Fragen und Antworten: Altmodisch, aber effektiv: Warum auch Supermächte auf Spionage-Ballons setzen

Hoch über den USA schwebt ein weißes Etwas, das nicht nur im Pentagon für Stirnrunzeln sorgt. Wenn es sich wirklich um einen Spionage-Ballon aus China handelt: Warum setzt die Supermacht auf so “altmodische” Methoden? Was wir bisher wissen.

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Ein weißes Etwas, das hoch über dem Nordwesten des US-Bundesstaats Montana schwebt, sorgt nicht nur in den USA für reichlich Stirnrunzeln. Das Pentagon ist überzeugt davon, dass es sich bei dem Flugobjekt um einen Spionage-Ballon aus China handelt. Zwar habe es ähnliche Vorfälle bereits in der Vergangenheit gegeben, allerdings nie über so lange Zeit. Es sei eines der aggressivsten Manöver der chinesischen Geheimdienste seit Jahren, schrieb das “Wall Street Journal”.

Der Ballon flöge “in einer Höhe weit oberhalb des kommerziellen Flugverkehrs und stelle keine militärische oder physische Bedrohung für Menschen am Boden dar”, heißt von offizieller Seite weiter. Weil herabfallende Trümmerteile eine Gefahr für Menschen am Boden darstellten, sei ein Abschuss allerdings derzeit zu gefährlich; Verteidigungsminister Lloyd Austin riet Präsident Joe Biden dementsprechend von einer solchen Maßnahme ab. 

Man habe jedoch sofort gehandelt, “um das Sammeln sensibler Informationen zu verhindern”. Es seien F-22-Kampfjets abgehoben, um den Ballon zu beobachten. Der Flugverkehr in Montanas größter Stadt Billings sei vorübergehend eingestellt worden. 

Allerdings geht man im US-Verteidigungsministerium davon aus, dass der Ballon nur einen “begrenzten Zusatznutzen für die Aufklärungsarbeit” habe. Satellitenbilder dürften Peking schließlich deutlich mehr verraten.

Ein Überblick, was wir bisher wissen – und was nicht.

Warum ist der Ballon genau hier auf aufgetaucht?

Das Objekt sei (vermutlich) in China gestartet, habe die Inselkette der Aleuten bei Alaska passiert und sei anschließend über den Nordwesten Kanadas geflogen, berichten US-Medien. Die kanadischen Nachrichtendienste arbeiteten mit den amerikanischen Partnern zusammen und hielten nach einem “möglichen zweiten Vorfall” Ausschau, heißt es in einer knappen Erklärung des kanadischen Verteidigungsministeriums.

Die derzeitige Flugroute führe den Ballon seit Mittwoch über Montana und über “eine Reihe von sensiblen Orten”, so das Verteidigungsministerium. Gemeint ist wohl unter anderem ein Militärstützpunkt im Norden des dünn besiedelten Bundesstaates. Die Malmstrom Air Force Base sei eine von drei Luftwaffenbasen, in denen mit Atomsprengköpfen bestückte Interkontinentalraketen gelagert würden. Allein hier sollen laut “Wall Street Journal” rund 150 Nuklearraketen von Typ Minuteman III stationiert sein.

Was ist ein Spionage-Ballon?

Ein Spionage-Ballon ist Überwachungstechnologie (wie zum Beispiel Kameras oder Radargeräte), die unter einem aufblasbaren Schirm aufgehängt wird und einen bestimmten, in der Regel militärisch sensiblen Bereich auskundschaftet. Die antriebslosen Flugobjekte fliegen für gewöhnlich in einer Höhe zwischen 24.000 und 37.000 Metern, weit über dem zivilen Luftverkehr.

Spionage-Ballons kamen bereits im US-amerikanischen Bürgerkrieg in den 1860er-Jahren zum Einsatz. Damals hatten Soldaten der Unionsstaaten mit Ferngläsern die Konföderierten ausspionieren wollen. Sie schickten Signale per Morsecode oder mit einem “an einen Stein gebundenen Stück Papier” zurück, erklärt John Blaxland, Professor für internationale Sicherheit und nachrichtendienstliche Studien an der Australian National University gegenüber britischen “Guardian”. Die modernen, unbemannten Versionen hatten im Kalten Krieg Hochkonjunktur. Damals hätten die USA Hunderte von ihnen eingesetzt, so Peter Layton, ein Mitarbeiter des Griffith Asia Institute in Australien gegenüber dem US-Nachrichtensender CNN. 

Warum überhaupt ein Ballon und kein Satellit?

