Reise mit einem Schiff entlang der Küste
Jeden Abend, egal bei welchem Wetter, macht sich eines von elf Schiffen pünktlich auf seine lange Reise. Zwölf Tage ist es unterwegs von Bergen bis zur Barentssee Richtung Norden, wendet dann bei Kirkenes nahe der russischen Grenze und fährt wieder zurück in den Süden.
Die norwegische Regierung hat die Lizenz des Klassikers neu vergeben. Bis 2030 werden sich zwei norwegische Reedereien den Liniendienst teilen: Hurtigruten sowie Havila. Das bedeutet voraussichtlich ab Sommer 2023: Sieben Schiffe Hurtigruten, vier Schiffe Havila. Fahrplan und Takt bleiben gleich.
Für Urlauber bringt das auch Vorteile: Die Reedereien übertrumpfen sich bei Nachhaltigkeit, Ausflügen und Bordküche. Alle Schiffe fahren zeitversetzt so, dass man auf der Hinfahrt andere Ausflüge unternimmt als auf der Rückreise. Urlauber sehen dann das bei Tageslicht, was sie in der anderen Richtung nachts verschlafen haben.
Erstmals wird der Liniendienst sogar verlängert: Hurtigruten fährt ab Sommer 2023 auch von Oslo zum Nordkap und von Bergen geht es zu den Eisbären nach Spitzbergen in der Arktis. Eine klassische Postschiffroute ab/bis Bergen kostet ab 1899 Euro pro Person in der Innenkabine, mit Vollpension, Flug ab/bis Deutschland und Transfers. Beliebt sind auch halbe Touren, entweder nordwärts von Bergen bis Kirkenes oder südwärts von Kirkenes nach Bergen (Anbieter: Hurtigruten.de sowie havilavoyages.com).
Wie die Hurtigrute in Norwegen entstand
Vor 130 Jahren, an einem Julitag 1893, navigierte Kapitän Richard With die „Vesteraalen“ von Trondheim gen Norden entlang der norwegischen Küste, umkurvte tückische Riffe, schmale Sunde, Schären, Strudel und Untiefen. Zehn Jahre lang hatten er und sein Lotse akribisch eine Postroute in Seekarten ausgearbeitet, die auch nachts und im Winter sicher befahrbar sein sollte.
Und: So schnell wie möglich – „hurtig“ eben, hürti ausgesprochen auf Norwegisch. In Rekordzeit dampfte das Schiff in 67 Stunden bis Hammerfest. „Wir tanzten auf dem Kabinendach zum Akkordeon“, notierte Withs Tochter Nanna.
Damals wie heute erfüllt die Hurtigrute denselben Zweck: Norweger nutzen sie wie einen Linienbus von Hafen zu Hafen für Schulweg, Behördengänge, Besuche und als Spedition für Autos, Klaviere, Baumaterial. Morgens kommt ein Schiff nordwärts in jeden Hafen, abends eines südwärts. Die meisten Urlauber aber nutzen die Route für eine Kreuzfahrt – 34 Häfen, 2400 Kilometer in zwölf Tagen. Nur Postsäcke haben längst ausgedient, die werden geflogen.
Zur Erinnerung ein Foto vom Nordkap
Es wirkt wie das Ende der Welt: 306 Meter tief fallen die Klippen hier ins Meer. Das Nordkap, ein Felsplateau auf der norwegischen Insel Magerøya, umtost vom Nordpolarmeer. Gerade im Winter sehenswert, wenn nur wenige Tagesbesucher vorbeikommen und ein Schneepflug vor dem Fahrzeug den schneeverwehten Weg räumen muss. Zum Nordpol sind es von hier aus zwar noch 2100 Kilometer, aber irgendwie fühlt es sich viel näher an. Selbst Rentiere überleben hier im Winter nicht.
Das Nordkap, entdeckt 1553, gilt als nördlichster Punkt Europas. Besucher posieren gern am Wahrzeichen, dem Globus-Denkmal. Dazu muss man sagen: Das Nordkap ist gar nicht der nördlichste Punkt Europas, das ist aus touristischen Gründen geschummelt. Tatsächlich ragt in Sichtweite ein anderer Felsvorsprung 1400 Meter weiter gen Norden: der Nivskjellodden. Der lässt sich im Sommer in einer achtstündigen Tour erwandern. Immerhin: Dem Nordkap bleibt sein Superlativ als der nördlichste vom Festland aus auf dem Straßenweg erreichbare Punkt Europas.
