Wagners „Tristan und Isolde“ in Cottbus

Allzu oft wird es nicht vorkommen, dass man bei der zentralen Liebesszene in Richard Wagners „Tristan und Isolde“ zu schmunzeln beginnt. Doch der Inszenierung des Cottbuser Staatstheaters, ins Werk gesetzt vom Hausherrn Stephan Märki, gelingt das: wenn Isolde in den kurzen Minuten des Alleinseins vor dem Rendezvous, schwer nervös, verschiedene Willkommensposen ausprobiert, die Verliebten dann zunächst aneinander vor­beirennen und hernach die erste Welle leidenschaftlicher Exklamationen wie gelernten Schulstoff absingen, auf fünf Meter Distanz und lange, ohne sich näher zu kommen oder auch nur anzuschauen. Da wird das große Pathos gebrochen und die Hochspannung der Wagnerschen Klangwallungen kontrapunktiert – sowie nebenbei auch die Unsicherheit eines schon etwas älteren Paares mit geringen erotischen Erfahrungen vor dem womöglich ersten Mal offenbar.

Das funktioniert als Lockerung und Akzentsetzung, wie denn dieser Abend überhaupt seine sympathischen Momente hat und auch einige feine Differenzierungen im Durchpflügen jener extremen suizidalen Leidenschaften, die der Komponist textlich und vor allem musikalisch vorgibt. So gleich eingangs, wenn Isolde neben aller Liebeszerwühltheit auch Töne aristokratischen Hochmuts und bitterer (Selbst-)Ironie artikuliert oder im Schlussakt, wenn Tristans mortale Fieberträume als Bilder einer nächtlichen, von Gegenlichtern zerhackten Stadtautobahn-Raserei erscheinen. Nur folgt nichts aus solchen Einzelakzenten; die Fallhöhe, die man erwartet, wenn auf der Bühne existenzielle Dinge verhandelt werden, kommt im Ganzen nicht zustande. Es geht weder in der Liebe noch im Tod je wirklich zur Sache, und so ist dieses komplett jugendfreie, gleichsam in sterilen Einweghandschuhen dargebotene Kammerspiel ohne Blut, Haut und Saft zwar ein – konservativ non-konformistischer – Gegenentwurf zu jener Drastik, die sonst oft die aktuelle Szene bestimmt, kann aber in seiner geradlinig durcherzählten Bravheit auch keinen überzeugenden Gegenentwurf dazu bieten.

Kosmische Weite

Der Mut, aus dem Mainstream auszubrechen, führt leider nur in eine Art Kindergarten-Biedermeier. Wenn die beiden einander Verfallenen am Ende keineswegs ihren Liebestod sterben, sondern in illuminierten Kostümen wie zwei Lichterbäume gen Sternenzelt entschwinden, ist das schlicht zu viel des Guten oder gut Gewollten. Die Kostüm-Leuchtstreifen und -Lämpchen erscheinen das erste Mal beim Leeren des Liebestranks und wirken schon da leicht komisch – man hätte die Emotionen der Titelfiguren doch lieber direkt gespielt als nur in solch symbolischen Comic-Icons gespiegelt gesehen. In Philipp Fürhofers bildnerische Gesamtkonzeption freilich fügen sich die Leuchtkleider gut. Mit prangenden Nachthimmeln, Glutwolken, Sternschnuppen- und Feuerwerks-Garben bettet er das Geschehen in atmosphärisch stimmungsvolle Räume, die die intime Handlungsszenerie ins Kosmische weiten; im Zusammengehen mit Hannah Barbara Bachmann (Kostüm), Bahadir Hamdemir (Video) und Diego Leetz (Licht) entstehen erinnerungsträchtige Tableaus.

Auch musikalisch wird man diesen Abend in gutem Gedächtnis behalten können. Alexander Merzyn formte mit dem Philharmonischen Orchester einen nobel-transparenten, homogen austarierten Klang: unspektakulär fließend ohne Schwulst, relativ zügig und dem prominent besetzten Vokalensemble mit viel Einfühlung zugeneigt. Dort waren es zuerst zwei Rollendebüts, die hinhören ließen. Der Marke von Dimitry Ivashchenko – international berühmt geworden durch die Mozart-Einspielungen mit René Jacobs – erschien in seinem großen Monolog sozusagen als Ausbund versöhnungs- und vergebungsbereiten Edelmuts, dazu entschieden viriler als sein schlaffer Gegenspieler Tristan, und wurde somit überraschender Weise die eigentliche Positivgestalt des Stücks; stimmlich von ungemein dramatischer und aller Wehleidigkeit fernen Präsenz, die allenfalls ein paar differenzierende Abstufungen ins nachdenklich Reflektierende hin vertragen hätte. Annika Schlichts Brangäne, anfangs strickend und harmlos-beflissen wie eine Wiedergängerin von Webers „Freischütz“-Ännchen, wuchs in Spiel und Stimme immer mehr tragisches Potential zu im verzweifelten Bemühen, die von ihr selbst ins Rollen gebrachten Liebestrank-Fatalitäten wieder einzufangen: dunkel gärende Warnungs- und Klagetöne, am Ende die Weglosigkeit eines leer gewordenen Lebens. Der gute Einfall, alle Akteure außer dem Liebespaar von Akt zu Akt altern zu lassen (Kompliment an die Maske!), bewährte sich bei ihr am sinnfälligsten; aber auch Andreas Jäpels kernig aufsingender Kurwenal, erst ein bärbeißiger Haudrauf mit Machoallüren, dann zum mitfühlenden, aber überforderten Palliativpfleger mutiert, profitierte von der Idee.

Die, wenn sie denn nicht doch noch gestorben sind, gemäß dem Willen der Regiekonzeption ewig jungen Titel-Liebenden hingegen konnten damit weniger anfangen, weil sie schon gleich recht ausstrahlungsarm ins Geschehen einstiegen und sich später Wagners orgasmischen Ekstasen nicht rückhaltlos ausliefern wollten oder konnten. Das betraf vor allem Bryan Registers Tristan, unbeholfen agierend und mit einem eher lyrisch gedeckten als heldisch strahlenden, manchmal wie entfärbt oder geradezu kupiert wirkenden Timbre von gediegener Einförmigkeit. Die bayreutherfahrene Catherine Foster hingegen ließ es nicht an markigem, vibratointensivem Durchdringungsvermögen fehlen, sondern eher am Willen zu auch einmal leiseren, differenzierenden Tönen; der bestimmende Eindruck blieb schließlich der einer – im Schlussmonolog wenigstens gemilderten – etwas überstrapazierten, desillusioniert versteinten Härte.

Außer Frage bleiben bei alledem Ehrgeiz und Engagement des Viersparten-Ensembles, das in seiner Musikabteilung neben der Wagner-Oper auch noch ein ebenso anspruchsvolles Stück wie Szymanowski „Król Roger“ im Repertoire hat. Stephan Märkis Mut, die Möglichkeiten des Hauses, das bei seinem Amtsantritt bereits im schweren Wasser der Pandemie-Einschränkungen lavieren musste, auch in ungewöhnliche Richtungen auszuloten, hat hier ein – trotz mancher Fragezeichen – bemerkenswertes Resultat erbracht.

Source: faz.net

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