Warum aber sollte sich eine militärische Supermacht wie China überhaupt noch auf solche vermeintlich antiquierten Methoden verlassen? Tatsächlich seien Satelliten in den vergangene Jahrzehnten “das Maß aller Dinge” gewesen, sagt Blaxland. Allerdings seien diese inzwischen keineswegs mehr unantastbar – moderne Laser und kinetische Waffen stellten jederzeit eine Bedrohung dar.

Ballons hingegen sind deutlich schwieriger auszumachen als man vielleicht denkt. “Sie zeichnen sich durch eine sehr geringe Signatur und eine geringe bis gar keine Emission aus, sodass sie mit herkömmlichen Situationserkennungs- oder Überwachungstechnologien nur schwer aufzuspüren sind”, so Militärexperte Blake Herzinger gegenüber CNN.

Außerdem haben Ballons einen weiteren, profaneren Vorteil: Sie sind billig und werden dank immer kleinerer und leichterer Spionageausrüstung immer billiger. Einen Satelliten in die Erdumlaufbahn zu schicken, kostet hingegen immer noch Abermillionen Dollar.

Hinzukommt, dass Ballons einen größeren Bereich über längere Zeit beobachten können. Sie bewegen sich nicht nur viel langsamer als ihre hochtrabenden Verwandten. Ballons sind im Gegensatz zu Satelliten durch Bordcomputer, die Windströmungen ausnutzen, (begrenzt) steuerbar. Auch ihre vergleichsweise geringe Flughöhe dürfte mehr Vor- als Nachteil sein. “Sie könnten Signaldaten sammeln, mit anderen Worten, sie schauen sich unseren Handyverkehr und unseren Funkverkehr an”, so Cedric Leighton, ein ehemaliger Oberst der US-Luftwaffe dem US-Sender. Für das Abfangen solcher Daten seien Satelliten schlicht zu weit weg.

In Zukunft dürften solche Ballons noch weit häufiger eingesetzt werden. Das liegt auch daran, dass es im erdnahen Weltraum inzwischen reichlich eng wird. Wie das Magazin “Politico” im vergangen Sommer berichtete, investiert das US-Militär mittlerweile verstärkt in Ballons.

Was sagt China dazu?

Chinas Regierung geht nach eigenen Angaben den Berichten nach, warnt aber vor voreiligen Spekulationen. “Wir sammeln und überprüfen die Fakten”, so Außenamtssprecherin Mao Ning vor Pressevertretern in Peking. “Wir hoffen, dass beide Seiten die Sache mit einem kühlen Kopf behandeln.” Es sei nicht hilfreich, zu spekulieren oder die Angelegenheit aufzubauschen, bevor klar werde, was passiert sei.

Was könnte Peking damit bezwecken?

Eine der wichtigsten Regel der Spionage hat der Ballon auf jeden Fall schon gebrochen: Er wurde entdeckt. Allerdings hätte Peking eigentlich damit rechnen müssen, sind sich Experten sicher. Schließlich überwachen die USA ihren Luftraum akribisch. 

Möglich wäre, dass man Washington habe vor Augen führen wollen, wie ausgereift chinesische Militärtechnik inzwischen ist. In dem Fall wäre die Entdeckung des Ballons Teil des Plans. Eine andere Erklärung: Das Ganze ist ein Versehen. Peking könnte lediglich die Kontrolle über den Ballon verloren haben. 

Wie reagiert die US-Politik?

“Chinas schamlose Missachtung der Souveränität der USA ist eine destabilisierende Maßnahme, die angegangen werden muss”, twitterte Kevin McCarthy, der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses. Auch andere Konservative äußerten sich kritisch und forderten die Biden-Administration zum sofortigen Handeln auf.

Tatsächlich ist der Zeitpunkt für einen solchen Zwischenfall alles andere als ideal und dürfte die Spannungen zwischen den beiden Supermächten noch verschärfen.

Am Sonntag wird Anthony Blinken in Peking erwartet – der erste Besuch eines US-Außenministers in China seit rund sechs Jahren. Ziel ist es, die Wogen im enorm abgekühlten Verhältnis der beiden Supermächte zu glätten. Blinken soll dazu mit Präsident Xi Jinping zusammenkommen.

Erst am Donnerstag hatten die USA erklärt, die Militärpräsenz auf den Philippinen zu verstärken, um dem Inselstaat Taiwan im Fall einer Invasion Chinas Beistand zu leisten.

Quellen: US-Verteidigungsministerium; “New York Times“; “The Guardian“; CNN; “Bloomberg“; mit DPA und AFP

Source: stern.de

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