Eine Delikatesse aus dem Meer
Sie ist ein invasives Monster, bis acht Kilo schwer, aber ausgesprochen delikat: Die rote Königskrabbe fühlt sich an der nordnorwegischen Küste wohl. Sie wird auch Stalin-Krabbe genannt, denn der sowjetische Diktator soll in den 1930er-Jahren befohlen haben, das leckere Krustentier aus dem Nordpazifik an der nordrussischen Küste anzusiedeln. Stalins Nachfolger Chruschtschow ließ sogar Millionen ihrer Larven in der Barentssee aussetzen, die zuvor bei Wladiwostok eingesammelt und per Flugzeug und Transsibirischer Eisenbahn über den Kontinent transportiert wurden.
Inzwischen ist die sowjetische Riesenkrabbe nach Norwegen vorgedrungen, wo sie zum Problem für die Natur wird, denn sie frisst alles auf, was ihr in die langen Scheren gerät. Die Population soll in Schach gehalten werden, also wird das Problem einfach aufgefuttert.
Passagiere können bei Krabbensafaris bei Kirkenes nahe der russischen Grenze mitmachen – und dann gibt es die fangfrische Delikatesse an Bord der Hurtigruten-Schiffe. Krabbe satt, und das mit gutem Gewissen.
Landgänge mit Charakter einer Expedition
Sportlich, leger und geradezu abenteuerlich geht es auf der Postschiffroute zu – mit allerlei Landausflügen, die die Kreuzfahrt fast zu einer Expedition machen. Die Touristen erkennt man am Zwiebellook zu jeder Jahreszeit: Regenhosen, Thermoanzüge, Stiefel. Die wettererprobten Norweger sind längst nicht so dick eingemummelt, selbst bei minus 15 Grad joggen sie am Hafen in Shorts vorbei.
Die Auswahl an Ausflügen ist riesig, manchmal gibt es deshalb ein Zeitproblem: Die Schiffe steuern zwar viele Häfen an, bleiben dort aber oft nur kurz. Die Lösung: Ausflügler, die für ihre Landtour mehr Zeit brauchen, steigen aus und erst im nächsten Hafen wieder zu, machen also eine Art Hop-on-Hop-off-Tour.
So bleibt genug Zeit für einen Strandritt mit Islandpferden (nur für Passagiere bis 90 Kilo, damit das Pony nicht zusammenbricht), für Hundeschlittenfahrten, Wanderungen, Paddeln, Radeln oder Schneemobil fahren. Beliebt ist derzeit die Quadtour quer durch die Berge bei Kirkenes, um über die Grenze hinüber nach Russland zu spähen.
Die Mitternachtssonne entschädigt für den Winter
Nordnorweger genießen das endlose Sonnenlicht im Sommer, von Anfang Mai bis Anfang August, eine kleine Entschädigung für die langen Wintermonate ohne Sonne. Ganz im Sinne des friluftsliv, also der typisch norwegischen Liebe zum Leben in der Natur, nutzen sie diese Jahreszeit, um möglichst auch nachts draußen unterwegs zu sein.
Das weich-warme Licht der Mitternachtssonne ist vergleichbar mit der Goldenen Stunde, also der Zeit kurz nach Sonnenaufgang oder vor Sonnenuntergang. Man trifft die Einheimischen bei Hafenpartys um Mitternacht, beim Geisterstunden-Wandern oder in den frühen Morgenstunden beim Kajakfahren, stets in der Gewissheit, dass die Sonne nicht untergeht und jedermann im Hellen nach Hause oder an Bord zurückkommt.
Passagiere können bei Ausflügen sogar nachts um ein Uhr angeln, schwimmen oder auf Wikingerfesten tanzen. Hier im Norden gilt das Sprichwort: „Schlafen kannst du im Süden.“ Tipp: Wer im Sommer gut schlafen will, hat eine Schlafmaske dabei oder bucht gleich eine Innenkabine.
Eine eisige Taufe am Polarkreis
Es ist eine imaginäre Linie, die um die Erde verläuft: Der Polarkreis ist jener Breitengrad, hinter dem die Sonne im Sommer hinter dem Horizont nie versinkt und im Winter es gar nicht erst schafft aufzutauchen. Klimatisch beginnt hier das Polargebiet. Diese magische Zahl 66° 33’ N markiert ein Globusdenkmal auf dem Inselchen Vikingen.
