Gastbeitrag
Vor der Nachwahl Berliner Zuständigkeitschaos – die Ursachen einer dysfunktionalen Stadt
In Berlin wird am 12. Februar erneut gewählt. Doch die Probleme wird das nicht lösen, weil sie durch das System in der Hauptstadt begünstigt werden – findet unser Gastautor.
Ein Gastbeitrag von Mesut Yavuz
Nach Wahldesaster und Silversterchaos muss es diesmal klappen. Die am schlechtesten verwaltete westliche Metropole, kann es am 12. Februar nochmal beweisen. Die regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey mit ihrer Berliner Landesregierung als auch die Bezirksverordnetenversammlungen stehen zur Wahl. Und in jedem der 12 Bezirke sind es sechs Stadtratsposten. Das ist ordentlich, würde man denken. Nur hat die Sache einen Haken: Die Verwaltung leidet an Verantwortungsdiffusion zwischen Senat und Bezirken. Schlimmer, als Folge erleben die Bezirksämter eine Politisierung bis in die unterste Ebene.
Tatsächlich sind Abgeordnetenhaus und Senat von Berlin zugleich Parlament und Regierung für das Land und die Kommunen. In Deutschland einmalig ist allerdings, dass auch 12 Bezirksverordnetenversammlungen gewählt werden, die formal gar keine Parlamente repräsentieren, so wie die Bezirke auch keine eigenständigen Kommunen sind. Damit leistet sich Berlin 60 Stadträte. Plus 12 Bezirksbürgermeister, die keine Weisungsbefugnis über die Stadträte haben. Das klingt nach Basisdemokratie, ist in Wirklichkeit aber ein Zuständigkeitsproblem. Tatsächlich nämlich wird vom Senat die Verwaltung in die Bezirke delegiert. Nur funktioniert das nicht richtig: Terminvergaben beim Bürgeramt, Bauanträge, Genehmigungsverfahren, Reisepass-Ausstellungen, An- und Abmeldungen, KfZ-Zulassungen, durchgängige Fahrradwege über Bezirksgrenzen hinweg, Digitalisierung von Schulen usw.. Mit den Wahlen und der Silvesterratlosigkeit ; die Liste wächst mit jedem Tag.
Die Folgen für Berlin
Diese deutschlandweite Besonderheit Berlins ist nicht nur dysfunktional für Bürgerinnen, sondern hat Folgen für die Bundeshauptstadt selbst.
Folgend das Ursachen-Quartett des Berliner Verwaltungschaos.
Erstens, die bezirkliche Verwaltung ist durchpolitisiert. Fachämter sind damit nicht mehr von Experten geleitet. Fachleute fehlen durch die Politisierung bis in die untersten Behördenbüros, und das schon zu einem Zeitpunkt wo noch keiner von Fachkräftemangel redete. Dies befeuert die zweite berlintypische Besonderheit: Kompetenzgerangel zwischen Senat und Bezirken aber auch zwischen und in den Bezirken. Das führt zum lähmenden Zuständigkeits-Ping-Pong für Unternehmen und Bürger.
Die dritte Besonderheit Berlins sind die bezirklichen Zählgemeinschaften, quasi ein Art Koalition, die über Stadträteposten und Bezirksbürgermeister entscheiden. Dass es für einen Stadtratsposten keine Qualifikation oder Kompetenzen bedarf, ist vielleicht der größte Sündenfall für die Bezirksverwaltungen. So werden an der Spitze der Verwaltung seit Jahren Politiker ohne Erfahrungen und Qualifikationen ernannt. Mit fatalen Folgen zum Beispiel im Datenschutz oder Digitalisierung. Dabei sind Stadträte mit bis zu 10.250 Euro üppig besoldet. Also Anreiz genug für Qualifizierte, wäre da nicht die Arithmetik der Zählgemeinschaften. Und da geht es um Listenplatzkämpfe und nicht um Kompetenzen. Vielleicht verschreckt dies Qualifizierte, jedenfalls ist Nachwuchs- und Fachkräftemangel auch ein zunehmendes Thema in Parteien. Dass es auch anders gehen kann zeigt sich beispielsweise in Nordrhein- Westfalen: Hier wird das Stadtratsamt ausgeschrieben und Expertise und ausreichende Erfahrung vorausgesetzt. Im Gegenzug zu diesem Auswahlverfahren bekommen dort die Stadträte das Mandat für ganze acht Jahre.
Die vierte Ursache für den desolaten Zustand Berlins ist, dass es keine Aufsicht des Senats über die Bezirksverwaltungen gibt. Was mal als Stärkung der Bezirke gedacht war, entpuppt sich als zwölffacher Wildwuchs, und das in einer Stadt. Ob Fahrradwege, Bausanierungen, Digitalisierung oder Schulbauoffensive, Berliner Verwaltungsstandards sind so vielfältig wie seine Bezirke und bundesweit unterdurchschnittlich. Das war sicher nicht die Idee der Stärkung der Bezirke, für die gesamtstädtische Entwicklung jedenfalls hat sich die fehlende Verwaltungsaufsicht als Ärgernis für alle Berliner entwickelt.
Neukölln steht stellvertretend für die Probleme Berlins
Am Beispiel Neuköllns wird das stadtweite Problem erkennbar: Die regierende Bürgermeisterin Giffey und Neuköllns Bezirksbürgermeister Hikel, beide SPD, spielen das Silvesterchaos zuständigkeitsmäßig aus ihren Verantwortungsbereichen weg. Und das, obwohl beide schon lange für den Bezirk in Verantwortung stehen. Das Wegmoderieren Berliner Probleme ist aber keine Lösung, genauso wenig wie Berlins typische Verantwortungsdiffusion. Schuld an dem Berliner Wahlchaos 2021 war ja auch niemand. Und das Problem ist damit weg-diffundiert. So einfach kann man es sich in Berlin machen.
In Neukölln begann der politische Aufstieg Giffeys und Hikel. Mit dem Silvesterchaos kreuzen sich wieder die Wege für beide SPD Genossen in Neukölln. Und während die eine in die Landespolitik rotierte, übernahm der andere die Spitze der Neuköllner Verwaltung. Sicher, beide haben das zweistufige System mit Senat und Bezirken in Berlin nicht erfunden. Aber beide stehen an der Spitze eines großen Verwaltungsapparats und tragen damit, ja Verantwortung, die nicht auf die Berlinerinnen einfach abgewälzt werden darf. Außer am 12. Februar: Da liegt die Zuständigkeit bei den Berlinerinnen, wie es weitergeht.
Source: stern.de