Corona-Leaks in der Schweiz: Berset und sein Bro

Corona-Leaks in der Schweiz: Berset und sein Bro

Jö, das soll ein Skandal sein?, fragen sich die Kollegen im Ausland. In Wien würde man das politisches Kommunikationshandwerk nennen. In Berlin saubere Arbeit. Darum geht’s: Ein Ministerium will sichergehen, dass die Meinung, die es für die richtige hält, vom Bundesratskollegium geteilt wird. Also steckt es die Info dem Boulevard, der bläst sie raus, baut Druck auf – und die Mehrheit der Regierungsmitglieder kann gar nicht anders, als zuzustimmen.

Nun ist Österreich ungeschlagener Champion im DACH-Raum, wenn es ums Regieren über die Großbuchstaben-Zeitungen geht. In Deutschland lassen sich die Koalitionsverhandlungen live auf Twitter oder Bild TV verfolgen. Überall leckt es. Aber jeden Quatsch, der Wiener würde sagen Schas, müssen wir Schweizerinnen und Schweizer unseren Nachbarn nicht nachmachen, oder?

Für einmal gilt: Ehret den Sonderfall! Und mit ihm das behäbige, biedere, seriöse Politisieren, für das die Schweiz zwar häufig belächelt wird, das ihr aber nicht nur wirtschaftlichen Erfolg beschert, sondern ebenso die gesellschaftlichen Gräben zuschüttet, die sich immer wieder auftun. Gerade in Krisenzeiten.

Deshalb ist die Standleitung, die das Innenministerium von SP-Bundesrat Alain Berset während der Corona-Pandemie in die Chefetage des Ringier-Konzerns zu CEO Marc Walder unterhielt, ein Skandal. Systematisch fütterte der engste Mitarbeiter des Gesundheitsministers den Medienmanager mit geheimen Informationen über geplante Corona-Maßnahmen und den Stand der staatlichen Deals mit den Impfstoffherstellern. Das zeigt der Mailverkehr, den die Schweiz am Wochenende vor einigen Tagen veröffentlicht hat.

Der Ringier-Chef und Bersets Entourage erschüttern das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik und die Medien. Und die trümmligen Corona-Maßnahmen-Skeptiker finden dieser Tage neue Nahrung für ihre absurde Theorie, wonach hinter der Pandemie-Politik eine große Verschwörung stecke.

Wozu das alles? Nicht für die gute Story, heißt es beim Blick, der zum Ringier-Konzern gehört. Alle Primeurs habe man selbst recherchiert, sie seien der Redaktion nicht vom eigenen CEO gesteckt worden. Dabei wusste die Boulevardzeitung in der Corona-Krise auffallend oft und auffallend präzise, was der Gesundheitsminister dem Gesamtbundesrat vorschlagen wird. Konzernintern gab Marc Walder die Order aus: “Wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung.”

Alain Berset will vom Treiben seines eigenen Spindoctors nichts gewusst haben. Womit er, der als einer der begabtesten Schweizer Politiker gilt, indirekt zugibt, seinen Laden nicht im Griff zu haben. Er sieht sich als “Opfer in dieser unangenehmen Situation” und beklagt die “illegalen und recht skandalösen Indiskretionen”. Dabei profitierte der Bundesrat von der Bromance mit dem Medien-CEO, nicht sein Paladin. Die Schweizer Illustrierte räumt regelmäßig mehrere Seiten frei für die neueste Berset-Jubelstory. Zeigt ihn mal als Pandemie-Kojak mit dunklem Borsalino, mal als Jazzpianist am Klavier. Im Prestigeheft Interview darf der Bundesrat, der auch Kulturminister ist, selbst einen Promi interviewen: Mit dem Sänger Stephan Eicher sinniert er in einem Rebberg über das Leben. Und auf Instagram beglückt der Freiburger seine 118.000 Follower mit lustigen Selfies und filterschweren Naturbildern. Die Ringier-Presse schreibt dazu: “Auch hier hat Monsieur Berset Talent.”

So gesehen ist Alain Berset tatsächlich ein Opfer. Eines seiner eigenen Eitelkeit. Wozu diese führen kann, das zeigte sich in der Skandalrepublik Österreich. Sebastian Kurz, auch so ein hochgelobtes Politikertalent, ging nichts über das eigene Image. Sein Umfeld versuchte – mit brachialeren Methoden, keine Frage – die Stimmung auf dem Boulevard zu kontrollieren. “Message control” nannte das die türkise Buben-Crew. Heute ist Kurz weg, aber sein Erbe bleibt. Das Land ist entpolitisiert.

So schauen sie heute aus Wien – zu Recht – etwas neidisch auf die Schweiz und ihre biederen, behäbigen, aber halt auch seriöseren Politiker. Und für Alain Berset ist zu hoffen, dass er nicht wie Kurz endet.