Reportage
Stand: 07.02.2023 15:49 Uhr
Tausende Kilometer vom Erdbebengebiet entfernt bangen Angehörige in Deutschland um ihre Familien in der Türkei und in Syrien. Einige haben mittlerweile Gewissheit. Andere brechen auf, um zu helfen.
Songül Taifur hat es geschafft. Endlich hat sie ihren Bruder am Telefon. “Geht es dir gut, mein Schatz?”, fragt sie ihn aufgeregt. Nicht nur ihre Mutter, auch noch viele Verwandte wohnen im Südosten der Türkei. Einige Häuser sind eingestürzt, viele beschädigt, 4000 Kilometer entfernt von Deutschland in der Stadt Diyarbakir.
“Meine Mutter ist bettlägerig. Sie kann nicht laufen, obwohl sie im Parterre wohnt”, sagt Taifur. “Meine Schwester und meine Nichte helfen viel und sind immer wieder hinein zu meiner Mutter, um sie zu beruhigen. Sie ist fast 95 Jahre alt. Es ist schlimm.” Gemeinsam mit ihrem Mann Ali sitzt sie in ihrer Wohnung in Duisburg und fühlt sich machtlos.
Songül Taifur wartet in ihrer Wohnung in Duisburg auf Lebenszeichen von Freunden und Verwandten aus der Türkei. Bild: ARD-Standbild
Ständiger Blick aufs Handy
Ständig schaut sie auf ihr Handy und hofft, dass es Freunden und Verwandten gut geht, dass sie positive Nachrichten erhält. “Einige sind noch unter Trümmern von meiner mütterlichen Seite in Diyarbakir. Wir hoffen, dass die bald gerettet werden”, sagt sie und kämpft dabei mit den Tränen. Im Hintergrund laufen Bilder des türkischen Fernsehens aus der Region: Wohnblocks, die wie Kartenhäuser zusammengefallen sind. Sie und ihr Mann leben seit 1969 in Deutschland. So ohnmächtig haben sie sich noch nie gefühlt, sagen sie.
Das Gefühl der Ohnmacht kennt auch Aline Aynilian. Sie versucht, so gut es geht, mit ihrer Familie in Kontakt zu bleiben. Noch in der Nacht des Erdbebens erreicht die Syrerin eine WhatsApp-Nachricht von ihrem Bruder: Er und die restliche Familie in Aleppo seien am Leben. Sie hätten die Nacht in einer Kirche verbracht, sagt sie, in ständiger Angst vor Nachbeben. “Ich weiß von meiner Mutter, dass sie die ganze Zeit zittert”, sagt Aynilian. “Sie hat Angst, sie will natürlich nicht wieder nach Hause. Man weiß nicht, was noch passieren kann.”
“Was kann ich für sie tun?”
In Leverkusen lebt Ayman Assaf. Der 37-Jährige kam vor sieben Jahren nach Deutschland und hat im Krieg schon seine Frau verloren. Der Rest seiner Familie lebt noch immer in Syrien. Verzweifelt versucht er herauszufinden, wie es ihnen geht. Er weiß inzwischen: Sein Cousin sowie dessen Frau und Kinder sind bei dem Erdbeben gestorben.
Den Verwandten, die überlebt haben, will er helfen und kann es nicht. “Vielleicht brauchen sie etwas, Hilfe oder anderes”, fragt sich Assaf. “Ich bin hier in Deutschland, ich kann schlafen, im warmen Zimmer mit Heizung und sie haben keine. Natürlich ist das schwer, aber was kann ich für sie tun?”
Helfen vor Ort
Manche Angehörige sind heute an Flughäfen und versuchen, in die Region zu kommen. Manche unterstützen die Hilfe von Deutschland aus, zum Beispiel in Wuppertal: Die Wuppertaler Tafel hat die Menschen aufgerufen, Decken, Schlafsäcke und medizinische Hilfsgüter abzugeben. Auch die türkisch-alevitische Gemeinde nimmt Verbandszeug an.
“Jetzt ist die Zeit zu helfen”, heißt es bei der DITIB-Gemeinde in Wuppertal. Man müsse zusammenstehen und Hilfe schnell organisieren. Dazu könnten Bürgerinnen und Bürger Sachspenden in die Moschee bringen oder auch Geld überweisen. Gemeinsam würde man Hilfstransporte organisieren. Auch Hilfsorganisationen schicken Material und Spezialteams in die betroffene Region.
“Die Situation für die Helfer ist schwierig auch wegen der Witterungsverhältnisse”, sagt Markus Bremes vom Verein action medeor. Sie haben bereits Material aus ihrem Lager in Tönisvorst verschicken können. “Es sind Krankhäuser vor Ort in Mitleidenschaft gezogen. Wir versenden Mullkompressen, Patienten-Monitore, Sauerstoffgeräte, und das muss schnell gehen.” Denn es zähle jede Minute, damit den Verschütteten in den Erdbebenregionen geholfen werden kann.
Source: tagesschau.de