jahrhunderts hat es allzu viel gegeben.“

Andreas Kilb

Feuilletonkorrespondent in Berlin.

Das war sein Ton: direkt, ohne aufdringlich, kundig, ohne abkanzelnd zu sein. Er konnte zuhören, wenn andere re­de­ten, und so reden, dass auch die Gegenseite zuhörte. Alles, was er ins Werk setzte, war eine Einladung zum Dialog. Mit diesem Gesprächstalent hat er gut vier Jahrzehnte lang die kulturelle Öffentlichkeit in Deutschland geprägt. Die Lücke, die er hinterlässt, wird noch lange sichtbar sein.

Die Idee zur Bismarck-Ausstellung kam ihm spontan

Christoph Stölzl war vielleicht der wichtigste kulturpolitische Akteur beim Übergang von der Bonner zur Berliner Repu­blik. Das geschichtliche Symbol dieses Übergangs war das Deutsche Historische Museum, als dessen Gründungsdirektor er 1987 von Helmut Kohl berufen wurde. In den ersten Jahren musste Stölzl das Haus, das nach einem Entwurf des italienischen Architekten Aldo Rossi am Spreebogen entstehen sollte, immer wieder gegen Vorwürfe aus den Medien und der Historikerzunft verteidigen. Mit seiner Errichtung, hieß es, würde die deutsche geschichtliche Erinnerung renationalisiert. Dann kam die Wiedervereinigung, und Stölzl konnte sein Museumsprogramm verwirklichen. In einem Gespräch mit der F.A.Z. hat er später geschildert, wie ihm die Idee zu der ersten Ausstellung kam. „Kohl fragte: ‚Was machen Sie denn als erstes?‘ Darauf war ich nicht vorbereitet. Vermutlich, weil dieser Riese da vor mir stand, sagte ich spontan: ‚Bismarck.‘“

Die Bismarck-Ausstellung im August 1990 wurde ein Triumph, mit dem wenige gerechnet hatten. Sie be­wies, dass man den Reichsgründer, um dessen Erbe heute wieder verbissen gestritten wird, auch mit Witz, Verve und einer suggestiven Auswahl von Objekten porträtieren kann. Für das neue Geschichtsmuseum, das noch an­derthalb Jahrzehnte auf den endgültigen Einzug ins renovierte Zeughaus wartete, war sie die bestmögliche Visitenkarte. Bald folgten mit „Mythen der Nationen“ und der Schau zum Friedensjahr 1648 weitere denkwürdige Präsentationen, ehe sich Stölzl um eine neue Aufgabe bewarb.

Vom Kultursenator zum Musikschulrektor in Weimar

Damals, 1998, wollte er Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz werden. Dass er es nicht wurde, war ebenso Zeichen einer Epochenwende wie seine Be­ru­fung zum DHM-Chef elf Jahre zuvor. Kohl wurde abgewählt, die neue sozialdemokratisch geführte Bundesregierung favorisierte Klaus-Dieter Lehmann, und Stölzl ging, nach einem Intermezzo als Feuilletonchef der „Welt“, in die Politik, wo er sich erst als Berliner Kultursenator und dann als Landesvorsitzender der CDU versuchte. 2010 wurde er Rektor der Weimarer Musikhochschule und blieb es bis ins vergangene Jahr – eine Tätigkeit, die ihn nicht davon abhielt, zusätzliche kulturpolitische Aufgaben wie die eines Vertrauensmanns für das 2019 führungslos gewordene Jüdische Museum Berlin auszuüben. Sein letztes Engagement galt dem Aufbau des Exilmuseums am Anhalter Bahnhof, dessen Trägerstiftung er leitete.

Christoph Stölzl, 1944 in Westheim bei Augsburg geboren und von 1980 bis 1987 Direktor des Münchner Stadtmuseums, stammte, wie er gern betonte, ebenso von altbayerischem Adel wie vom gelehrten böhmischen Judentum, von Lehrern, Offizieren und liberalen Politikern ab; seine Tante Gunta war Meisterin der Webereiwerkstatt im Bauhaus. Diese gemischte Herkunft, verbunden mit einem ausgedehnten Geschichtsstudium, pflanzte dem Absolventen des Münchner Ludwigsgymnasiums und der Saarbrücker Universität ein Stilgefühl ein, das die Bundesrepublik der Neunzigerjahre bitter nötig hatte. Mit derselben Grandezza, mit der er Staatsgäste bewirtete, konnte Stölzl einem Kolumnisten den Un­terschied zwischen Anzügen aus Moiré- und Bird’s-Eye-Stoff erklären. Vor allem gab er jedem Gesprächspartner das Ge­fühl, dass er mit dem Herzen bei der Sache war. Viele, die ihn kannten, haben sein Lachen noch im Ohr. Nun ist es verstummt. Am Dienstag ist Christoph Stölzl achtundsiebzigjährig in Evenhausen bei Rosenheim gestorben.

Source: faz.net