Transmenschen. Menschen im Übergang. Von einem Körper zum nächsten, von einer Bewusstseinsschwelle zur anderen. Kein leichter Gang. Keine leichtfertige Entscheidung. Die Öffentlichkeit interessiert sich sehr dafür. Und manche Transmenschen interessieren sich wiederum auch sehr für die Öffentlichkeit. Es wird gerungen um Zeichen der Anerkennung und Respekterweisung, um Tradition und Wandel, im politischen, medialen und linguistischen Bereich. Der Film „Aus meiner Haut“ behandelt das Thema poetisch. Er weitet das „Trans“ radikal aus. Der Übergang wird hier zu Ende gedacht.
Der Film ist eine Schöpfung der Schaad-Brüder. Dimitrij und Alex, beide in Kasachstan geboren, der eine 1985, der andere 1990. Als Kinder flüchteten sie mit ihren Eltern aus der kollabierenden Sowjetunion ins wiedervereinigte Deutschland und stiegen schnell ins darstellende Spielgewerbe ein. Der eine, Dimitrij, wurde Theaterschauspieler, bekam ein Engagement am Berliner Maxim-Gorki-Theater und konterkarierte die dort vorherrschende Fixierung auf moralpolitische Haltungen durch ein hingebungsvoll sprechendes Körperspiel.
Einziger deutscher Spielfilm in Venedig
Der andere, Alex, studierte an der Münchner Filmhochschule Regie und gewann 2016 mit seinem ersten Kurzfilm „Invention of Trust“ einen Studenten-Oscar in Hollywood. Die Hauptrolle spielte sein Bruder, der auch am Drehbuch mitschrieb.
In derselben Konstellation haben die beiden während der letzten drei Jahre an Alex Schaads Langfilmdebüt gearbeitet. Im September 2022 feierte „Aus meiner Haut“ als einziger deutscher Spielfilm bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig seine Premiere. Jetzt kommt er in die deutschen Kinos. Es ist ein Spielfilm im wortwörtlichen Sinne geworden. Gut hundert mitreißende Minuten, in denen die fünf Hauptdarsteller alle Register ihrer Profession ziehen, in denen sie stark konnotierte Profile anlegen, ausdrucksvoll ihre Charaktere zeigen, um dann überraschend die Persönlichkeit zu wechseln und ein ganz anderer zu werden. Denn hier spielen sie nicht nur ihre eigenen Rollen, sondern auch die der anderen. „Aus meiner Haut“ erzählt von der befreienden Wirkung eines Körpertausches, erzählt von der urromantischen Sehnsucht, ein anderer zu sein, sich wirklich hineinversetzen zu können in das Spüren, Fühlen und Leiden des Gegenübers.
Allein: Der Film tut das ohne Motto, ohne diskurstheoretische Einrahmungen oder Verweise, sondern ganz frei. Das erste Bild zeigt einen Vater, der am Totenbett seiner verstorbenen Tochter sitzt. Edgar Selge starrt geistesabwesend auf den leblosen Körper, zittert, bebt, um dann ein Wort auszustoßen, mit dem niemand rechnet: „Papa.“
Ein junges Paar fährt auf eine abgelegene Insel. Leyla und Tristan. Die Sonne scheint, die Wellen rauschen. Er: stiller Gitarrenspieler, sie: gerade in Auszeit. Begrüßt werden sie von Stella, einer früheren Schulfreundin, deren Vater kürzlich an einem Hirnschlag gestorben ist. Nur, dass er jetzt wider alle Wahrscheinlichkeit ganz lebendig vor ihnen steht – der Vater, allerdings inzwischen bewohnt vom Geist der Tochter.
Folgt gleich der Partnertausch?
Kurz überkommt einen die Furcht: Das könnte kompliziert werden. Oder arg programmatisch. Oder beides. Aber im nächsten Augenblick sieht man das junge Paar schon im Garten vor einem alten Gutshof sitzen, bei Kerzenschein und Rotwein, während Stella an einer Lostrommel dreht und den Zufall über die Zuteilung der Paare entscheiden lässt. Wird das jetzt eine Swingerparty? Folgt gleich der Partnertausch? Nein. Denn es geht um Seelenwanderung. Genauer: Um die phantastische Vorstellung, dass Menschen ihre Körper wechseln, ihre äußere Hülle abstreifen und ihr Ich in einem anderen ausprobieren können.
Leyla und Tristan (gespielt von Mala Emde und Jonas Dassler) treffen per Losentscheid auf den angeberischen Goldkettchenträger und Kaugummikauer Mo (Dimitrij Schaad) und seine enervierte französische Ehefrau Fabienne (Maryam Zaree) – die ist schon zum zweiten Mal hier und weiß als Einzige, was sie erwartet.
Nur der Körper hat gesündigt
Beim rituellen Reinigungsbad am nächsten Morgen lässt sie den Herren mithin den Vortritt, und so wechseln als Erstes die beiden Männer ihre Körper – der Sanfte wird zum Angeber und der Angeber zum Sanften. Bald kommt es zu ersten Missverständnissen und Komplikationen und eben doch zum Seitensprung – allerdings moralisch exkulpiert, denn nur der Körper, nicht der Geist hat ja gesündigt.
Esoterik liegt in der Luft in dieser „Body Switch“-Komödie. Klangschalen, lodernde Feuer und morgendliche Achtsamkeitsrituale erinnern daran, dass gegenwärtig eine ganze Generation von besser verdienenden (oder erbenden) Sinnsuchern ihre Wochenenden im Schweigekloster oder beim „Burning Man“ verbringt. Aber die Esoterik wirkt hier nicht impertinent, weder messianisch noch denunziatorisch. Sie sorgt schlicht für eine außergewöhnliche Atmosphäre. Untermalt von einer Musik, der man ihre mitunter arg sakrale Tonlage daher auch gern verzeiht.
Offener Bildraum
Die Kamera von Ahmed El Nagar fährt sanft über die Gesichter, Körper und Gesten der vier Hauptfiguren – zu denen sich gegen Ende noch eine fünfte (Thomas Wodianka) hinzugesellt, die alles einfacher und gleichzeitig schwieriger macht. Regisseur Alex Schaad schafft es auf bezaubernde Weise, eine Stimmung des Ungefähren zu erzeugen. Einen offenen Bildraum, in dem das quälende Rätsel der Identitäten plötzlich wie von Zauberhand gelöst scheint.
Von Ferne erinnert „Aus meiner Haut“ an andere schwärmerisch sinnliche Filme über die Sehnsucht nach Freiheit wie „Call me by your Name“ oder auch „Was nützt die Liebe in Gedanken“. Von der Verzweiflung, die es bedeuten kann, das falsche Ich im richtigen Körper zu haben, erzählen die Brüder Schaad genauso wie von dem befreienden Gefühl, einmal nicht der sein zu müssen, für den einen alle halten.
Auch wenn hier am Ende einmal zu viel getauscht und die Geschichte überdreht wird: Dieser Film findet überzeugende Bilder für das, was sonst nur als graue Sprachhülse im allgemeinen Gebrauch ist – Empathie. Er zeigt, wie aufregend es wäre, sich mit Herz und Seele in die Haut eines anderen einfühlen zu können.
Source: faz.net