In der Einwanderungspolitik entfernen sich Berlin und Paris voneinander. Während die Ampelregierung Deutschland in ein „modernes Einwanderungsland“ umwandeln will, verschärft Frankreich die Einwanderungsgesetze ein weiteres Mal. Am Mittwoch hat das Regierungskabinett in Paris einen Gesetzentwurf zur „Kontrolle der Immigration und verbesserten Integration“ verabschiedet. Angestrebt wird ein verstärkter Kampf gegen illegale Zuwanderung und Sozialhilfemissbrauch durch Ausländer. „Gut mit den Guten und böse mit den Bösen“, fasste Innenminister Gérald Darmanin die Philosophie des Gesetzpaketes zusammen.
Darmanin umwirbt dabei seine frühere Partei, die oppositionellen Republikaner. „Wir haben einen Großteil ihrer Forderungen aufgegriffen“, sagte der Minister. Ziel sei es, Zuwanderung nicht länger zu erleiden, sondern Zuwanderer „auszuwählen“. Der aus 27 Artikeln bestehende Text soll die Ausweisung insbesondere von straffällig gewordenen Ausländern erleichtern. Die Ermordung der Schülerin Lola durch eine eigentlich ausreisepflichtige Algerierin hatte zu einer erhitzten Debatte über den mangelnden Vollzug von Ausreisebescheiden geführt.
Einjähriger Aufenthaltstitel geplant
Das Gesetz soll der öffentlichen Empörung Rechnung tragen. Die Abschiebeschutzmaßnahmen für Ausländer, die vor ihrem 13. Lebensjahr nach Frankreich gekommen sind, seit mehr als 20 Jahren in Frankreich leben und Ehepartner oder Eltern von Franzosen sind, sollen gelockert werden. Fortan sollen Ausländer bereits nach einer rechtskräftigen Verurteilung zu zehn Jahren Haftstrafe oder als Wiederholungstäter bei fünf Jahren Haftstrafe ausgewiesen werden können. Zudem sollen Ausländer, die eine „schwerwiegende Bedrohung der öffentlichen Ordnung“ darstellen, abgeschoben werden.
Um die Integration zu verbessern, will die Regierung die Regularisierung von bereits im Land befindlichen Arbeitnehmern ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung erleichtern. Deren Schicksal unterliegt derzeit dem Ermessen der Präfekturen. Es gilt ein Rundschreiben aus dem Jahr 2012, in dem bestimmte Kriterien aufgeführt sind, deren Bewertung aber im Einzelfall entschieden wird. Um einen Aufenthaltstitel zu erhalten, muss ein Arbeitnehmer beispielsweise nachweisen, dass er mindestens drei Jahre in Frankreich gelebt hat, mindestens 24 Lohn- und Gehaltsabrechnungen vorlegen und eine Einstellungszusage seines Arbeitgebers vorweisen. Die Regierung will nun einen neuen einjährigen Aufenthaltstitel einführen für Branchen mit Arbeitskräftemangel. Illegale Einwanderer, die acht Gehaltsabrechnungen und drei Jahre Aufenthalt in Frankreich vorweisen können, sollen Anspruch auf die einjährige Aufenthaltsgenehmigung erhalten.
130.000 Asylanträge im Jahr 2022
Geplant ist darüber hinaus eine „Talentkarte“, um die Einreise von Ärzten, Apothekern, Zahnärzten und Hebammen zu erleichtern. Asylbewerbern aus Ländern mit hoher Schutzquote soll vom Zeitpunkt der Antragstellung an erlaubt werden zu arbeiten. Vor der Ausstellung einer mehrjährigen Aufenthaltsgenehmigung sollen die Französischkenntnisse überprüft werden.
Die parlamentarische Debatte dürfte eine weitere Bewährungsprobe für die Minderheitsregierung von Premierministerin Elisabeth Borne werden. Die Regierungsfraktion ist auf Stimmen aus der Opposition angewiesen. Den Oppositionsparteien RN und Republikanern gehen die Verschärfungen nicht weit genug. Besonders viel Kritik ruft das geplante einjährige Aufenthaltsrecht in Mangelberufen sowie die „Talentkarte“ hervor. Republikaner wie RN befürchten, dass darüber neue Anreize zur Einwanderung geschaffen werden könnten. „40 Prozent der Ausländer in unserem Land sind ohne Beschäftigung. Bevor wir noch weitere Immigranten anlocken, sollten wir sie erst mal zum Arbeiten bringen“, sagte Marine Le Pen am Mittwoch dem Radiosender France Info. „Wir wollen keine neue Aufenthaltsgenehmigung“, sagte der LR-Fraktionsvorsitzende im Senat, Bruno Retailleau, dem Fernsehsender LCI. Frankreich habe 2022 einen neuen Rekord bei der Zuwanderung erlebt. Die unkontrollierten Migrationsströme stürzten das Land in „schwere Unordnung“, sagte Retailleau.
Innenminister Darmanin hat der rechtsbürgerlichen Mehrheit im Senat „Quoten zur Begrenzung der Regularisierung“ angeboten. Über den Gesetzentwurf soll von Mitte März an im Senat beraten werden. Das Linksbündnis Nupes hingegen beklagt den „repressiven Charakter“ des Gesetzentwurfes. Die Prüfung von Asylanträgen soll verkürzt werden. 2022 ist die Zahl der Anträge auf mehr als 130.000 angestiegen.
Der Migrationsforscher Patrick Weil kritisierte den Gesetzentwurf als überflüssig, weil ein Großteil der Bestimmungen auch per Dekret hätte erlassen werden können. „Er scheint eine Tarnung zu sein, damit man nicht darüber spricht, was in der Einwanderungspolitik falsch läuft“, sagte Weil dem Magazin „L’Express“. Wesentliche Fragen der EU-Kooperation seien in dem Gesetzentwurf tabu. „Die meisten Menschen, die in Frankreich ankommen, haben zuvor das Hoheitsgebiet eines Nachbarlandes durchquert. Der Großteil dieser Migranten kommt nicht per Boot, sondern auf dem Landweg.“ Präsident Macron habe schon vor sechs Jahren eine effektivere EU-Migrationskontrolle versprochen. „Ohne aktive Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn ist Migrationspolitik nicht möglich“, sagte Weil.
Source: faz.net