Allerdings ist der Polarkreis sozusagen nicht in Stein gemeißelt. Da sich die Erdachse verändert, verschiebt sich auch ganz langsam die Position des Polarkreises. Praktisch bedeutet dies, dass die Grenzlinie jedes Jahr um 14 bis 15 Meter nach Norden wandert. An diesem Morgen überquert das Hurtigruten-Schiff „Richard With“ den Polarkreis um 7 Uhr 56 Minuten. Wer die Uhrzeit richtig geschätzt hat, gewinnt eine Reederei-Flagge für den heimischen Flaggenmast.
Dann heißt es Schlangestehen für die robuste Polarkreistaufe an Deck. Fast alle Urlauber machen mit, auch im Winter bei minus 20 Grad: Ein, zwei Suppenkellen Eiswasser und eine Schippe Eiswürfel werden in den Kragen gekippt – das soll Glück bringen.
Fisch-Spezialitäten auf den Lofoten
Am Fisch kommt hier niemand vorbei. In jedem der pittoresken Häfen auf den Lofoten grüßen die aufgespießten Dorsche zum Lufttrocken an den Holzgestellen, zu Abertausenden. Wem das stinkt, der wird sanft, aber bestimmt von den Lofotern verbessert: Fisch riecht nicht, sagen sie. Die Insulaner leben seit Generationen vom Fischfang, zunehmend auch vom Tourismus, und egal, wen man fragt, jede Familie hat irgendwo einen Kutter liegen.
Auf der Speisekarte, ob an Bord der Passagierschiffe, die fangfrisch Dorsch, Heilbutt und Kabeljau in Kisten über die Gangway in die Küche geliefert bekommen, oder in den zahllosen Hafenrestaurants, in denen garantiert ein ausgestopfter Fisch mit offenem Maul an der Wand hängt: Hier sollte man Spezialitäten probieren wie Skrei, den arktischen Winterkabeljau, und Tørrfisk-Chips aus Trockenfisch knabbern.
Es gibt Lachs satt, Fischsuppe oder auch Garnelen-Fischburger mit dem lustigen Namen „Ole Brumm“. Dazu passt Lofotenpils, aus einer der nördlichsten Brauereien der Welt.
Polarlichter tanzen um das Kreuzfahrtschiff
In der kalten Jahreszeit kommen Polarlichtjäger aus der ganzen Welt an Bord. Im Winterhalbjahr tanzen bei klarem Nachthimmel die Polarlichter ums Schiff, spiegeln sich in den Fjorden. Sie formen sich zu Kringeln und Bändern, wabern wie Wellen – daran kann man sich nicht sattsehen.
Und weil die grün-violetten Lichtspiele auch noch als ein gutes Omen für das Liebesglück gelten, kommen gern viele romantisch veranlagte Pärchen aus Asien, Spanien, Brasilien. Solch ein Naturwunder gibt es im Süden nicht. Die Polarlicht-Saison nördlich des Polarkreises reicht von Oktober bis März, die Reederei Hurtigruten gewährt dann ein Polarlicht-Versprechen: Wenn keine Sichtung über die Lautsprecher an Bord ausgerufen wird, dann kann man gratis noch einmal reisen.
Die Chancen auf Polarlichter stehen übrigens in den nächsten Jahren noch besser: Weil die Lichtspiele durch Sonnenstürme entstehen, werden sie durch die steigende Aktivität der Sonne sogar noch stärker zu sehen sein, bevor sie 2026 wieder abflacht.
Wale voraus auf der Kreuzfahrt
Zu jeder Jahreszeit sind die Chancen sehr groß, Wale an der nordnorwegischen Küste, in den Fjorden und auf dem offenen Meer zu entdecken. Im Sommer sind Pottwal-Familien am besten zwischen Juni und August zu beobachten im Norden der Vesterålen-Inseln, gelegentlich auch Pilotwale, Zwergwale und ein paar Delfine.
Im Winter werden Walsafaris in vielen Fjorden angeboten. Hier sind mit hoher Wahrscheinlichkeit viele Orcas und Buckelwale zu sehen, gelegentlich auch bis zu 20 Meter lange Finnwale. Sie alle folgen nämlich hungrig dem Hering, der sich im Winter zu Millionen in dem dank Golfstrom eisfreien Fjorden sammelt (dann hört man sogar das Rauschen der Heringsschwärme).
Eine Besonderheit ist der Tysfjord, hier tummeln sich Schwertwale. Rund um Tromsø lassen sich im Winter zwischen November und Januar bei Ausflügen mit Hybridbooten viele Orca- und Buckelwale ganz nah beobachten. Sobald eines der Tiere auftaucht, schaltet der Kapitän auf lautlosen Elektroantrieb um, um die Tiere nicht zu stören.
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Hurtigruten. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.com/de/werte/downloads.
Source: welt.de