Erdbeben in türkisch-syrischer Grenzregion: Mehr als 20.000 Tote – erster UN-Konvoi in Nordsyrien

Im Katastrophengebiet verschiebt sich der Fokus von der Bergung zur Nothilfe. Hunderttausende sind bei großer Kälte obdachlos. In Syrien ist erste UN-Hilfe angekommen.

Im Erdbebengebiet in der südöstlichen Türkei und im Norden Syriens ist die Zahl der bestätigen Toten mittlerweile auf mehr als 20.000 gestiegen. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf die türkische Katastrophenschutzbehörde Afad am Donnerstagabend berichtete, liegt die Zahl allein für die Türkei nun bei 17.134. Aus Syrien wurden zuletzt 3.317 Tote gemeldet. 

In der Türkei sind laut Präsident Recep Tayyip Erdoğan zudem mindestens 63.000 Menschen verletzt worden. Insgesamt sind nach Schätzungen seiner Regierung rund 13 Millionen Menschen von dem Beben betroffen. Im Bürgerkriegsland Syrien sind es laut den Vereinten Nationen (UN) fast 10,9 Millionen Menschen. Hunderttausende wurden bei großer Kälte obdachlos, die schwierige Versorgungslage lässt auch Hunger zum Problem werden.

Türkisches Parlament stimmt für Ausnahmezustand

In Ankara bestätigte die Nationalversammlung die Verhängung des Ausnahmezustands in den zehn vom Erdbeben betroffenen türkischen Provinzen. Er gilt für drei Monate und ist bereits in Kraft getreten. Erdoğan hatte zuvor mit Blick auf etwaige Plünderungen gesagt, die Maßnahme werde helfen, unter anderem gegen die vorzugehen, die “Unfrieden und Zwietracht” stifteten.

Der Ausnahmezustand erlaubt es dem Präsidenten unter anderem, Ausgangssperren zu verhängen. Außerdem können laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu öffentliche Einrichtungen, Organisationen oder “juristische und natürliche Personen” in der Region verpflichtet werden, etwa Ausrüstung, Grundstücke, Gebäude, Fahrzeuge oder Medikamente abzugeben.

Kaum noch Hoffnung auf Überlebende

Im Katastrophengebiet suchen Helfer und Angehörige derweil weiter nach Überlebenden. Die Chancen sind mehr als 80 Stunden nach dem ersten schweren Beben inzwischen aber gering, auch wegen der frostigen Temperaturen. Laut dem türkischen Fernsehsender TRT World sind im türkischen Erdbebengebiet seit Montagmorgen etwa 8.000 Menschen lebend aus den Trümmern geborgen worden.

Einzelne Erfolgsmeldungen machen Hoffnung, dass noch weitere Menschen gerettet werden können. Wie der Fernsehsender CNN Türk zeigte, wurde in der stark betroffenen Provinz Kahramanmaraş 78 Stunden nach dem Beben eine Frau mit ihren zwei Kindern lebend geborgen. In der Provinz Hatay wurden laut TRT World zuletzt ein Baby und ein Mann – vermutlich der Vater – gerettet, wie der staatliche Sender TRT World berichtete. Auch in Gaziantep wurden drei Lebende aus den Trümmern befreit.

Erster UN-Konvoi im Norden Syriens

Unterdessen ist an Tag drei nach dem Beben auch auf syrischer Seite internationale Nothilfe eingetroffen. Sechs Lastwagen mit Hilfsgütern seien von der Türkei aus über den einzigen noch offenen Grenzübergang Bab al-Hawa nach Nordsyrien gelangt, hieß es von den Vereinten Nationen. Vorher war der Grenzübergang wegen beschädigter Straßen nicht erreichbar gewesen. 

Aktivisten im Norden des Bürgerkriegslandes zeigten sich allerdings enttäuscht von dem Transport. Dieser sei bereits vor dem Erdbeben geplant gewesen und nur aufgehalten worden, hieß es. Dringend benötigte Ausrüstung für die Rettungsteams in Syrien sei deshalb nicht angekommen – stattdessen Güter wie Waschmittel. “Das ist sehr enttäuschend und beschämend”, sagte der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, der Nachrichtenagentur dpa.

Nach Angaben einer Sprecherin des Norwegischen Flüchtlingsrats (NRC) handelte es sich bei dem Konvoi eher um einen Testlauf. Sie hoffe auf mehr UN-Lieferungen über die kommenden Tage. Die UN waren für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Der Norden Syriens ist das letzte Rückzugsgebiet der Rebellen, die seit mehr als zehn Jahren gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad kämpfen.

Der UN-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen, forderte ungehinderten Zugang zum syrischen Erdbebengebiet. Dringend benötigte Hilfe für die Zivilbevölkerung müsse ungeachtet von Grenzen auf dem schnellsten, direktesten und effektivstem Weg ankommen, sagte er und bekräftigte: “Nothilfe darf nicht politisiert werden.”

Der syrische Gesundheitsminister Hassan Ghabbasch bat die Weltgesundheitsorganisation dringend um Lieferung von medizinischem Hilfsgut. Dieses würde für die Behandlung Tausender Verletzter benötigt.

Israel schickt Feldlazarett, Turkish Airlines transportiert Hilfsgut

Diverse Länder sagten Syrien und die Türkei Unterstützung zu – darunter auch Israel, das mit dem Aufbau eines Feldlazaretts in der Türkei begonnen hat. Israel hat in den vergangenen Tagen rund 380 Helfer in die Türkei geschickt, darunter Ärzte, Krankenschwestern und Sanitäter.

Auch die EU sicherte weitere Hilfe zu. “Wir stehen bereit, unsere Unterstützung in enger Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden weiter zu verstärken”, hieß es in einem Schreiben der Mitgliedsstaaten an Präsident Erdoğan.

Von Berlin aus wird die halbstaatliche Turkish Airline in den kommenden Tagen tonnenweise Hilfsgüter mit Passagiermaschinen ausfliegen. Die Luftwaffe der Bundeswehr bringt für das Technische Hilfswerk (THW) unter anderem Feldbetten, Zelte, Schlafsäcke und Heizgeräte in die Erdbebengebiete. Eine erste Transportmaschine startete am Morgen. Das THW Baden-Württemberg hatte zuvor mit sieben Lastwagen rund 50 Tonnen Hilfsgut zum Flughafen gebracht.

Dem türkischen Katastrophendienst zufolge hat das Hauptbeben am frühen Montagmorgen Ortszeit mit Epizentrum in Kahramanmaraş eine Stärke von 7,7. Mittags hat laut der Erdbebenwarte Kandilli in Istanbul ein Beben der Stärke 7,5 dieselbe Region erschüttert. Zudem sind mehr als 250 Nachbeben registriert worden.

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